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Wirtschaft: Abkehr von der Schneiderei der Welt

Kürzere Wege und flexiblere Produktionsstrukturen sprechen für Europa als Produktionsstandort

Düsseldorf - Deutsche Modefirmen wenden sich von China als Textillieferanten ab. Der Trend zu immer kürzeren Zyklen für Modekollektionen hat in der Branche zu einem Umdenken geführt. „Der Andrang auf China als Produktionsstandort ist vorerst gestoppt“, sagt Silvia Jungbauer, Außenhandelsexpertin des Gesamtverbands Textil + Mode. Stattdessen rücken traditionelle Fertigungsstätten in Europa und in Anrainerstaaten wie der Türkei wieder in den Fokus. Zur Ernüchterung beigetragen haben auch die Mitte 2005 überraschend wieder eingeführten EU-Importquoten für Textilien aus China.

Der Versandhauskonzern Otto kündigte vergangene Woche an, für die jungen, trendigen Kollektionen, die mittlerweile zum Teil im Monatsrhythmus erneuert werden, ganz auf Textilien aus China zu verzichten. Die Teile sollen in Spanien, Italien und der Türkei produziert werden.

Auch der Modekonzern Tom Tailor reduziert die Einfuhr aus China kontinuierlich. Strickoberteile und Stoffhosen will Tom Tailor künftig gar nicht mehr aus der Volksrepublik beziehen. Der Grund bei Tom Tailor ist eine Neupositionierung der Marke. Die bisher auf sportliche Kleidung für Damen, Herren und Kinder spezialisierte Hamburger Modemarke will ab Frühjahr 2007 auch junge, trendige Mode für 18- bis 25-Jährige anbieten. Bei häufiger wechselnden Kollektionen wird aber Zeit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Kürzere Wege und flexiblere Produktionsstrukturen sprechen für Europa als Fertigungsstandort.

Dennoch bleibt China als Spezialist für Massenware „die Schneiderei der Welt“, sagt Eric Heymann, Branchenanalyst der Deutschen Bank. Rund ein Drittel der in Deutschland verkauften Kleider stammen aus der Volksrepublik. „Doch die relativ langen Transportzeiten von bis zu 30 Tagen und die Unsicherheit über etwaige Handelsbeschränkungen führen zu einer differenzierten Arbeitsteilung", stellt der Experte fest.

Wie entscheidend die Geschwindigkeit in der Modeindustrie sein kann, zeigt der spanische Inditex-Konzern mit der Ladenkette Zara. Die Katalanen verdrängten 2005 mit einem Umsatzplus von 21 Prozent auf 6,74 Milliarden Euro den Konkurrenten Hennes & Mauritz (H&M) in Europa von der Spitze.

Der Erfolg von Inditex beruht nach Analystenmeinung vor allem auf dem „hohen Modegrad“, also der schnellen Anpassung der Kollektionen. Zara hat die Abläufe perfektioniert, vom Entwurf der Ware bis in den Laden vergehen elf Tage. Entsprechend spiegeln die Kollektionen die neuesten Trends wider und bieten ständig neue Kaufanreize. Ein Vorteil der Spanier: Sie fertigen 70 Prozent ihrer Kleider in Europa, während H&M und Esprit vor allem in Asien und speziell China produzieren.

Der Trend zu Europa bremst den Drang nach China, dem bisherigen Einkaufsparadies der Branche. Das belegt auch eine Erhebung der Unternehmensberatung Droege & Comp. unter 500 Bekleidungsherstellern und -händlern im deutschsprachigen Raum. Der Anteil der Firmen, die bis 2010 eine weitere Steigerung der Lieferanteile aus China plant, ist mit einem Drittel genau so hoch wie der Anteil derjenigen, die mit einer Stagnation rechnen. Fünf Prozent gehen sogar von einem Rückgang aus. Arnulf Fleischer von Droege & Comp. sagt: „China ist ein einfacher und unsteter Beschaffungsmarkt. Um Markterfordernisse wie Preis, Qualität und Modegrad zu erfüllen, ist ein breiter Ländermix nötig.“

Die anhaltend große Bedeutung von China zeigte aber der Handelsstreit des Landes mit der EU um die Wiedereinführung von Importquoten im vergangenen Jahr. Konzerne aus Deutschland wie Gerry Weber, Esprit und Tom Tailor oder aus Skandinavien wie H&M und Bestseller liefen Sturm gegen die Quoten.

Nach Jahren des Strukturwandels steht die deutsche Modeindustrie wieder gut da. Für rund zwölf Milliarden Euro wurde im vergangenen Jahr in Deutschland Mode kreiert, gemanagt und vertrieben. Geschnitten, genäht und gebügelt wird schon seit Jahren in der Türkei, in Osteuropa und Asien – und dort vor allem in China. Für 2006 erwartet die Branche ein Umsatzplus von sechs Prozent. Dabei ist der Export ein wichtiger Umsatzträger: Die Ausfuhrquote liegt bei 40 Prozent. (HB)

Tanja Kewes

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