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Kunst gegen das Vergessen. Fast die gesamte Familie hat die Israelin Sara Atzmon in den Konzentrationslagern der Nazis verloren. Heute malt sie und führt Schülerprojekte durch. „Kinder dürfen nicht mit Hass aufwachsen“, sagt die 78-Jährige.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Die Jahre der Sprachlosigkeit

Die Künstlerin Sara Atzmon aus Israel erzählte Schülern vom Holocaust und wie sie ihre Angst überwand

„Wir standen beim Appell im Schnee. Sie zählten uns alle. Auch die, die schon am Boden lagen.“ Das steht als Erklärung neben einem Bild von KZ-Häftlingen. Es ist eines der ersten, das die israelische Künstlerin Sara Atzmon 1989 gemalt hat. Als sie von den Amerikanern 1945 befreit wurde, war sie 12 Jahre alt und wog 17 Kilo. 60 ihrer Familienangehörigen wurden von den Nazis getötet.

Das Bild hängt während der Sommerferien im Treffpunkt Freizeit und erzählt wie die anderen Gemälde von den Schrecken, für die Worte allein nicht genügen. Unter dieses Motto „Wenn Worte allein nicht genügen“ hat die 1933 in Ungarn geborene Jüdin Sara Atzmon ihre Ausstellungen in Potsdam und Falkensee und ihre Begegnungen mit Schülern bei Workshops in der vergangenen Woche gestellt. Viele Jahre habe sie über ihre Erlebnisse in den Vernichtungslagern Bergen-Belsen und Auschwitz-Birkenau nicht reden können, habe das Radio abgeschaltet, als vom Eichmann-Prozess berichtet wurde. Immer wieder habe auch später irgendwer die Juden und den israelischen Staat vernichten wollen. Seltsamerweise seien es dann ausgerechnet die Raketen von Saddam Hussein gewesen, die er 1990 auf Israel abfeuerte, die sie erkennen ließen: „Ich habe keine Angst mehr!“ Diese Erkenntnis habe sie von ihrem Druck durch die Vergangenheit befreit.

Doch gehasst habe sie weder die Deutschen noch andere Völker, die die Judenvernichtung zuließen. „Kinder dürfen nicht mit Hass aufwachsen“, sagt die kleine, vitale Künstlerin, die am Sonntag bei der Eröffnung ihrer Ausstellung im Treffpunkt Freizeit anwesend war. Sie hält ihre Rede auf hebräisch, weil sie inzwischen die Sprache lieben gelernt hat und es ihre Sprache geworden ist. Doch die Potsdamer Gleichstellungsbeauftragte Magdolna Grasnick, die wie sie gebürtige Ungarin ist, begrüßt sie in der Muttersprache und mit den Kindern in den Workshops spricht sie deutsch. Und die haben sie verstanden. Nicht nur wegen der Sprache. Das bezeugen die Bilder der Schüler, die ebenfalls im Treffpunkt Freizeit zu sehen sind und die neben der Angst und der Bedrängnis auch die Liebe zum Leben ausdrücken, ihrem Leben heute in einem sicherem Umfeld. „Junge Menschen müssen wissen, was passiert ist“, sagt Sara Atzmon. Wenn sie das Geschehen im Innern erreiche, dann könnten sie solche Gräueltaten nie wieder gutheißen, geschweige denn selbst begehen. Das wolle sie mit ihrer Arbeit erreichen. In den Schülern vom Evangelischen Gymnasium in Potsdam, bei Schülern in Werder, Brandenburg und Rathenow hat sie solche Verbündeten gefunden.

Sara Atzmon wandte sich dem Leben zu, ohne die Vergangenheit zu vergessen. Sie wanderte noch 1945 mit einer der ersten Einwanderergruppen nach Israel aus, lernte, besuchte Kurse, ging zur israelischen Armee und heiratete 1954 den Israeli Uri Atzmon. Die beiden haben sechs Kinder und eine ganze Reihe Enkel, mit denen sie künstlerisch arbeitet. Die Ausstellung zeigt zum Beispiel eine Installation von Armen und Beinen hinter Gittern, die sie mit ihren Enkeln fertigte. Millionen Gliedmaßen müssen in den Verbrennungsöfen der KZs gelandet sein.

Die Ausstellung und die Zusammenarbeit mit Schulen haben das RAA Potsdam (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie), die Kunstgenossen Potsdam und eine Reihe von Fördermittelgebern ermöglicht. Während der Ferien wird es mit Besuchern des Treffpunktes Gespräche geben.

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