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Kultur: Bitte anfassen

Objekte des Holzenthüllers Friedrich Bielenstein im Gründerzentrum in der Puschkinallee

Der junge Künstler Friedrich August Bielenstein, Jahrgang 1980, betreibt mit Unterstützung der Arbeitsagentur eine wohl einzigartige Ich-AG. Nach langem Nachdenken wählte er die Berufsbezeichnung „Holzenthüller“. „Genau das mache ich, es passt am besten“, empfindet Bielenstein, dessen Holzobjekte im gerade erst umgezogenen Künstler- und Gründerzentrum an der Puschkinallee zur Zeit zu sehen sind. Genau genommen hat sein Ein-Mann-Unternehmen noch zahlreiche, unbezahlte Angestellte. Würmer und Ameisen, die Gänge in seine Fundstücke graben, oder Pilze, die Färbung oder Struktur verändern. Bielensteins Existenzgründung, die neben seinen Skulpturen auch Holzschmuck und Gebrauchsgegenstände anbietet, arbeitet in enger Verbundenheit mit dem derzeit noch mächtigsten Global Player, mit Mutter Erde.

Der Lebenskünstler Bielenstein spaziert durch ihr Reich und sucht in den Wäldern nach besonderen Baumstücken. In den sechs Jahren, in denen er sich dem Naturwerkstoff Holz gewidmet hat, wurde sein Auge geschult. Mit Moos überwachsene, knorrige, halb vermoderte Stücke, Jahrzehnte lang im feuchten Boden liegend, das sind ihm die liebsten. „Die Hälfte macht die Natur selbst“, sagt Friedrich August Bielenstein zum Arbeitsprozess. Er hilft nur nach, arbeitet heraus, macht sichtbar. Die Rinde wird entfernt, um zu schauen, was drunter ist. Mit Kettensäge, Beil, Flex und Bohrmaschine wird solange geschliffen, bis Form, Färbung und Maserung frei liegen. Dann heißt es gewöhnlich: Bitte anfassen. Wenn es sich nicht gerade um einen von Würmer zerfressenen Eichenquader handelt, der so trocken ist, dass er sofort auseinander fallen würde.

Nun ist der Mensch ja gerade Mensch, und stolz darauf, weil er den Ur- und Naturzustand meint lange hinter sich gelassen zu haben. Die Schönheit von Bielensteins Blöcken kommt irgendwoher tief unten aus dem Archaischen, gegen das der heutige Kunstmensch ja ein waches Misstrauen hegt. Soll man ein dickes Stück Holz streicheln? Unbedingt. Vertiefen soll man sich in die Linien und weichen Formen. Wo kommt all das Abstrakte wohl her, was in Bunt und Teuer auf zeitgenössische Leinwände gepinselt wird? Bielensteins Figuren zeigen es. In ihnen ist Vergänglichkeit und der Ablauf der Zeit, Alter und Tod, das ewig Rad des Lebens, also die Themen der Moderne eingeschrieben. Wir haben vergessen, was die Natur uns lehren möchte. Die Windungen und Verknarzelungen, die fantastischen Details, die des Schöpfers Hände da herausformten, stellen so manches Gegenwärtige in den Schatten. Die Formensprache der Natur ist nicht modern, sie ist zeitlos. Bielenstein ist da nur Überträger, oder eben Enthüller. Er arbeitet mittlerweile mit 28 verschiedenen Holzsorten. Buche, Eiche, Kastanie, Robinie, Ulme, die quasi ausgerottet ist, wie es auf einem Schild steht, Lärche, Fichte, Weide – wer kennt die restlichen? Richtig experimentell wird die Holzenthüllung, wenn sie so genannten Angstauswuchs bloßstellt und poliert. Kleine Kraterlandschaften dort, wo der Baum eine Vielzahl von Ästchen ausschlagen ließ, um sich vor plötzlichem Lichteinfall zu schützen. Oder wenn Bielenstein Pilze als Helfer einsetzt. So züchtet er jenen in einer Tonne voll Sägespäne, der für die fast grafischen Strukturen der Marmorfäule verantwortlich ist. Ein anderer lässt Stücke gar grün einfärben.

Zwei der sechs Schwestern von Friedrich August Bielenstein lockern die Ausstellung im Gründerzentrum auf, damit sie wohl nicht allzu hölzern wirkt. Die jüngere, Anna Kempe, steuerte abstrakte Collagen und Holzdrucke bei. Die Ältere, Franziska, zeigt Porträtarbeiten in Öl. Während der Bruder der Gestaltungskraft der Natur vertrauen kann, müht sich hier der Mensch auf sich allein gestellt um den eigenen Ausdruck. Der Weg in die Emanzipation von den natürlichen Ursprüngen ist beschwerlich. Ein Blick auf die Wurzeln – sogar wörtlich zu nehmen – wie ihn Friedrich Bielensteins Enthüllungen gewährt, kann da sogar hilfreich sein.

Matthias Hassenpflug

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