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Kultur: „Eine Dorne unter Rosen“

Pfarrerstöchter in der DDR – ein Buch von Barbara Wiesener

Angela Merkel hätte ohne Zweifel bestes in das Buch von Barbara Wiesener hineingepasst. Aber die vielbeschäftigte Bundeskanzlerin musste der Herausgeberin aus Zeitgründen eine Absage erteilen. Mit Sicherheit hätte sie auch davon erzählen können, wie sie als Pfarrerstochter zu DDR-Zeiten aufwuchs – in einer Spannung zwischen den politischen Gegebenheiten und Anforderungen seitens des Staates sowie den häuslichen Bindungen und Traditionen, die miteinander nicht harmonieren konnten.

Vierzehn Pfarrerstöchter, die zwischen den Jahren 1937 und 1965 geboren wurden, konnte Barbara Wiesener für ihr Projekt gewinnen, zu erzählen über ihre Erfahrungen zu Hause, in der Schule und im Beruf. Es sind keine Interviews, die die Herausgeberin in „Töchter der Opposition – Pfarrerstöchter in der DDR“ (Arke Verlag Potsdam) veröffentlicht, sondern jede der Beteiligten wird zur Autorin. Die einzelnen Texte sind natürlich von unterschiedlicher Qualität. Einen literarischen Anspruch verfolgen sie keinesfalls. Doch jeder Beitrag gibt einen spannenden Einblick in die besondere Rolle der Pfarrhäuser zu DDR-Zeiten, schließlich galten sie als „Bastionen geistigen Bürgertums“, wie es Friedrich Schorlemmer einmal formulierte.

Lebhafte Bilder treten beim Lesen vor Augen und auch farbige, Bilder von Personen, Ereignissen, Miniaturen und weite Panoramen, Lebensjahre, durchlitten und vom Glück erhellt, den Osten Deutschlands, die DDR. Man nimmt sie mit ihren Licht- und vor allen Schattenseiten deutlich wahr.

„Pfarrerstöchter, Müllers Vieh, geraten selten oder nie ...“ Diesen eher altbekannten unfreundlichen Spruch zitiert zu Beginn des Buches die Herausgeberin Barbara Wiesener, die selbst Pfarrerstochter ist und in Potsdam aufwuchs. In ihrer Einführung berichtet sie davon, dass sich das Bild von Pfarrerstöchtern in den vergangenen 100 Jahren nicht ganz so stürmisch verändert habe, wie das der Frauen insgesamt. Tugendhaftigkeit, Sanftmütigkeit, Gottesfürchtigkeit und Güte wurden und werden auch heute noch teilweise von ihnen erwartet. Manche ihrer Eltern würden nach wie vor gern sehen, dass sie einen Pfarrer heiraten und als Pfarrfrauen Tag und Nacht der Gemeinde zur Verfügung stehen. Manche studierten selbst Theologie und gingen als Pfarrerin in Gemeinden, andere haben sich ganz und gar einem „weltlichen“ Beruf zugewandt.

Bettina Viebeg, die heute als Körperpsychotherapeutin in Potsdam tätig ist, schreibt über ihre Kindheit, dass sie als einziger Nichtpionier in ihrer Klasse eine Ausnahme war, „was beim wöchentlichen Fahnenappell das homogene Bild störte. Einmal trug ich statt der weißen Pionierbluse eine rosa Bluse. Ein Lehrer bemerkte das und sagte zu mir: ,Bettina, eine Dorne unter so vielen Rosen“.“ Obwohl sie einen Zensurendurschnitt von 1,0 vorweisen konnte, wurde sie nicht zur Erweiterten Oberschule zugelassen. Bei ihren Brüdern, die ebenfalls die Oberschule nicht besuchen durften, hat sich ihr Vater gegen die Zurückweisung des Antrags sehr eingesetzt – mit Erfolg. „Als Mädchen reicht es doch auch, wenn du einen ordentlichen Beruf lernst und später eine gute Mutter wirst“, meinte der Vater. Gern hätte Bettina Viebeg Medizin oder Psychologie studiert. Sie erlernte aber zunächst den Beruf einer Kinderkrankenschwester, dann wurde sie Krippenerzieherin. Doch nach der Wende konnte sie, die einen Pfarrer geheiratet hat, studieren: Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Auch eine Ausbildung in körperorientierter Psychotherapie mit einem Heilpraktikerabschluss absolvierte sie.

Hildegard Rugenstein, die heute Pfarrerin an der Französischen Kirche in Potsdam ist, berichtet, dass, wenn es Schwierigkeiten mit Lehrern gab, die Eltern immer ihre Rechte vertreten haben oder sie „ganz erwachsen auf die Seite genommen und mich um Nachsicht mit unfähigen, etwas hilflosen oder bornierten Lehrern gebeten“. Hildegard Rugenstein wollte sogar in der FDJ dabei sein, um mitdiskutieren zu können, die Jugendweihe empfangen, denn im Gelöbnis sah sie kein atheistisches Bekenntnis, sondern vielmehr „ein Versprechen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu gestalten und zu verbessern. Das wurde mir von verschiedenen Seiten übel genommen“. Die heutige Pfarrerin konnte dann sogar die Erweiterte Oberschule besuchen.

Für Bettina Lange, die in Neuruppin zu Hause war und heute in Potsdam lebt, stellte sich dagegen die Frage der Beteiligung an der Jugendweihe erst gar nicht. Sie wurde von ihr ignoriert. Doch sie und ihre beiden Schwestern durften dennoch zur Oberschule gehen. Sie erzählt, dass auch sie sich dem DDR-System angepasst habe. „Im Staatsbürgerkundeunterricht habe ich einerseits kritisch diskutiert und trotzdem geschrieben, was für eine gute Zensur nötig war. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es Mitschüler gab, die das glaubten, was zu sagen und zu schreiben nötig war.“

Die meisten Pfarrerskinder gehörten in der DDR zur Opposition, aber viele von ihnen wurden einfach dazugerechnet. Sie waren eben Söhne und Töchter von Pfarrern. Und die meisten von ihnen konnten sich aus ideologischen Gründen mit dem Staat DDR nicht solidarisieren. Doch sie hatten, wie Pfarrer Ehrhart Neubert einmal in einem Porträt über Angela Merkel sagte, einen „zähen emanzipatorischen Willen“.

Töchter der Opposition, Pfarrerstöchter in der DDR, Herausgeberin Barbara Wiesener, Arke Verlag Potsdam, 12 Euro.

Das Buch wird am 24. Januar, 19 Uhr im Gemeinderaum der Friedenskirche, Am Grünen Gitter 3, in der Reihe „Kamingespräche“ vorgestellt.

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