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Kultur: Grimmelshausen als Antikriegsschriftsteller Ein „Simplicissimus“-Kommentar im Kutschstall

Es war eine recht interessante Lesung, mit der am Mittwochabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte die im vergangenen Jahr begonnene Vortragsreihe zum Thema „375 Jahre Schlacht von Wittstock“ endete. Ausgangspunkt war diesmal Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen, der im 27.

Es war eine recht interessante Lesung, mit der am Mittwochabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte die im vergangenen Jahr begonnene Vortragsreihe zum Thema „375 Jahre Schlacht von Wittstock“ endete. Ausgangspunkt war diesmal Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen, der im 27. Kapitel des zweiten Buchs seines 1668 erschienenen Romans „Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“ das Gemetzel eben dieser Schlacht beschreibt. Eine Schlacht, in der die schwedische Armee am 4. Oktober 1636 südlich von Wittstock das zahlenmäßig überlegene kaiserlich-sächsische Heer besiegte. Dass sich Grimmelshausen für sein drastisches Schlachtengemälde nicht nur einer literarischen Vorlage bediente, sondern sich sogar als Antikriegsschriftsteller erweist, war der Schluss, zu dem der Präsident der Grimmelshausen-Gesellschaft, Peter Heßelmann, an diesem Abend am Ende seines Vortrags kam.

Grimmelshausens „Simplicissimus“, der bedeutendste deutschsprachige Roman des Barockzeitalters, beschreibt in fünf Büchern den turbulenten Lebensweg des Melchior Sternfels von Fuchshaim, der sich zurzeit des Dreißigjährigen Krieges mal als Narr oder Musikant, mal als Händler, oft aber auch als Soldat oder Räuber durchschlägt und am Ende schließlich Einsiedler wird. Sind in diese so üppig pralle Abenteuergeschichte auch eigene Erfahrungen des Autors eingeflossen, handelt es sich doch nicht um einen autobiografischen Roman. Heßelmann weist darauf hin, dass man ohnehin nichts über die ersten Lebensjahrzehnte Grimmelshausens wisse und nur vermuten kann, dass dieser die Schlacht von Wittstock als jugendlicher Trossknecht lediglich vom Hinterland aus beobachtet haben dürfte.

Dass diese Schlachtszenen im „Simplicissimus“ dennoch so realitätsnah geschildert werden, liege nicht zuletzt daran, dass Grimmelshausen in seinem Werk generell eine große Anzahl von Texten unterschiedlichster Gattungen montageartig verarbeitet hat, häufig ohne Verfasser oder Titel zu nennen. So sei mittlerweile nachgewiesen, dass er die Kampfdarstellungen weitgehend unverändert aus dem erstmals 1590 erschienenen Roman „Arcadia“ des englischen Renaissancedichters Philipp Sidney übernommen und durch die Ergänzung militärischen Vokabulars des Dreißigjährigen Krieges aktualisiert habe. Hinzu komme jedoch bei Grimmelshausen eine deutliche Intensivierung der lautmalerischen Elemente, Kontraste und ironischen Kommentierungen. Es sei Grimmelshausen darum gegangen, so Heßelmann, durch diese Akzentverschiebung die Perversion der Weltordnung und die Kriegsgräuel als Abschreckung herauszustellen.

Interessanterweise findet sich in Grimmelshausens 1667 erschienenen Traktat „Satyrischer Pilgram“ ein entsprechender Hinweis, auf den Heßelmann aufmerksam macht. Nicht nur, dass der Autor seine Schreibintention darin sieht, junge unerfahrene Menschen vor dem „grausamen Monstrum“ Krieg zu warnen. Nein, er kündigt dort auch bereits an, durch einen „simplicianischen Erzähler“ abschreckende Exempel von der Grausamkeit des Krieges vor Augen zu führen. Scheinbar eine Einstimmung auf die später geschilderte Schlacht von Wittstock?

Bei aller Plausibilität seiner These, ist es ein bisschen schade, dass Heßelmann vornehmlich auf die Rhetorik und die sprachliche Struktur des Textes eingeht, nicht aber auch auf den närrischen „einfältigen“ Helden selbst, dank dem der „Simplicissimus“ traditionell als Schelmenroman besteht. Ein anderer Narr, der seinen Zeitgenossen permanent den satirischen Spiegel vorhält und für eine Antikriegsaussage taugt, ist Oskar Matzerath aus Günter Grass’ „Blechtrommel“ von 1959. Und indem Heßelmann zum Ausklang seines Vortrags anhand einiger Romane von Grass Bezüge und verblüffende Parallelen zum „Simplicissimus“ aufzeigt, zeigt auch er ein kleines Schmunzeln. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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