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Hans Krankl als österreichischer Nationaltrainer 2004.

© AFP/MARKUS LEODOLTER

Österreichs Fußball-Held Hans Krankl im Interview: „Unser Schmäh kommt bei den Deutschen an“

Der frühere Nationalspieler und spätere Trainer spricht mit dem Tagesspiegel über den „großen Bruder“ im Norden, über Humor, Ernst und Stress beim Kicken - sowie natürlich über Cordoba 1978 und Gijon 1982.

Von
  • Markus Hesselmann
  • Markus Huber

Herr Krankl, Deutschland…
… ist unser Nachbar, viel größer, zehnmal so viele Einwohner. Wir Österreicher haben uns immer an Deutschland gemessen. Wir sprechen die gleiche Sprache, wir haben dieselbe Kultur, wir sind uns ähnlich. Deutschland ist unser großer Bruder, war immer unser Vorbild.

Wie bitte? Keine Erinnerungen an Cordoba, Fußball-WM 1978, Österreich - Deutschland 3:2, zwei Tore von Hans Krankl?
Ich bitt’ Sie, das ist so lange her, das interessiert doch niemanden mehr.

Das stimmt nicht. Ihr ganzes Land zieht viel Stolz aus diesem Sieg, die Radioreportage vom Spiel gehört immer noch zum Standard-Repertoire einer Party. Zumindest, wenn Deutsche dabei sind.
Das ist auch in Ordnung. Schließlich sind diese Reportage und vor allem dieser Sieg österreichisches Kulturgut. So wie es für euch Deutsche eine Schmach ist. Wir haben nach 47 Jahren in einem Bewerb, der sich Weltmeisterschaft nennt, Deutschland geschlagen. Wir sind sehr froh, dass es 1978 bei einer WM passiert ist.

Cordoba war Ihr wichtigster Sieg, weil es gegen die Deutschen ging.
Er gehört zu den Größten, es gab aber auch andere Spiele. Als ich mit dem FC Barcelona das Europacupfinale 1979 gewonnen habe, zum Beispiel. Ich war zwar nicht besonders gut, das muss ich fairerweise sagen, habe aber das entscheidende Tor geschossen.

Danke, schon wieder gegen eine deutsche Mannschaft. Sie spielten im Finale gegen Fortuna Düsseldorf.
Das ist jetzt wirklich nicht meine Schuld, was kann denn ich dafür? Warum kommen die ins Finale? Was hat Fortuna Düsseldorf in einem Europacup-Finale verloren?

Und Dynamo Dresden?
1984, Rapid Wien gegen Dynamo Dresden. Hanappi-Stadion. Ein Jahrhundertspiel.

Wieder die armen Deutschen.
Ich lehne es ab, das so zu sehen. 0:3 in Dresden, wir schon absolut ausgeschieden. Dann 5:0 gegen eine ostdeutsche Mannschaft, die damals zu den stärksten Europas zählte. Das ist ein Highlight.

Österreich - Deutschland, zweiter Teil und wirklich kein Highlight. 1982, die Gurkerei von Gijon. 1:0 für Deutschland im letzten Vorrundenspiel der WM. Beide weiter, Algerien dafür draußen.
Nicht gut. Gar nicht gut. Eine Schande, das Spiel. Es war nicht ausgemacht, aber wir wollten uns nicht mehr anstrengen. Wir waren auch nicht gut drauf. Die Deutschen mussten gewinnen, nur: Gut waren sie auch nicht. Und sie hatten Angst. Dann machte der Hrubesch nach 20 Minuten das 1:0. Die Deutschen waren heilfroh. Sie wussten nicht, dass wir körperlich am Ende waren, platt.

Nur Österreichs Stürmer Walter Schachner nicht. Der kam zur Halbzeit und rannte wie ein Verrückter.
Das ist übertrieben. Schachner spielte gegen Briegel, auch so ein Laufwunder. Die zwei sind eben ein bisschen hin und her gerannt. In der ersten Hälfte war ja noch alles normal. Nur in der zweiten Hälfte sind wir gestanden. Die Deutschen haben gesagt: „He, passt schon. Was wollt’s ihr?“ Nach der Pause war Paul Breitner gekommen: „Ihr werdet’s doch nicht noch den Ausgleich schießen wollen. Wir haben’s geschafft, ihr habt’s geschafft. Die Sach’ ist erledigt.“ Und wir haben gesagt: „Okay.“ Dass sich die Leute empört haben, vor allem im Stadion, verstehe ich, weil es war wirklich nicht zum Anschauen. Man kann die Kugel schon fünf, zehn Minuten hin- und herschieben, so wie jetzt Dänemark und Schweden bei der Europameisterschaft. Gijon, das war zu lang.

Der große Bruder ist…
Wir werden uns nie von ihm befreien können. Irgendwann schreibt die „Bild“-Zeitung wieder, die Ösis, die sind nix. Und schon regen wir uns auf. Vor unserem Testspiel unlängst zum Beispiel hat mir jemand erzählt, Uli Hoeneß hätte gesagt, dass man die Suche nach einem Ko-Trainer für Jürgen Klinsmann gar nicht so wichtig nehmen müsse und Zeit hätte - schließlich würde man als erstes nur gegen die Ösis spielen. Das ist der Schatten, den ich meine. Wir sind die Unterdrückten. Und dann und wann beweisen wir, dass wir es können. Beim Skifahren immer. Aber das bringt nichts.

War das jetzt Wiener Schmäh?
Ja.

Erklären Sie bitte: Was konkret ist ein Schmäh?
Ein guter Spaß - wenn ich also einen Schmäh mache und Sie haben Freude damit und finden das positiv. Ich beleidige Sie nicht, und Sie freuen sich. Wie soll ich das erklären?

Durch ein Zitat von Ihnen? „Natürlich würde ich gern den FC Barcelona trainieren. Aber die haben ja einen Trainer, diesen Holländer. Ich arbeite daran, dass sie den rausschmeißen.“
Das war Schmäh.

Aha.
Is’ er gut? Gefällt er Ihnen? Na also, unser Schmäh kommt bei den Deutschen an.

Finden Sie deutschen Humor lustig?
Anke Engelke!

Ausgerechnet…
Das darf meine Frau gar nicht hören, aber ich liebe Anke Engelke. Sie ist Weltklasse, das teile ich hiermit in Berlin öffentlich mit. Stefan Raab ist auch Weltklasse. Harald Schmidt ist Weltklasse. Stefan Raab ist vielleicht a bisserl tief… also eher untere Schublade, aber das verzeihe ich ihm, er ist Musiker.

Der Satiriker Bernd Eilert hat über Österreich gesagt: „Schade, dass man dieses kotellettförmige Land nicht in die Pfanne hauen und aufessen kann.“ Sieh an, jetzt verschlägt’s Ihnen die Sprache…
Das ist Schmäh. Aber kein besonders guter.

Und Edi Finger, der Reporter beim 3:2 von Cordoba? Wenn der nach Berti Vogts’ Eigentor sagt „Der Berti, jetzt wird er sich ärgern“ - was war das?
Schmäh. Das kam ja auch in Deutschland gut an. Edi Finger hat dafür bei euch Preise bekommen. Ich übrigens auch. Mein erstes Tor, das 2:1, ein Schuss ins Kreuzeck, wurde Tor des Monats im deutschen Fernsehen.

Deutsche tun sich in Österreich schwer. Was war zum Beispiel das Problem von Lothar Matthäus, der sich in Wien als Trainer nicht durchsetzen konnte?
Das Grundproblem von Lothar Matthäus kenn’ ich nicht. Und ich möchte es auch nicht kennen.

In Wien scheiterte ja nicht nur Matthäus, sondern auch Christoph Daum, Joachim Löw, auch Egon Coordes - alles gute deutsche Trainer.
Ich möchte keine Bewertungen über Kollegen abgeben, sonst sind alle böse auf mich.

Kann man sich in Österreich vorstellen, dass ein Deutscher die Nationalmannschaft übernimmt?
Ein Deutscher als österreichischer Nationaltrainer? Das schließt sich aus.

Kann ein Deutscher das nicht?
Können schon. Aber ich möchte das nicht.

Warum?
Ich bin der Meinung, nur ein Einheimischer sollte ein Nationalteam trainieren. Nur er hat das Herz. Er kann am besten empfinden, worum es geht. Das mag altmodisch sein. Aber ich sehe das so. Im Klubfußball funktioniert das, da bringen Ausländer neue Ideen ein, aber bei der Nationalmannschaft sollte es ein Einheimischer sein.

Gute Güte, so nationalistisch?
Was ist Nationalismus?

Wenn man sich und sein Land für was Besseres hält.
Was ich sage, das gilt nur für die Nationalmannschaft. Nicht für Klubs. Wenn mich Schalke als Trainer nimmt, wunderbar.

Schalke?
Ich bin Schalker. Man kann niemals Dortmunder sein. Das ist wie Rapid oder Austria. Wenn man für Rapid ist, muss man für Schalke sein. Das ist ein Arbeiterklub. Das ist Maloche. Das sehe ich so, auch wenn das nicht richtig ist. Meine Lieblingsmannschaft ist allerdings der 1. FC Köln, weil ich Köln liebe, seit ich bei der Fortuna war. Die Kölner haben mich begeistert, weil ich gesehen habe, was das für Närrische sind.

Sie sprechen vom Arbeitermilieu, aus dem Sie kommen. Das ist traditionell eher links.
Ich bin Patriot, aber ich bin nicht politisch. Ich war nie rechts und nie links, ich war Mittelstürmer. Ich lege meine Hand aufs Herz bei der Nationalhymne. Darüber machen sich einige lustig. Das sind Idioten. Ich lege meine Hand aufs Herz, weil ich das bei den Amerikanern gesehen habe. Natürlich gewinnen wir deswegen kein Länderspiel.

Stimmt, Länderspiele gewinnt Österreich zurzeit wirklich nicht viele. Sie stecken in der Krise wie der deutsche Fußball.
Das liegt daran, dass wir uns in den letzten 25 Jahren nur an Deutschland, an unserem großen Bruder, orientiert haben. In der Fußballausbildung, in der Trainerausbildung, im Training. Das war falsch, weil auch Deutschland falsch lag. Es ging nur noch um Kraft, um Kondition. Dabei haben wir die Technik und die Schnelligkeit ganz vergessen. Genau das, exzellente Technik bei großer Schnelligkeit, zeichnet aber die großen Spieler aus - einen Zidane, van Nistelrooy oder Thierry Henry. Das haben sie in Deutschland verschlafen, und wir haben es mitverschlafen. Weil wir das falsche Vorbild hatten.

Cordoba 1978, drunter und drüber.

© dpa

Österreich hatte mal eine Fußballschule, die gerade für ihre Technik bekannt war.
Wir haben uns einfach wirklich immer nur an den Deutschen gemessen. Schon als Spieler haben mir meine Trainer immer gesagt: Wir Österreicher sind die besseren Kicker, und wenn wir auch so rennen und kämpfen könnten wie die Piefkes, dann würden wir sie immer schlagen. Aber das ist ein handfester Blödsinn. Erstens können wir Österreicher kämpfen, und zweitens hatten auch die Deutschen großartige Fußballer.

Rudi Völler zum Beispiel?
Zum Beispiel Rudi Völler.

Genau wie Sie wurde er als Nationalheld auch Teamchef. Haben es Weltklassefußballer als Trainer eigentlich leichter?
Leute wie wir werden von allem aus einem Grund geholt, weil man sich Impulse erhofft und uns einen notwendigen Umbau einer Mannschaft leichter zutraut. Wir haben in der Öffentlichkeit mehr Rechte oder können zumindest länger arbeiten, bevor wir kritisiert werden.

Gijon 1982, ein Tor reicht beiden.

© dpa

Aber gerade als Nationalheiliger können Sie umso tiefer fallen. Warum tun Sie sich das an?
Für einen österreichischen Spieler habe ich alles erreicht. Aber als Trainer? Da habe ich gar nix erreicht, und genau deswegen habe ich da auch noch einen hohen Ehrgeiz. Ich habe in 15 Jahren als Trainer mit vier großen Vereinen gearbeitet - Tirol, Salzburg, Rapid Wien und Admira Mödling - Meister war ich nie. Genau das halten mir auch meine Kritiker vor: Dass ich als ehemaliger Weltklassefußballer kein Weltklassetrainer bin. Aber was ist das schon, ein Weltklassetrainer? Wenn ich bei Barca, Arsenal oder Chelsea wäre - okay, sie würden mich nicht nehmen… Aber mit diesen Mannschaften könnte ich auch Erfolg haben. Binnen sechs Monaten würde ich als einer der besten Trainer Europas gelten. Außer ich bin ein ganzer Trottel, der ich aber nicht bin. Einem Thierry Henry bei Arsenal werde ich nicht das Fußballspielen beibringen, das muss ich auch nicht, aber ich halte ihn bei Laune. Und dann spielt der wie von selbst.

Ist es denn die Hauptaufgabe eines Trainers, die Spieler bei Laune zu halten?
Natürlich muss ich denen die taktischen Aufgaben mitgeben. Was passiert, wenn wir den Ball verlieren? Natürlich muss man den Spielern ein Konzept mitgeben. Aber bei so einem großen Kader einer Supermannschaft ist es wichtig, die Spieler zu motivieren.

Der Schmäh also, wieder mal. Man muss den Schmäh laufen lassen, dann läuft es auch auf dem Platz?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel, damit das verständlich wird. Als ich bei Fortuna Köln zum ersten Training gekommen bin, sind alle Spieler beim Corner zusammengestanden und haben sich nicht gerührt. Keiner hat einen Ball angegriffen. Ich habe gedacht: Gut, okay, wenn ein neuer Trainer kommt, ist das vielleicht so. Aber sie standen einfach da und haben kein Wort geredet. Erst als ich gepfiffen habe, sind sie hergekommen. Das ist kein Spaß. Das ist Ernst. Ich habe dann gesagt: „Hallo meine Herren, ist etwas passiert? Ist wer gestorben?“ Sie haben mich nicht verstanden, weil ich sofort in den Wiener Dialekt verfallen bin. Ich also nochmal: „Ist ir-gend-wer ge-stor-ben? Weil ihr alle so traurig seid’s.“ Verstehen Sie mich? Fußball ist so ernst. Bei Fußball wird man so geprügelt. Fußball ist so ein Geschäft geworden. Es stehen alle so unter Stress. Wenn ich mit der österreichischen Nationalmannschaft nicht gewonnen habe, war ich ein Arsch. Haben wir gewonnen, war ich ein Hero. Trotzdem sind alle Beteiligten Menschen. Sie müssen Spaß haben. Dann können sie Leistung bringen.

Also wenn man, auf Wienerisch gesagt, eine Hetz hat, dann ist das Spiel besser.
Das ist leicht negativ ausgedrückt, das würde ich so nicht sagen. Aber Fakt ist, ich kann auch zu einem Thierry Henry nicht sagen: Henry, du verdienst Millionen, also renn’, du Arsch! Der Henry, der van Nistelrooy, der kleine deutsche oder der kleine österreichische Spieler: Das sind keine Roboter und die muss man entsprechend behandeln - optimistisch, freundlich und vor allem: als Mensch.


Die Fragen stellten Markus Hesselmann und Markus Huber. Dies ist eine leicht gekürzte Version des Interviews, das zur Fußball-WM 2006 in dem Buch „Der Lieblingsfeind. Deutschland aus der Sicht seiner Fußballrivalen“ erscheint. Der Band wird herausgegeben von Markus Hesselmann und Christopher Young und veröffentlicht im Verlag Die Werkstatt.

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