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Kultur: Biografie der Provinz

Dieter Roth las im Hans Otto Theater

„Wo ich bin, ist Provinz.“ In diesem Satz von Dieter Roth, der seine gedruckten Selbstbetrachtungen im Foyer des Neuen Theaters vorstellte, sind kurz und knapp die beiden Pole eines Lebens enthalten.

Zum einen das Wirken immer ein Stück neben den Größten, zum anderen ein Ego, dem das Leben als Provinzkünstler keinen Schaden zufügen konnte. Leute wie Dieter Roth kennt man gewöhnlich nicht, sie agieren stets in der zweiten Reihe. Das Talent hinkt immer dem gesunden Selbstbewusstsein hinterher. Der in Sachsen aufgewachsene Roth wollte ein großer Schauspieler werden, so wie der von ihm in seiner Jugend bewunderte Vico Torriani. Stattdessen Regiestudium in Babelsberg, Assistenzen in Magdeburg und Weimar, Arbeiten in Berlin, später Intendanzen in Cottbus und schließlich wieder in der Heimat, in Plauen.

Nun ist Roth samt einem Gefolge bestehend aus seinem langjährigen PR-Manager vom Theater in Plauen und zwei jungen Schauspielern in Potsdam. Also auch Provinz, scherzt Roth.

Dieter Roth und sein Gefolge bieten den Gästen so etwas wie einen bunten Abend am Sonntagmorgen. Der PR-Manager agiert in seinen jovialen Ansagen so routiniert wie ein Spezialklebstoffverkäufer im Kaufhaus. So könnte die Provinz klingen, irgendwie breitschultrig, mit feiner Sonntagsweste über dem roten Hemd. Er kündigt zwei junge, durchaus talentierte Schauspieler an. Deren Darbietung – zuerst ein Stück Alpenwelt über die „Heidi“, dann ein Liebeslied aus dem Musical „Fame“ – habe zwar nichts mit der eigentlichen Biografie zu tun. Aber wenn man schon mal hier wäre.

Dann kommt dieser Dieter Roth, für den der PR-Manager und die Schauspieler Sandrine Guiraud und Maximilian Nowka so viel Aufwand betreiben. Und für den sich rund sechzig Mitglieder der „DEFA-Familie“ versammelt haben, jener Gruppe von ehemaligen Studio-Mitarbeitern, die sich gegenseitig die Treue um das Andenken ihrer Babelsberger Traumwelt halten.

So unbekannt scheint dieser Dieter Roth hier also nicht zu sein. In Babelsberg hat er neben Angelica Domröse studiert. Mit Filmemacher und Autor Rainer Simon teilte er sein Zimmer. Am Hans-Otto-Theater in der Zimmerstraße traf er auf Günter Junghans, der später auf der Berliner Volksbühne Erfolge feierte. Junghans und Simon sitzen im Publikum. Dann holt Roth endlich sein Buch hervor und macht es sich lässig auf einem Tisch bequem.

Bald schon giggelt es ununterbrochen von den Zuschauerreihen, denn Roth weiß nach vierzig Theaterjahren, womit man ein Publikum froh macht. Daher erzählt er sein Leben als Schelmenroman. Wie ein junger Sachse mit kräftigem Akzent den Hamlet vor der Filmhochschule vorspricht, und man ihm gleich dreimal das Fehlen jeglichen Talents attestiert. Wie Roth dann zum Regiestudium kommt. Er erzählt auch von seinem Kampf mit den Schauspielern, u. a. mit Henry Hübchen in Magdeburg, wo er – unterlegen – zu Schlaftabletten greift. Solche Anekdoten werden geliebt. Ein vermeintlicher Verlierer bleibt mit Glück und ganz viel Mutterwitz doch immer auf der Siegerstraße. Da boykottiert am Nationaltheater in Berlin ein großer Altschauspieler mit den Initialen D. M. den neuen Regisseur. Bis ihm das Gebiss herausfliegt. Roth regelt die peinliche Situation mit Fingerspitzengefühl. Das Eis ist gebrochen. Auch Husarenstücke werden ausgeplaudert, eines, das seinem Buch den Titel „Eine virtuose Lüge“ gab. Da fälscht Roth ein Glückwunschtelegramm von der obersten Kulturbehörde. Seine „Räuber“, hatte zuvor der Intendant kritisiert, ließen keinen Klassenstandpunkt erkennen. Die Sache fliegt auf, weil Roths Handschrift überall bekannt war.

Dieter Roth als Spitzbub, der im Parteiunterricht „kühnste Marx-Zitate“ erfindet, die von den Lehrern unwidersprochen bleiben. Dieter Roth als Münchhausen der Provinz, nur seien alle Anekdoten wahr. Am Ende packt diesen Dieter Roth schmerzhafte Nostalgie, die Phase des „Nicht-Gebraucht-Werdens“ nach der Wende hat begonnen. Er bleibe linker Idealist und spüre keine Bindung an die aktuellen Parteien. Roth formuliert mit der „Verwegenheit einer Provinzkünstlerbilanz“ seine derzeitige Unzufriedenheit: „Es muss etwas danach geben, wir müssen da noch andere Träume haben dürfen.“

Einer von diesen Träumen liegt auf dem Büchertisch. Roth reist durch andere Provinzstädte, um sein im Selbstverlag herausgegebenes Buch zu verkaufen. Die DEFA-Stiftung hat den Druck unterstützt. Man weiß ja nie, und da ist Roth wieder dieser selbstbewusste, schalkhafte Provinzler, „ob das Buch nicht den Nobelpreis bekommt.“

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