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Passiert das gerade wirklich? Hendrik Weydandt ist bei Hannover 96 die bislang spannendste und außergewöhnlichste Geschichte der noch jungen Saison. Interview-Anfragen lehnt er bisher trotzdem konsequent ab.  

© imago/Team 2

Hannover 96: Die steile Karriere des Hendrik Weydandt

Hannovers Hendrik Weydandt schaffte es in vier Jahren von der Kreisliga zum Bundesliga-Stürmer und debütierte gleich mit drei Toren.

Von Christian Otto

Manchmal klingt Michael Tarnat wie ein Moralapostel. Der Weg zum Fußballprofi, warnt der frühere Nationalspieler beharrlich, ist steinig und lang. Im Auftrag von Hannover 96 leitet Tarnat ein im deutschen Fußball typisches Nachwuchsleistungszentrum (NLZ). Die Ziele sind klar formuliert. Sichten, ausbilden, zu den Profis weiterreichen: Das ist der Auftrag eines Vereins, der mangels millionenschwerer Budgets darauf angewiesen ist, eigenen Nachwuchs für die Fußball-Bundesliga zu generieren. Im Fall von Hendrik Weydandt hat Tarnat die hohen Erwartungen erfüllt. In der Region Hannover entdeckt, in die Amateurelf gelockt, ganz plötzlich zu den Profis weitergereicht: So geht die wundersame Geschichte von einem 23-Jährigen, der in diesen Tagen damit leben muss, bundesweit als lebendiges Fußball-Märchen beschrieben zu werden.

Von einer solche Karriere im Eiltempo träumt jeder Steppke und Amateur. DFB-Pokalspiel bei Drittligist Karlsruher SC: zwei Treffer im ersten Pflichtspiel auf Profiebene. Bundesligapartie bei Werder Bremen: ein Tor zum Debüt nach nur 75 Sekunden auf dem Platz. Was soll das bloß werden, wenn Weydandt am Freitag (20.30 Uhr/Sky) in diesem Tempo weitermacht? Hannover 96 empfängt mit Borussia Dortmund ein Schwergewicht der Liga. Das Stadion wird mit 49 000 Zuschauern ausverkauft sein. Wieder auf diesen völlig unbekannten Stürmer zu setzen, der vor vier Jahren noch in der Kreisliga auf Hobbyniveau gekickt hat, wäre ein verrückter und zugleich sehr pfiffiger Plan. „Das ist eine Wahnsinns-Geschichte“, sagt Hannovers Trainer André Breitenreiter über Weydandt. Er wird sich gut überlegen müssen, wie stark das Märchen gleich zum Saisonstart strapaziert werden kann.

Angeblich wird der neue 96-Held vom Verein gar nicht weggeschlossen. Es ist offenbar der Wunsch von Weydandt selbst, nicht öffentlich in Erscheinung treten zu müssen. Sämtliche Interviewanfragen laufen ins Leere. Das erspart Fragen dazu, wann endlich der neue Arbeitsvertrag unterschrieben ist, der Weydandt mehr als 12 000 Euro pro Monat sichert. Nach seinem Wechsel vom Kreisligisten TSV Groß Munzel zum späteren Regionalligisten 1. FC Germania Egestorf-Langreder waren 400 Euro pro Monat noch eine große Sache. Jetzt will der BWL-Student mit seinem Vater, der Steuerberater ist, ohne Spielerberater in den VIP-Bereich des Fußballs vorstoßen. „Es ist toll, eine solche Entwicklung begleiten zu dürfen“, sagt Hannovers Sportdirektor Horst Heldt. Er verpflichtet normalerweise Verstärkungen aus Japan, England oder sonst wo. Dieser wuchtige Hendrik mit dem Spitznamen „Hulk“ kommt wie ein Geschenk aus der Provinz daher, mit dem niemand gerechnet hatte.

Auf der Suche nach neuen Kapiteln für diese kuriose Torjäger-Story lassen die lokalen Medien nichts unversucht. Weydandts ehemaliger Juniorentrainer durfte schon darüber berichten, wie gut der kleine „Henne“ bereits im Alter von fünf Jahren war. Die Kumpels aus der Fußball-WG drücken fest die Daumen und glauben an die Entschlossenheit ihres prominenten Mitbewohners. Wer in Hannovers unterklassigen Ligen gut vernetzt ist, bekommt Weydandt gerade als neuen Freund bei Facebook vorgeschlagen. Der Algorithmus des sozialen Netzwerkes kann nicht wissen, dass hier jemand Gefahr läuft, von zu viel Öffentlichkeit und zu vielen neuen Freunden überrumpelt zu werden.

Als Weydandt bei seiner Bundesligapremiere in Bremen eingewechselt werden sollte, benahm er sich wie ein nervöser Grundschüler und vergaß das Anziehen der obligatorischen Schienbeinschützer. „Solche Geschichten schreibt nur der Fußball“, sagte 96-Innenverteidiger Waldemar Anton. Er hat den klassischen Weg über das vereinseigene NLZ geschafft hat und ist heute Stammspieler sowie Kapitän des Profiteams. Den neuen Kollegen mit der besonderen Vita stufen Anton und seine Mitspieler als sympathischen Typen und eiskalten Stürmer ein. Der smarte Weydandt hat sich vorgenommen, lieber erst ein paar Mal mitzuspielen, um dann darüber zu reden, wie es sich ganz oben im Sport anfühlt. Das durchzuhalten, wird viel Kraft kosten und hört sich vernünftig an. Aber wie es im bezahlten Fußball nun mal so ist: Eine stille und bodenständige Geschichte mag kaum jemand hören.

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