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Hannah Prasse als Mariane (r) und Arne Assmann als Valère vom Theater Poetenpack spielen „Molieres Tartuffe“ auf der Bühne im Heckentheater am Neuen Palais.

© ZB/Jens Kalaene

Es tartüffelt: Das Poetenpack rappt im Heckentheater Molière

Bunt und bröselig, aber vor prächtiger Kulisse: Das Poetenpack zeigt in Potsdam „Tartuffe“.

Sanssouci - Ganz zum Schluss, im Schlosspark am Neuen Palais ist es Nacht geworden, tartüffelt es auf dem Weg zu Autos und Fahrradständern unüberhörbar. „Tartuffe, Tartuffe, ich komme wieder“, wurde eben auf der Bühne gesungen, das letzte von einer ganzen Reihe von Liedern, jetzt summt und flüstert es unter den Gästen vor sich hin. Heuchler und Betrüger wird es immer geben, das ist die düstere Botschaft dieses Stücks im barocken Heckentheater. Das Poetenpack hat sie denkbar fluffig und leicht verpackt. Für Gänsehaut oder tiefere Einsichten ist hier kein Platz, für Ohrwürmer schon.

Es gibt Meinungen, die besagen, ein „Tartuffe“, obschon Komödie, sei an sich ein zu schweres Gepäck für Sommertheater. In Letzterem muss immer alles groß genug sein, um gegen Himmel, Vögel, und, wie in Sanssouci, jahrhundertehohe Bäume anzukommen - vom Protzbau Friedrich des Zweiten selbst, dem Neuen Palais, gar nicht zu reden. Der liegt im Rücken der Zuschauer:innen im Heckentheater, Friedrich hat es 1765 selbst errichten lassen. In der Pause lässt es sich bei einem Glas Wein vor dessen Fassade auf- und abwandeln. Wie kann die Thesenhaftigkeit von Molières Stück, die zwielichtige Boshaftigkeit eines Tartuffe, die unerklärliche Verführbarkeit eines Orgon da mithalten?

Die Antwort der freien Theaterkompanie Poetenpack unter der Regie von Kai O. Schubert lautet: Indem man Molières Verse rappen und singen lässt - hauptsächlich von Arne Assmann und hauptsächlich begleitet an der Gitarre. Und zweitens: Indem die acht Spieler:innen die Texte körperlich ausagieren, was das Zeug hält. Es wird mit den Augen gerollt und gestikuliert, gesprungen und auf der Bühne herumgeklettert, getanzt und gerutscht, wo es nur geht. Die Bühne von Janet Kirsten bietet dafür gute Voraussetzungen: Auf zwei Treppchen, einem Zylinder, einer Schräge lässt es sich bestens turnen - und Versteck spielen. Später dann.

Zunächst aber öffnet sich visuell beeindruckend in der weißen Bühnenwand ein mannshohes Guckloch und gibt den Blick frei in das dahinterliegende Grün. Hindurchstolziert kommt: Vorneweg, mit bepuschelter Duschhaube auf dem Kopf, Madame Pernelle (Camilla Hiepko). Umschwänzelt, umdienert und belächelt von ihrer Entourage: Schwiegertochter Elmire (Julia Borgmeier), deren Bruder Cléante (Ralf Bockholdt), Enkelin Mariane (Hannah Prasse) und deren Zofe Dorine (Felix Isenbügel).

Und schon wird das erste Lied angestimmt: „Er wird Euch auf dem Weg zum Himmel führen“, in ermüdender, von Augenrollen begleiteter Wiederholung. Er, das ist Tartuffe, ein vorgeblicher Geistlicher, dessen Scharlatanerie alle durchschaut haben - außer Madame Pernelle und ihr Sohn Orgon. Die beiden sind Tartuffe mit Haut und Haar verfallen, und sie haben hier bedauerlicherweise das Sagen.

„Tartuffe“ heißt dieses Stück, aber sein eigentliches Rätsel, sein ernster Kern, sind Orgon und dessen Mutter - zwei Menschen in Machtposition, die nicht merken wollen, wie sie sich verirrt haben. Wenn das nicht aktuell ist! „Man darf nicht alles glauben, was man sieht“, sagt die unverbesserliche Madame Pernelle zu später Stunde einmal, als Sohn Orgon schon selbst mit ansehen musste, wie der angeblich ach so fromme Tartuffe Orgons Frau intim bedrängt hat mit den Worten: „Wer im Geheimen sündigt, sündigt nicht.“

Tartuffe, gespielt von André Kudella, ist der einzige, der hier darstellerisch keine Clownerien anstellen muss, sich fast normal verhalten und so mit dem Publikum verbünden darf - der Ohrwurm am Ende zeigt: Es hat funktioniert. Darin liegt dieser „Tartuffe“ richtig: Tartuffe ist tatsächlich ein Einwickler, Verführer. Einer, dem Orgon sein Geld und Haus vermachen will - und seine eigene Tochter gleich dazu.

In einigen Szenen ahnt man, was diese Spieler:innen könnten, dürften sie mehr als lebensgroße Harlekine sein. Tochter Mariane, gespielt von Hannah Prasse, ist herzzerreißend gespalten zwischen töchterlicher Liebe zum Vater und der Liebe zum Musiker Valère (Arne Assmann). Julia Borgmeier als Orgons Ehefrau Elmire kann es in ihrer Kühle und dem klaren Blick auf die Verhältnisse beinahe mit Tartuffe aufnehmen - da passt es, dass sie irgendwann sagt: „Dauernd wird hier gesungen! Wo bin ich hier gelandet?“

Das fragt man sich im Publikum tatsächlich auch. „Wovon man nicht sprechen kann, davon muß man singen!“, hat der Filmemacher Alexander Kluge in Bezug auf Opern mal gesagt, und vielleicht war so etwas auch hier gemeint. Hier aber tun sich in der slapstickhaft eingestreuten Musik keine neuen Ebenen auf. Eher zerbröselt der bedenkenswerte Kern des „Tartuffe“ so in alle Winde, ein wenig wie die Krümel der Brezel, die es in der Pause gab.

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