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Sport: Ausgerechnet Chef-Doper Manfred Höppner war der wichtigste Informant der Kriminalpolizei

Der Regieraum des staatlich verordneten Schreckens war gerade mal drei Quadratmeter groß. Für einen richtigen Schreibtisch reichte der Platz nicht.

Der Regieraum des staatlich verordneten Schreckens war gerade mal drei Quadratmeter groß. Für einen richtigen Schreibtisch reichte der Platz nicht. Eine Platte, an der Wand befestigt, musste reichen. Ein groteskes Kontrollzentrum. Hier wurde entschieden, wie intensiv 10 000 DDR-Sportler mit Anabolika gemästet wurden, hier wurde festgelegt, dass 12-Jährige Dopingpillen schlucken müssen, hier wurden Anabolika-Pillen bis in den letzten Winkel der Republik verteilt. Hier saß Dr. Manfred Höppner. In einer tristen Mietskaserne in Berlin, Prenzlauer Berg, Czarnikauer Strasse 21. Höppner war Stellvertretender Chef des Sportmedizinischen Dienstes, er war in der Doping-Hierarchie der DDR ganz weit oben, aber er hatte weniger Platz als ein Pförtner in einem VEB-Kombinat. Er nahm es hin, die ganzen Jahre. Es ist, wenn man so will, ein kleines Zeichen dafür, dass er anders ist als die anderen Top-Funktionäre. Höppner ist ganz bestimmt anders als seine früheren Kollegen. Seine früheren Kollegen leugneten oder sie schwiegen. Oder sie wälzten Verantwortung ab, als die Mauer gefallen und Deutschland vereint war und die Kripo nach der Verantwortung beim Doping-Programm fragte. Aber Höppner redete. Er redete wie kein anderer. Über sich, über andere, über das gesamte Dopingprogramm. Der Chef-Doper der DDR, sagt ein Kripo-Ermittler, "hat total die Hosen heruntergelassen". Es ist kaum zu glauben, aber es ist wahr: Manfred Höppner, einer der Hauptverantwortlichen des DDR-Dopings, war der wichtigste Informant der Kripo-Ermittler von der Zentralen Erfassungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV). "Ohne ihn", sagt ein ZERV-Ermittler, "hätten wir den Wust von Stasi-Akten niemals so schnell durcharbeiten können. Und er hat zu jedem einigermaßen wichtigen Beteiligten des Doping-Programms ausgesagt." Wichtige Doping-Unterlagen hatte schon der Heidelberger Doping-Experte Werner Franke 1990 in der Militärmedizinischen Akademie in Bad Saarow abtransportiert. Franke hat einen unschätzbaren Anteil an der Aufarbeitung des DDR-Dopings. Aber es gab noch weitere Berge von Stasi-Akten zum Thema Doping. Doch die waren chaotisch sortiert, und für die Ermittler waren sie teilweise reines Fachchinesisch. "Dank Höppner", sagt der ZERV-Ermittler, "haben wir das ganze System erst mal durchschaut." Höppner erzählte den Kripoleuten, wo noch weitere Akten zu finden sind. Er erzählte umfassend über das berüchtigte Forschungsinsitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig, das intensiv die optimale Anwendung von Dopingpillen ermittelte. Er redete über den FKS-Professor Winfried Schäker, der Menschenversuche unternahm, als er eine Kombination aus Anabolika und Neuropeptiden bei Leistungssportlern einsetzte. Über diese Experimente schrieb schon Franke in seinem Buch "Doping-Dokumente". Und Höppner redete auch über sich selbst. Er räumte umfassend seine eigene Schuld ein.

Höppner hatte schon 1990 streng geheime Doping-Dokumente an den "Stern" verkauft. Aber der Kripo dechiffrierte er viele Unterlagen. Die Ermittler konfrontierten viele Ärzte und Trainer mit konkreten Vorwürfen. Die sagten daraufhin, teilweise jedenfalls, aus, weil Leugnen nun wenig Sinn machte. Letztlich, sagt der ZERV-Ermittler, gehen die meisten Anklageschriften auf Höppners Aussagen zurück.

Höppners Schuld ist dadurch nur sehr bedingt gemildert. Er nahm Folgeschäden in Kauf. Er ließ Kinder dopen. Er ließ nach immer perfideren Anwendungen von Doping-Pillen forschen. Aber Höppner war auch eine gespaltene Persönlichkeit. Täter und Verhinderer zugleich. Er genehmigte Dosierungen und hatte zugleich Skrupel. "Weiterhin wäre es notwendig, dass ein bestimmter Teil, speziell der weiblichen Athleten, für die Dauer von mindestens zwei Jahren von der Einnahme von Anabolika ausgeschlossen wird, damit sich die inneren Organe erst einmal wieder normalisieren und stabilisieren." Das sagte Höppner auch. Vor der Wende. Er sagte es seinem Stasi-Führungsoffizier. Die "verheerenden Auswirkungen" (Höppner) des Dopings machten ihm Angst. Das muß nicht allein Mitleid mit den Sportlern sein. Vielleicht befürchtete er einfach auch nur, dass die ganze Doping-Maschinerie mal auffliegt. Und dass der Chef-Doper Dr. Manfred Höppner dann als Monster beschrieben wird. Diese Skrupel haben schon die Journalisten Hajo Seppelt und Holger Schück in ihrem Buch "ANKLAGE: Kinderdoping" beleuchtet.

"Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte es ein anderer gemacht", sagt er. Das ist natürlich zynisch, aber nur für Außenstehende. Für Höppner ist es eine schulterzuckende Erklärung. Mehr nicht. Aber seine Aussagen vor der Kripo deuten auf innere Unruhe hin. Auf den Drang, etwas gut machen zu wollen. Sie müssen nicht Beweis tiefer Reue sein. Aber Höppner flieht zumindest nicht vor der Verantwortung.

Seine früheren Kollegen müssen wenigstens nicht umdenken, wenn sie von Höppners Kripo-Mitarbeit erfahren. Sie haben schon seit der "Stern"-Enthüllung nur einen Begriff für ihn: "Verräter."

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