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Landeshauptstadt: „Der erste Park Brandenburgs nach französischem Vorbild“

Gartenexperte Clemens Alexander Wimmer hält einen Neubau der Weissen Flotte am Neptunbecken des Potsdamer Lustgartens für „ein antisoziales Projekt“

Herr Wimmer, der Lustgarten soll mit einem Neubau der Weissen Flotte bebaut werden. Sie erheben Einspruch. Warum?

Ich empfinde das als ein antisoziales Projekt, denn der Lustgarten ist zunächst einmal eine staatliche Erholungsfläche, die 1927 dem preußischen Staat übertragen wurde und die in den 1960er Jahren an die Stadt Potsdam gekommen ist. Es kann meines Erachtens nicht angehen, dass man die Fläche nun an eine Privatfirma verscherbelt oder verpachtet, damit die dort Gewinne macht. Das ist das, was mich am meisten empört. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass am Griebnitzsee Leute enteignet werden, um öffentlichen Zugang zum Wasser zu haben. Beim Lustgarten läuft genau das Gegenteil.

Sie erheben auch aus kunsthistorischer Sicht Einspruch. Unterschätzt die Stadt den kulturellen Wert des Lustgartens?

Die Stadtverwaltung ignoriert vor allem das Potsdamer Stadtbild. Man kann nicht sagen, man will das alte Stadtbild wiederhaben inklusive Stadtschloss und Palais Barberini – und gleichzeitig sagen, der Lustgarten ist Bauerwartungsland. Für mich ist das ein Verbrechen vor allem gegen das Stadtbild. Die Kunstgeschichte kann das belegen.

Worin liegt die kunstgeschichtliche Bedeutung des Lustgartens?

Es war der erste Park Brandenburgs, der nach französischem Vorbild angelegt wurde. Friedrich I. hat aus seinem Willen heraus, König zu werden – er war ja bloß Kurfürst – alles mögliche getan, um Frankreichs König Ludwig XIV. nachzueifern – noch bevor das die anderen Fürsten im Reich getan haben. Während der Potsdamer Lustgarten bereits um 1700 französisch gestaltet wurde, schlossen sich der Kurfürst von Sachsen erst 1709, der Kurfürst von Bayern 1715 und der Kurfürst von Köln 1716 den französischen Vorbildern an, die anderen noch später. Der erste Preußenkönig hat seine drei Hauptschlösser Berlin, Charlottenburg und Potsdam modernisiert einschließlich der Gärten. Potsdam hatte da die besten Möglichkeiten. In Berlin war für den Garten nicht genug Platz. Charlottenburg war damals noch ein ganz kleines Sommerschloss, Potsdam bot dagegen das ganze Spektrum für eine moderne Anlage – mit weiter Umgebung, Fernsicht und günstiger Lage am Wasser. Darum hat Friedrich I. gerade in Potsdam ganz besonders viel Geld und Ideen investiert, um eine königliche Anlage zu haben.

Man kann entgegnen: Wir haben heutige Probleme zu lösen. Seit Jahren drängt die Weisse Flotte auf einen Neubau.

Wenn der Landtag ein Schloss bekommt, darf dann die Bevölkerung keinen Schlossgarten haben? Wir haben im Lustgarten eine hohe räumliche Qualität. Wir haben dort erstklassige Künstler am Werk gehabt, insbesondere Jean de Bodt, der aus Frankreich kam und hier für den König gearbeitet hat. Er war ein großer Architekt, er hat das Schloss umgebaut und diesen großartigen Garten geschaffen, ein wunderbares Verbindungsstück zwischen dem Schloss, der Havel und der Landschaft bis hin zum Brauhausberg.

Hat die Weisse Flotte nicht ein Recht, im Lustgarten zu sein?

Sie sind ja schon im Lustgarten – und es funktioniert ja auch. Bloß wenn sie jetzt ein größeres Restaurant brauchen, gibt es diverse Möglichkeiten. Es muß nicht zwangsläufig an einer Anlegestelle sein. Wenn ich als Tourist ein Boot besteige, will ich dort meinen Kaffee trinken. Wenn ich in ein Restaurant gehen will, ist das etwas ganz anderes, das gehört nicht notwendig an ein und denselben Ort.

Wird es zu einem internationalen Ansehensverlust kommen, wenn die Stadt den Lustgarten überbaut?

Das will ich hoffen. In Versailles findet in diesem Jahr die große Ausstellung über den großen Gartenkünstler André Le Nôtre zu dessen 400. Geburtstag statt. In dem Zusammenhang bin ich auch tätig für das Chateau de Versailles und habe dort dargestellt, dass der Potsdamer Lustgarten eine ganz wichtige Rolle in der Frage spielt, wie Le Nôtre, wie Versailles, im Heiligen Römischen Reich rezipiert wurden. In der Schau wird auch der Plan vom Potsdamer Lustgarten gezeigt. Das Neptunbecken ist eine Kopie des Wasserbeckens unterhalb der Orangerie von Versailles. In dem Zusammenhang kann man sich durchaus vorstellen, dass das auch im Ausland Kopfschütteln hervorrufen wird, wenn man dort von den Bauplänen der Weissen Flotte erfährt.

Der Neubau von Karl-Heinz Winkens würde auch einen weiteren Ausbau des Neptunbecken unmöglich werden lassen?

Es war ja 2001 geplant, das ganze Becken auszugraben. Dann gab es Gründe, die dazu führten, dass es nur zur Hälfte ausgegraben wurde: die Feuerwehr-Zufahrt, die geplante Innerstädtische Entlastungsstraße (ISES) und die Kolonnade. Im Ergebnis gibt es jetzt auf drei Seiten des Beckens Teile, die noch auszugraben sind. Diese Option ist nie aufgegeben worden und ich sehe keinen Grund, sie heute aufzugeben und das, was noch im Boden ist, zu überbauen und zu zerstören.

Wird die archäologische Herausforderung unterschätzt?

Es werden noch Reste der hölzernen Einfassung und auch Reste des gemauerten Kanals vorhanden sein, der damals das Neptunbecken mit der Havel verband. Was mich auch ärgert: Der Neubau wird mitten in einer Reihe von Pyramiden-Eichen errichtet. Seit 200 Jahren stehen dort Bäume, und sie wurden auch in der DDR-Zeit nicht angerührt. Die fehlenden Eichen wurden 2001 nachgepflanzt – und jetzt sollen sie wieder verschwinden. Das ist keineswegs begreiflich.

Wäre selbst der Alternativstandort an der Eisenbahn problematisch, weil sich ja das Neptunbecken bis dorthin erstreckte?

Jeder Standort ist verkehrt, wenn er sich innerhalb des historischen Beckens befindet.

Wo könnte der Flotten-Neubau hin?

Wir sprechen vom Restaurantgebäude. Die ISES-Trasse wurde ja freigehalten, wenn man es dort baut, ist es außerhalb des Beckens.

Sie befürworten doch sicher alle Standorte außerhalb des Lustgartens – auf der gegenüberliegenden Havelseite, am Meyerohr, oder am Hinzenberg?

Ja, natürlich. Für ein Restaurant wäre eine Südorientierung mit weitem Blick, wie es sie am Hinzenberg gibt, eine attraktivere Situation als an der Langen Brücke.

Vielleicht noch ein Wort zum Hotelhochhaus im Lustgarten

Es ist aus meiner Sicht entbehrlich. Aber es wird noch einige Zeit stehen. Doch wir dürfen heute die Zeit danach nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen heute schon die Zeit berücksichtigen, wenn das Mercure-Hotel vielleicht nicht mehr steht.

Meinen Sie, die Stadt plant hier mit zu kurzem Blick?

Ja. Der Grund sind die Wahlperioden, so lange einer im Amt ist, muss er es durchziehen. Alles, was zur Bundesgartenschau 2001 als langfristiges politisches Ziel erklärt wurde, gilt heute nicht mehr. Damals wurde die Konzeption politisch als ,Orte am Fluss’ verkauft. Das war ein Schlagwort der Buga – und jetzt werden diese Orte der Wirtschaft übertragen. Jetzt werden es ,Orte der Wirtschaft’, das ist schon ein anderes Konzept.

Erwarten Sie, dass das Architekturbüro Dietz-Joppien Einspruch erhebt gegen die Überbauung des Lustgartens?

Dieser Einspruch erfolgt zweifellos. Es ist befremdlich, dass die Lustgarten-Architekten nicht einbezogen, sondern einfach ignoriert werden. Das ist juristisch und auch sonst vollkommen unmöglich.

Das Interview führte Guido Berg

Clemens Alexander Wimmer, 53, ist Professor für Gartendenkmalpflege. Unter anderem plante er die Rekonstruktionen der Schlossgärten Charlottenburg und Königs Wusterhausen.

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