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Kultur: „Und noch immer der Brunnen“

Marthas malerischer Grenzgang im Frauenzentrum primaDonna

In kräftigem Ultramarin leuchtet das Blau auf dem knittrigen Seidenpapier, suggeriert Tiefe. Als hätte sich die intensive Farbe in keine Form fügen wollen, wird sie durch ein eisernes Band zusammengehalten, gleichsam gerafft und konzentriert. Und verläuft hinter dieser Umgrenzung in dunklen Wassertönen. Das Bild heißt „Und noch immer der Brunnen“, nach einer Verszeile aus dem Gedicht „Daten“ von Marie-Luise Kaschnitz. Diese Zeile wählte die Malerin Martha, mit bürgerlichem Namen Irene Leps, auch als Überschrift für ihre Ausstellung in den Räumen von primaDonna im Frauenzentrum. Dort zeigt die Künstlerin aus Zerbst noch bis Ende Februar Bilder und Objekte.

Drei „mysteré“-Kästchen, granatapfelrot bis hellviolett, hüten ihr Geheimnis. Zwei von ihnen bergen ein Fundstück, das dritte ein winziges Unikatbuch, in dem die Rätsel des Lebens geschrieben stehen. Gegenüber hat „Die Hinterlassenschaft der Großväter“ Platz gefunden: Ein größerer und ein kleinerer Kasten, in Weiß und Himmelblau, geben Erinnerungsspuren einen Rahmen. In dem großen Kasten sind Fundstücke aufgehoben, Gegenstände aus vergangener Zeit. Mit ihrer Patina rufen sie bei allen, die auf eine Kindheit in den 60er Jahren zurückblicken, die Erinnerung an eigene Großväter wach. Der kleinere enthält ein Leporello mit den persönlichen Bildern, die der Großvater der Künstlerin in ihrem Gedächtnis hinterlassen hat. Diese Arbeit bewahrt deutlich ein Stück von Marthas individueller Lebens- und Familiengeschichte auf. Sie ist in Beziehung gesetzt zur kollektiven Geschichte, in die der Einzelne eingebettet ist. Darauf, wie Vergangenes unser gegenwärtiges Miteinander beeinflusst, verweisen die Zeichnungen der Serie „Schweigen“. Die sechs Bilder, mit Tusche und Kohle gearbeitet, enthalten jeweils mehrere transparente Schichten. Stilisierte Gesichter, nachdenklich, traurig oder ausdruckslos-stumm, hinter denen gedämpft wie Schatten dunkle Flächen und Konturen schimmern und Gedanken und Gefühle zu stören scheinen. Nur selten wird uns bewusst, wie sehr vergangene Erlebnisse und Erfahrungen –Verletzungen, Tabus oder Familiengeheimnisse, die über Generationen weiter wirken, aber auch kollektive Traumata – in das alltägliche Leben hinein wirken.

Martha Irene Leps studierte Kunstpädagogik und Germanistik in Berlin. Seit 1996 arbeitet sie als freischaffende Malerin. Die vierfache Mutter hat außerdem bereits mehrere zauberhaft-phantasievolle Kinderbücher geschrieben und illustriert und sich als Bühnenbildnerin für eine Puppenbühne ausprobiert. Gemeinsam mit anderen Künstlerinnen gründete sie 2000 die Gruppe ALBA BLAU und beteiligte sich an mehr als 20 Ausstellungen; in Potsdam waren ihre Arbeiten zuletzt 2006 in der Galerie Zitrus („Fruchten und Tragen“, gemeinsam mit Detlef Birkholz) zu sehen.

Marthas Werke sind inspiriert durch Texte von Dichterinnen wie Hilde Domin, Marina Zwetajewa, Anna Achmatowa oder Marie-Luise Kaschnitz. In diesen Texten findet die Malerin Berührungspunkte, zu denen eigene Bilder entstehen. Es sind Gedanken, Gefühle, Erlebnisse, aber auch Ahnungen und Visionen, denen sie in ihren Objekten und Bildern durch Farben und Formen, Strukturen und Materialien Gestalt verleiht.

Ein Fundstück – das kann verschiedenster Art sein, vom Kästchen in „Einst Raum“ bis zum vegetativen Ornament in „mysteré“ – ist oft in sie hineingewoben und erzählt in den ungewöhnlichen Bezügen seine Geschichte neu.

Die Arbeiten zeigen innere Räume, gewähren Einblicke in seelische Landschaft. Manchmal fürchtet Martha, mit ihnen zuviel von sich preis zu geben – von ihrer Seele, ihren Ängsten und Sehnsüchten: Es ist ein Grenzgang, auf dem sie sich befindet. Gabriele Zellmann

Bis Ende Februar, Fauenzentrum, Zeppelinstraße.

Gabriele Zellmann

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