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BFC Dynamo: Wenn Hooligans weinen

Durch die Gewaltorgie im Pokal gegen Kaiserslautern sind alle Bemühungen verblasst, den BFC Dynamo wieder zu einem normalen Fußballklub zu machen

Die Sonne brennt Andreas Thom ins Gesicht. Bodo Rudwaleit auch. Und Frank Rohde. In Hohenschönhausen, dort wo der Fußballklub BFC Dynamo zu Hause ist, hätten sie sich jetzt vermutlich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Das tun die Leute hier oft, vor allem die jungen und erst recht die, die sich als Fans des BFC bezeichnen. Ob die Sonne scheint oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle.

Andreas Thom, Bodo Rudwaleit und Frank Rohde können sich keine Brille aufsetzen. Sie grüßen als überdimensionale Bilder von der Wand des Vereinsheims. Auf einem Mannschaftsfoto sitzen sie in Reih und Glied, all die Fußballer, die einmal hier gespielt haben. Es ist ein Bild aus vergangenen Zeiten, als Dynamo die Meisterschaft der DDR so häufig gewann, dass dem Klub Neid und Ablehnung entgegenschlugen. Heiko Bonan ist nicht auf dem Bild zu sehen. Er kam erst 1989 aus Magdeburg zum BFC, blieb nur zwei Jahre und heuerte 2010 als Trainer erneut bei den Berlinern an. Bonan sitzt unter dem Pavillon des Vereinsheims, einige Fans haben sich zu ihm gesellt. Einer trägt ein weinrotes T-Shirt, auf dem in weißen Runen steht: „Euer Hass macht uns stärker.“ Der Wirt bringt kühle Getränke. Es ist heiß, Schweiß läuft über die fast kahlen Köpfe der Männer. „Darf ich bekannt machen, unser ältester Hooligan“, sagt Bonan in Richtung Zeugwart Detlef Mende. Die Runde bricht in Gelächter aus.

Sie haben manchmal einen seltsamen Humor beim BFC Dynamo, dabei ist vielen hier seit Sonnabend nicht mehr nach Lachen zumute. Beim DFB-Pokalspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern stürmten zirka 300 Hooligans den Block der Lauterer, der Mob machte wahllos auf alles und jeden Jagd – auch auf Frauen und Kinder. Bei den Ausschreitungen wurden 18 Polizisten und viele Fans aus Kaiserslautern verletzt, es gab zahlreiche Festnahmen und viele Fragen. Etwa, wie die Randalierer überhaupt in den Gästeblock gelangen konnten. Die Polizei erhob schwere Vorwürfe gegen den Sicherheitsdienst. Es besteht der Verdacht, dass ein Ordner das Tor zum Block der Kaiserslauterer nicht zufällig geöffnet hat.

Derzeit ermitteln die Staatsanwaltschaft und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in dem Fall, nehmen Video-Auswertungen vor und suchen die Verantwortlichen. „Das wird riesige Auswirkungen auf den Verein haben“, sagt Heiko Bonan. „Irgendeine Sperre wird es sicher geben.“ Dann zieht er fest an seinem Zigarillo. „Wir sind ja Wiederholungstäter.“

Gewalt und Dynamo – das hat Tradition. Anfang der achtziger Jahre begann der Verein, mehr und mehr ins Visier der jugendlichen Subkultur zu geraten. Zuvor hatte der BFC lange nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Zuschauer verloren sich kaum ins Sportforum Hohenschönhausen. Gegen die großen Mannschaften aus Magdeburg, Dresden oder Jena kamen die Berliner lange nicht an, ehe die Sportpolitik der SED zu greifen begann. Die besten Spieler des Landes wurden auf Anweisung der Parteiführung nach Berlin delegiert.

Irgendwann enteilte man der nationalen Konkurrenz. Von 1979 bis 1988 hieß der Meister immer BFC Dynamo. Der Erfolg schürte bei den Fans der anderen Vereine Neid, aber der regelrechte Hass, der Dynamo bei Auswärtsspielen entgegenschlug, hatte einen anderen Grund: die Staatssicherheit. Der BFC war der erklärte Lieblingsverein des Stasi-Chefs Erich Mielke. Das alles machte Dynamo in den Augen vieler Fußballfans zum „Stasiklub“. Gefühlt wurde Dynamo nicht nur bei der Personalpolitik, sondern auch von Schiedsrichtern bevorteilt.

Der Erfolg, das Stasi-Image und vor allem die Wut der gegnerischen Fans zogen nach und nach immer mehr Leute ins Stadion, die schnell in den Fokus der SED-Führung gerieten. Im West-Berlin der achtziger Jahre brodelte es. Und auch am Alexanderplatz versammelten sich erste Punks, dazu machte auch die aus Großbritannien rüberschwappende Hooligan-Bewegung vor der DDR nicht halt. All diese Gruppierungen im Sportforum auf der Tribüne – der BFC und sein Ruf als verhasster Klub der Obrigkeit zog sie magisch an, weil man provozieren konnte.

Die stärkste Fraktion bildeten dabei die Skinheads, die im BFC eine Bühne für ihre Provokationen sahen. Mit Sprechchören wie „Gib Gas, wenn der BFC durch die Gaskammer rast“ reizten sie die DDR-Führung um Erich Mielke und deren antifaschistische Gesinnung bis aufs Äußerste. In den Bomberjacken steckten nicht selten Kinder von Parteiangehörigen, die ihre Auflehnung gegen den Staat und vor allem gegen die eigenen Eltern demonstrieren wollten. Auf Auswärtsfahrten lieferten sich die Anhänger Straßenschlachten mit der Polizei und den gegnerischen Fans. Es wurde geprügelt, geraubt und: getötet. 1990 starb der Berliner Fan Mike Polley bei Ausschreitungen durch eine Polizeikugel. In den Wirren der Wendezeit hatten die Hooligans das Zepter auf den Tribünen des Sportforums übernommen.

Einer, der zu dieser Zeit mitprügelte, war Rainer Lüdtke. Ein kräftiger Mann, der auch heute die Haare noch geschoren trägt. Lüdtke war am Sonnabend im Jahnsportpark, als die Horde von BFC-Anhängern über die Fans aus Kaiserslautern herfiel. Er stand ganz nah dabei – und weinte. „All die Arbeit, die Mühen und die Hoffnung, die ich in diesen Tag gesteckt habe, sind in diesem Moment wie ein Kartenhaus zusammengefallen.“ Lüdtke hat irgendwann die Seiten gewechselt, seit 15 Jahren ist er Fanbetreuer bei Dynamo und kämpft seitdem dafür, den Verein vom Image des Randaleklubs zu befreien. Ob es jemals klappt?

Immer wieder produziert Dynamo negative Schlagzeilen, sobald der Verein auf einer größeren Bühne auftaucht. Vor einem Jahr stürmten 150 Chaoten den Platz, nachdem ihre Mannschaft das Berliner Pokalfinale gegen den Berliner AK verloren hatte. Im Juni stand Dynamo an gleicher Stelle wieder im Endspiel und gewann. Zwölf Fans erlebten den Pokalsieg nicht mit – sie saßen auf dem Polizeirevier, weil sie auf dem Weg zum Stadion rechte Parolen gerufen hatten. Schon im Halbfinale gegen Türkiyemspor waren BFC-Fans negativ aufgefallen. Auf einem Plakat stand: „Im Finale gibt es Bratwurst statt Döner.“ Wer sind diese Leute?

Rainer Lüdtke weiß es nicht. „Die meisten von denen habe ich nie zuvor gesehen.“ Der BFC ist bei vielen Jugendlichen in der Stadt wieder populär. Das Randale-Image der achtziger und neunziger Jahre zieht sie an, die Kampfsportstudiogänger und Sonnenbrillenträger. Aber auch in der linken Szene besteht Interesse am BFC. Es ist wie früher: Der Verein zieht alle an, die sich für extrem halten, auch kriminelle Banden aus dem Rockermilieu etwa. „Gehen sie mal in die Diskos im Osten. So viele BFC-Aufnäher sieht man sonst nicht mal im Stadion“, sagt Lüdtke. Diese Leute sind ein Problem für den Verein, denn sie tauchen nur auf, wenn für den BFC ein größeres Spiel ansteht. „Der graue Liga-Alltag zieht diese Leute nicht an“, sagt Andreas Gläser, Berliner Autor und BFC-Fan.

Im Internet tobte nach der Gewalt gegen Kaiserslautern eine heftige Diskussion. Die Randalierer seien verkleidete Fans aus Leipzig, Dresden oder sogar Polen gewesen, hieß es. „Die Mehrheit der Festgenommenen sind Berliner“, sagte ein Polizeisprecher dem Tagesspiegel.

Es gibt Stimmen, die fordern, den BFC ganz zu schließen, einfach „dichtmachen den Laden“, wie sie in Internetforen schreiben. Doch so einfach ist das nicht. Den BFC auslöschen, das hieße auch, mehr als 600 Kindern ihren Verein wegzunehmen. Dynamo verfügt über eines der größten Ausbildungszentren der Stadt. Längst tragen auch viele Kinder das weinrote Dynamotrikot, deren Wurzeln nicht in Deutschland liegen. Der BFC beteiligt sich an diversen Projekten, unter anderem lässt der Verein Kinder aus den Tagesstätten abholen, um ihnen die Teilnahme an Sport zu ermöglichen. Die Regisseurin Gudrun Herrbold hat ein Theaterstück geschrieben, „Dynamoland“ heißt es. Darin traten auch einige Jugendspieler auf, sie spielten sich selbst und ihren Alltag, zu dem bei Auswärtsfahrten noch immer Beschimpfungen als „Mielkes Erben“ und „Stasi-Klub“ zählen.

Vor der Wand am Vereinsheim steht inzwischen ein junger Mann. Kurz zuvor hatte er noch mit Heiko Bonan und anderen Fans am Tisch über das vergangene Wochenende diskutiert. Seit über 20 Jahren geht er zum BFC, Gewalt lehnt er ab. Auch das gibt es unter den Dynamo-Fans. An ihm gehen die Spieler vorbei Richtung Trainingsplatz. Es sind die letzten Einheiten vor dem Saisonstart am Sonntag in der Oberliga. Inzwischen ist der BFC bis in die fünfte Liga abgestürzt. Der Mann schaut wehmütig auf das Bild mit Andreas Thom, Bodo Rudwalait und Frank Rohde. Wohl wissend, dass die Erfolge von damals durch die Gewaltorgie am Sonnabend endgültig verblasst sind.

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