zum Hauptinhalt
Niclas Füllkrug jubelt nach dem Spiel.

© dpa/Tom Weller

Fußball-EM in Deutschland: So einen wie Niclas Füllkrug bräuchte man in der Politik

In der deutschen Politik gibt es nur einen Haufen zerstrittener Einzelspieler. So kann man nicht gewinnen. Es bräuchte einen mit einer Vision für das Team.

Ein Kommentar von Anke Myrrhe

Eine EM lässt sich nicht planen. Weder inhaltlich noch spielerisch. Die Trainerteams können vieles vorher durchspielen, Taktik-Trends beobachten, Schwächen der Top-Teams scannen, die eigene Mannschaft so gut es geht vorbereiten in der kurzen gemeinsamen Zeit abseits der internationalen Vereinszwänge.

Doch dann weiß man eben erst am Dienstagabend, wer der Gegner im Achtelfinale am Samstag sein wird, Dänemark, Serbien – oder vielleicht doch England? Und das womöglich mit komplett neuer Innenverteidigung! Überraschungen lauern überall, nichts bleibt, wie es war.

Das gilt auch politisch. Denn die Themen, die so ein Turnier begleiten, sind noch weniger planbar. In welcher Stimmung sich das Land gerade befindet, zeigt sich erst nach dem ersten Tor (für oder gegen Deutschland). Denn vorher – auch das gehört zu jedem Turnier wie die Torwartdiskussion – hat ja überhaupt niemand Lust auf Fußball.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zuletzt verlief das denkbar schlecht: In Katar war der kritische Weg vorgegeben, der Druck auf die Mannschaft war riesig, sich nicht nur vorm Tor, sondern auch gesellschaftlich zu positionieren.

Deutschland präsentiert sich ,pretty in pink’.

Anke Myrrhe, Stellvertretende Chefredakteurin 

Ein verunsicherter Haufen Einzelspieler scheiterte früh, der Frust der Fans entlud sich über sie, den Trainer, aber auch an den Küchentischen: Die Debatten um große Gesten und One-Love-Binden gruben auch tiefe Gräben in ein Land, das sich ohnehin nicht mehr zu verstehen scheint. Kann denn nicht mal der Fußball etwas Leichtigkeit bringen?

Er kann. Und zwar in Pink. Als im März das Auswärtstrikot vorgestellt wurde, entbrannte auch darüber kurz ein kleiner Kulturkampf in den einschlägigen sozialen Netzwerken: Soll jetzt etwa die Großstadt-Hipster-Wokeness auch noch den Fußball kaputtmachen?

Ein paar Wochen später ist klar: Das Land ist viel bunter als die Deutschlandkarte nach der Europawahl (Westen: schwarz, Osten: blau). Das Auswärtstrikot ist schon jetzt das erfolgreichste aller Zeiten, längst vergriffen. Deutschland präsentiert sich pretty in pink. Und ist wieder der fröhliche Gastgeber von 2006.

An diesem Eindruck auf den Straßen können auch die teils schlechtgelaunten Berichte ausländischer Medien nichts ändern, die dieser Tage herumgereicht werden.

Dort wird das Bild Deutschlands geprägt vom englischen Meckern über die Hässlichkeit Gelsenkirchens (waren Sie schon mal in Leeds?!), dem Jammern über den öffentlichen Nahverkehr der „NYT“ (in Texas gibt es nicht mal Bürgersteige!) und der für uns wenig überraschenden Feststellung, dass man in der Hälfte der Restaurants nicht mit Karte bezahlen kann (okay, das nervt). Aber da nehmen die Besucher wenigstens das schöne Wort „Geldautomat“ mit nach Hause, isn’t it wonderful?!

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Im Ernst: Die Probleme dieses Landes sind größer, als es so mancher internationaler Beobachter bisher mitbekommen haben mag. Investitionsstau, Bildungsversagen, Überbürokratisierung, fehlende Digitalisierung … die Liste ist lang. Und die Sorgen der deutschen Wirtschaft sind real.

Sie können nur mit grundlegenden Reformen gelöst werden, die die aktuelle Regierung in ihren Dauerstreitigkeiten nicht auf den Platz bekommt, um mal im Fußball-Bild zu bleiben: Das Vertrauen ist weg, das Team ist ein Haufen zerstrittener Einzelspieler, die nur für die eigenen Fans spielen. So kann man nicht gewinnen.

Es bräuchte einen, der jetzt eine Kabinenansprache hält. Geht’s raus und spielt’s Fußball. Einen, der dem Land zeigt, wo es hingehen könnte, welche Vision er für das Team hat. Olaf Scholz wird dieser Erfolgstrainer nicht sein, das hat er im ARD-Sommerinterview einmal mehr gezeigt. Auch nicht, wenn er am Ende fähnchenschwenkend neben dem EM-Pokal steht.

Also muss es vorerst Niclas Füllkrug richten, mal wieder, der Joker der Nation, mit seinem zahnlückigen Grinsen steht er sinnbildlich für die Unbekümmertheit dieses Teams voller Unterschiede, jung und alt, mit und ohne Migrationsgeschichte – ist das nicht viel eher das Bild, das Deutschland im Jahr 2024 in die Welt senden möchte?

So einen hätte man auch gern in der Politik – aber kann ja noch werden. Die Bahn wird vielleicht auch irgendwann wieder repariert. Den Rest müssen die Menschen selbst schaffen in diesem Land: Die Mannschaft anfeuern bis zum Umfallen, sich vielleicht mal ein paar kreativere Lieder ausdenken als das ewige „Schlaaaaand, Schlaaaand“ – und nicht darauf warten, bis es jemand für sie tut.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false