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Nach ihm wird gesucht: Jan Marsalek, Ex-Vorstand von Wirecard.

© Daniel Bockwoldt/picture alliance/dpa

Untersuchungsausschuss im Bundestag: „Wirecard war Finanzierungsdarknet für Milizen“

Eine Aussage im Wirecard-Ausschuss des Bundestags könnte weitreichende Folgen haben - das Untersuchungsspektrum dürfte erweitert werden.

Noch hat der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht richtig begonnen. Auch die zweite Sitzung am Donnerstag fand ohne Öffentlichkeit statt. Es fehlen noch Akten, unter anderem aus dem Kanzleramt und dem Bundesfinanzministerium, auf deren Grundlage die neun Ausschussmitglieder ihre Befragung von Zeugen beginnen können. Erste Zeugen hat der Ausschuss daher erst für den 19. November geladen, dann wird die Runde auch öffentlich sein. Befragt werden soll dann auch schon der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, der aktuell in Untersuchungshaft sitzt.
Im Gegensatz zum zweiten mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für die Bilanzfälschungen, dem flüchtigen Vorstandsmitglied Jan Marsalek. Der aber stand schon am Donnerstag im Mittelpunkt der Anhörung von Sachverständigen. Einer von ihnen, der Unternehmer Kilian Kleinschmidt, hatte Kontakt mit Marsalek bei einem Projekt in Libyen, das sich offenbar als Abschottungsaktion gegen Flüchtlinge entpuppte, wie der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann berichtete.

"Zahlungsträger für V-Leute"

Kleinschmidt, der aus dem Projekt ausgestiegen sei, habe dem Ausschuss dargelegt, dass Wirecard als „Finanzierungsdarknet für Milizen und Dienste“ gedient habe. Man habe Wirecard genutzt, um Geld in schwierige Gebiete zu bekommen, „ein praktischer Zahlungsträger für V-Leute und Informanten“. Für Zimmermann weitet sich damit das Spektrum des Ausschusses aus. Es müsse nun auch geklärt werden, „was unsere Sicherheitsbehörden über die angebliche Rolle von Wirecard als digitaler Agentenkoffer wussten“. Kleinschmidt habe seine Erkenntnisse an Sicherheitsbehörden weitergegeben.

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Damit dürfte neben dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium auch das Bundesinnenministerium in den Fokus rücken. Und auch das Kanzleramt als Koordinationsstelle der Geheimdienste – es ist ohnehin schon Untersuchungsobjekt wegen der Peking- Reise der Kanzlerin im September 2019, bei der sie sich für den Marktzugang von Wirecard in China verwendete. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ist nicht zuletzt wegen der Bafin, der ihm nachgeordneten Aufsichtsbehörde, im Visier der Opposition.

Angezeigt statt angehört

Der Ausschuss soll Versäumnisse insbesondere der deutschen Finanzmarktaufsicht und der Kontrolleure der Bilanzprüfer im Fall Wirecard aufklären. Dazu dürfte als Zeuge auch der Journalist Dan McCrum beitragen, der in der „Financial Times“ schon früh auf Ungereimtheiten bei Wirecard aufmerksam gemacht hatte. Am Donnerstag war er als Experte im Ausschuss. Seine – wie man heute endgültig weiß – weitgehend makellosen Recherchen, die seit 2015 erschienen sind, haben nicht nur dazu beigetragen, dass der Konzern ins Aus schlitterte.

McCrum ist auch unfreiwillig mitverantwortlich dafür, dass der Wirtschaftskrimi sich zu einem Politdrama ausweiten konnte. Denn der 42-Jährige wurde von der deutschen Finanzaufsichtsbehörde Bafin wegen seiner kritischen Berichte nicht etwa angehört, sondern man zeigte ihn an – wegen Marktmanipulation, weil der Aktienkurs von Wirecard nach seinen Beiträgen ins Rutschen geriet.

Verantwortung auch bei Investoren

Seinen Auftritt im Ausschuss am Donnerstag – als Sachverständiger, die Zeugenaussage kommt wohl später im Jahr – verband er mit der Hoffnung, dazu beitragen zu können, dass sich der Fall Wirecard nicht wiederholen könne. Die Bafin, berichtete er, habe niemals mit ihm oder seiner Zeitung Kontakt aufgenommen. Heute kann er darüber lachen, in ein Ermittlungsverfahren verwickelt gewesen zu sein, das nur aufgrund von Annahmen angestrengt worden war – unter anderem auf der Basis von Material, das Wirecard über Privatdetektive beschafft hatte.

McCrum dürfte als Zeuge dazu beitragen, das Geflecht zwischen Wirecard, Behörden und Politik etwas lichter werden zu lassen. Aber Verantwortung sieht er nicht zuletzt auch bei den Bilanzkontrolleuren, im Fall von Wirecard das Unternehmen EY. Und auch bei Investoren, von denen nun viele vor Gericht gingen, um Entschädigungen herauszuholen. Auch sie hätten sich früher fragen können, woher eigentlich das viele Geld gekommen sei bei Wirecard, das tatsächlich nur eine Geldblase war, wie McCrum in einem Pressegespräch sagte.

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