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Kultur: Im Konfetti des Glücks

Zum Wildwuchs-Festival des Hans Otto Theaters in der Reithalle zeigten sich die Dramatiker von morgen

Bereits zum zweiten Mal bietet das Potsdamer Hans Otto Theater einen Raum für ein Festival junger Dramatiker. Woher kommen die Texte für die Inszenierungen der Zukunft, welche Köpfe stecken dahinter? In Kooperation mit der Berliner Universität der Künste (UdK) wurden am vergangenen Samstag Werkstattinszenierungen gezeigt. Die Idee, hinter der Intendant Tobias Wellemeyer, der Potsdamer Autor und UdK-Professor für Szenisches Schreiben John von Düffel und die UdK-Produktionsdramaturgin Marion Hirte stecken, erzeugte eine beeindruckende Resonanz: Der Beginn des Wildwuchs-Festivals musste sogar etwas nach hinten korrigiert werden, weil der Ansturm größer als erwartet ausfiel.

Zu Recht, muss man sagen. Nach einer turbulenten Probenwoche konnten nun vier Stücke präsentiert werden, wobei die ersten drei von Schauspielstudierenden der UdK inszeniert wurden. Aber Intendant Wellemeyer ließ es sich natürlich nicht nehmen, eines der Stücke mit Schauspielern des hauseigenen Enembles zu besetzen.

„The Magic Roundabout“ hieß die erste Textcollage, in welcher Studierende des 12. Jahrgangs mit einer realen Grundlage arbeiteten. Vergangenes Jahr wurde ein 21-jähriger deutscher Investment-Banking-Praktikant in London tot aufgefunden: Er hatte sich förmlich totgearbeitet, weil er der Beste sein wollte. „The Magic Roundabout“, das magische Karussel, wird die Metapher für das exzessive Arbeiten genannt, bei dem man früh nach Hause fährt, duscht und sich umzieht, während draußen bereits das Taxi wartet, um einen zurück ins Büro zu bringen. „Wer seine Grenzen nicht kennt, der hat auch keine“, hieß es an einer Stelle des Stückes, in dem die Unfähigkeit biografischer Annäherungen thematisiert wird.

Im Stück „Gespräch mit einer Stripperin“ gibt Autor Jakob Nolte Vollgas: Der Auszug aus dem Stück hat Esprit, ein Dialog zwischen einem Tierpfleger im Vogelpark und einer, nein: zwei Stripperinnen, wobei ein Rettich im Bett eine Rolle spielt. Es wird viel geredet, wobei das einzelne Wort weniger wichtig ist. Ein schräges Stück: verdammt gut gemacht, aber irgendwie schwer zu verstehen. Autor Nolte selbst ist jedoch ein Freak, was gar nicht abwertend gemeint ist. Verkauft er im anschließenden Gespräch absichtlich dieses Nerd-Image? Ein Komiker vielleicht? Eins steht fest: Nolte vergisst man so schnell nicht, da kommt noch Großes von ihm, ganz bestimmt.

Der Höhepunkt des Abends war jedoch unbestritten die Kapitalismus-Satire „Ein trojanisches Kalb“ von Heidi Fuchs. Hier wird konsequent die Werbeindustrie durch den Kakao gezogen: „Bread Box“ statt Brotdose. Die Werbeagentur „Rats and Fats“ wird vom reichsten Mann der Welt beauftragt, für zehn Milliarden Gage den Kapitalismus abzuschaffen. Was jahrelang mit Waffengewalt nicht geglückt ist, soll die Werbung jetzt schaffen, indem sie das Image verändert. Herausgekommen ist dabei ein hochintelligentes Stück über die scheinbare Weltveränderung, die durch Identifizierung mit Marken vorgespiegelt wird. Das Stück, das voller Elemente des Bewegungstheaters ist, wird zu einem mitreißenden Volltreffer, der im „Konfetti des Glücks“ endet. Toll!

In der Inszenierung von Wellemeyer wird die Zigarette als Coolness-Faktor wieder salonfähig, das kennt man ja von ihm. „Traurigkeit & Melancholie“ von Bonn Park zeigt René Schwittay als George, die Verkörperung des Zeitlosen. Der Text besitzt viel lyrische Kraft, die Message dahinter wird jedoch allzu oft abgeschnitten. Eine durchaus beeindruckende Inszenierung von Wellemeyer, allerdings ist das Vulgäre um des Vulgären willen eine schwache Lösung, Genitalien sind eben eine schlechte Metapher für Zeitverlust. Als George sich dann in eine „schwule, schwarze, behinderte Frau verwandelt“, lässt der Text sein lyrisches Potenzial plakativ verbluten. Manchmal ist weniger eben mehr.

Was bleibt am Schluss? Ein beeindruckender Abend, der Lust auf mehr macht. Vielleicht sollte man der Werkstattschau ein geringeres Intervall als lediglich einmal im Jahr bieten. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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