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Landeshauptstadt: Kapelle als Eigentumswohnung

Kommerz kontra Geschichte im zur Wohnanlage umgebauten Kaiserin-Augusta-Stift

Neuer Garten - „Stillschweigen vereinbart“ worden sei über die Nutzung der Kapelle im Augustastift Am Neuen Garten 29 - 32, das gegenwärtig zu einer Wohnanlage mit 44 Eigentumswohnungen ausgebaut wird. Das teilte die vom Bauherren, der Prinz von Preussen Grundbesitz AG, mit der Öffentlichkeitsarbeit beauftragte Medienagentur auf PNN-Anfrage mit. In der 120 Personen fassenden Kapelle hielten die in dem Stift erzogenen Adels- und Bürgerstöchter ihre Gottesdienste. Sie sind durch Christa Winsloes Erinnerungsbuch „Mädchen in Uniform“ und die darauf aufbauenden Verfilmungen weithin bekannt geworden. Als nach Kriegsende 1945 der sowjetische Geheimdienst KGB das Stiftsgebäude beschlagnahmte, richtete er in der Kapelle den Gerichtsaal des Militärtribunals ein, in dem Hunderte Häftlinge aus meist nichtigen Gründen zum Tode oder zur Deportation in das sibirische Straflager Workuta verurteilt wurden. Der Altar wich dem Richtertisch, an einer Seitenwand wurde ein Stuckmedaillon Lenins angebracht, der mit der Gründung des Sowjetstaates auch die Geheimpolizei Tscheka und die sibirischen Zwangsarbeitslager schuf. Vor dem Ausbau der Stiftsgebäudes war vorgeschlagen worden, die Kapelle als Erinnerungsort an diese geschichtlichen Ereignisse zu erhalten und zu besonderen Anlässen öffentlich zugänglich zu machen. Für eine Ausstellung hatte der Potsdamer Architektenverein ArchitraV e. V. bereits Material gesammelt und zahlreiche Zeitzeugen befragt. Ähnliche Überlegungen gab es zu dem von Kaiserin Auguste Viktoria bei ihren Besuchen genutzten „Kaiserinnenzimmer“, nach 1945 Büro des KGB-Kommandanten. Die Grundbesitz AG hatte sich zu diesen Vorschlägen nie eindeutig positioniert. PNN-Recherchen ergaben nun, dass sowohl das Kaiserinnenzimmer als auch die Kapelle ebenfalls Eigentumswohnungen werden. Ob in den hohen Raum ein Zwischengeschoss eingezogen wird, konnte wegen des Schweigegebots nicht ermittelt werden, ebenso wenig, was mit dem Lenin-Medaillon geschieht oder geschehen ist.

Diese Entwicklung bedauert auch der Förderverein Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße 1. Sein stellvertretender Vorsitzender Dr. Richard Buchner verwies PNN gegenüber auf den engen Zusammmenhang zwischen dem Gefängnis, in dem die Untersuchungshäftlinge unter unmenschlichen Bedingungen eingekerkert waren, und der Kapelle, in der die Urteile gesprochen wurden. Dieser Zusammenhang lasse sich nunmehr nur noch schwer anschaulich machen.

Das Stift war 1872 durch Kaiserin Augusta für die Erziehung „höhere Töchter“, die ihre Väter im Krieg verloren hatten, in Berlin gegründet worden. 1902 zog es in den Neubau am Neuen Garten. Die Außenhülle des von den Architekten Lothar Krüger und Arthur Kickton entworfenen stattlichen Gebäudekomplexes ist inzwischen wiederhergestellt, auch die Arbeiten im Hofgelände laufen. Wird das Denkmal also im Äußeren erhalten, so verliert es durch die Veränderungen im Inneren seinen historischen Aussagewert. Nicht einmal der von der Potsdamer Denkmalschutzbehörde eingeräumte weitgehende Kompromiss werde eingehalten, meinte ein Insider. Wieder einmal habe der Kommerz über die Geschichte gesiegt, wie dies nun auch beim Ausbau weiterer Baudenkmale zu Eigentumswohnungen zu befürchten sei, so der Schauspielerkaserne und des Predigerwitwenhauses als ältester sozialer Einrichtung Potsdams.

Erhart Hohenstein

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