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Wirtschaft: Wenn Leistung nicht lohnt

In Deutschland wird über den sozialen Aufstieg diskutiert. Wie durchlässig ist unsere Gesellschaft?

„Alle Menschen sind gleich geschaffen“ – der berühmte Satz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 gilt bis heute als Basis der Demokratie. Dementsprechend muss Ungleichheit in demokratischen Gesellschaften begründet sein – durch Unterschiede in der Leistung und bei den Fähigkeiten, nicht durch Barrieren, die von außen aufgestellt werden. Ob das den westlichen Demokratien noch ausreichend gelingt, daran gibt es inzwischen Zweifel – vor allem, seit sie etwas genauer auf die Lage der wachsenden Zahl ihrer Migranten sehen: In Frankreich genügt eine Banlieue-Adresse auf einer Bewerbung, damit sie aussortiert wird, in Deutschland kann es ein türkischer Name über dem Uni-Diplom sein. Auch in den USA wachsen die Zweifel, ob der „American Dream“ vom Aufstieg durch Leistung noch ausreichend möglich ist. Für Deutschland hat sich der Sozialwissenschaftler Reinhard Pollak vom Wissenschaftszentrum Berlin in einer neuen Studie die Lage angesehen. Die Arbeit wird am kommenden Mittwoch in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin vorgestellt.

Ist Deutschland sozial mobil?

Nein, jedenfalls nicht im internationalen Vergleich: In keinem anderen Land, über das es Untersuchungen gibt, schreibt Pollak, blieben die Menschen so stark in der Position hängen, die schon ihre Eltern hatten. Daran habe sich über Jahrzehnte auch nichts verändert – was übrigens auch für soziale Abstiege gilt. Interessant ist aber, dass die Gesellschaft schon mobiler war als heute: In Ost- wie Westdeutschland – die Studie hat die Geburtsjahrgänge 1920 bis 1978 ausgewertet – stieg mehr als ein Drittel der Männer, die heute 70 bis 80 Jahre alt sind, sozial auf. Im Osten, wo auch die Frauen häufiger aufstiegen als im Westen, waren es sogar etwa 45 Prozent. Für die in den 1940ern und 50ern geborenen Männern lag der Wert auch im Westen bei über 40 Prozent, bei den Frauen erreichte er etwas später 35 Prozent und blieb dann auf diesem Niveau. In den jüngeren Jahrgängen, unter den heute 32- bis 40-Jährigen wird die soziale Offenheit deutlich geringer, im Osten sogar in dramatischer Weise, wie es in der Studie heißt. Und oft geht es abwärts – 30 Prozent der jüngeren Ostdeutschen haben sozialen Abstieg erlebt.

Vom Tellerwäscher zum Millionär –

gibt es das überhaupt?

Der Tellerwäscheraufstieg ist möglich. Aber die Werte liegen der Studie nach so niedrig, dass sie nicht prägend für die Gesellschaft sind. Auf etwas grauere sozialwissenschaftliche Begriffe gebracht: Weniger als ein Prozent der Kinder ungelernter Arbeiter schaffen es in die Position eines leitenden Angestellten. Damit sind sie freilich noch keine Millionäre. Typisch für den sozialen Auf- und Abstieg sind eher kleine Sprünge: Für Männer in Westdeutschland zum Beispiel gibt es doppelt so viele Aufstiege auf kurzem Wege, also etwa vom gehobenen zum höheren Beamten oder vom ungelernten zum Facharbeiter. Die kleinen sozialen Abstiege bei ihnen sind sogar viermal so häufig wie richtige Abstürze.

Was sind die Gründe?

Ganz offensichtlich war die größere soziale Mobilität in den ersten Jahrzehnten der beiden deutschen Staaten der Zeit geschuldet: Speziell für die in den 50er Jahren Geborenen gab es im Westen in den Boom-Jahren mehr Möglichkeiten des Aufstiegs, also mehr und qualifiziertere Arbeitsplätze. In der DDR spielten Enteignung und Flucht der alten Eliten eine Rolle, außerdem die gezielte Förderung von Arbeiterkindern. Später wurde auch die Sozialstruktur im Osten wieder fester.

Für die vergleichsweise große Unbeweglichkeit der deutschen Gesellschaft macht die Studie vor allem die hohe Bildungsungleichheit verantwortlich, wie sie schon die Pisa-Untersuchungen herausarbeiteten. In Deutschland seien Positionen stark an bestimmte Abschlüsse gebunden; wer sie nicht vorweisen kann, fällt durch den Rost. Dass Berufs- und Universitätsausbildung meist in einen bestimmten Beruf „kanalisieren“, dazu oft einen, für den die Eltern Vorbilder lieferten, mache das Land sozial unbeweglicher. So schnell komme man aus diesem Beruf schließlich auch nicht wieder heraus.

Was tun?

Die Studie empfiehlt Reformen im Bildungssystem, eine andere Förderung, auch für Berufswechsler. Und vor allem, etwas überraschend, ein anderes Bewusstsein. Die Frage von Gleichheit und Durchlässigkeit der Gesellschaft sollten eine viel größere Rolle in der Öffentlichkeit spielen. Erstaunlicherweise sind die Deutschen nämlich, der Wirklichkeit zum Trotz, überzeugte Anhänger des Tellerwäschermythos: Der Aussage: „Deutschland ist eine offene Gesellschaft, was man im Leben erreicht, hängt nicht mehr vom Elternhaus ab, sondern von den Fähigkeiten, die man hat, und der Bildung, die man erwirbt“, stimmen in Umfragen bis zu 80 Prozent der Befragten zu. Wer davon überzeugt ist, so lässt sich folgern, wird leichter dazu neigen, schlechte Schulnoten und verpassten Aufstieg für persönliches Versagen zu halten. Dies aber nimmt auch den vermeintlichen Versagern den Glauben an sich selbst und damit den Elan, sich durchzuboxen. Wer die seit Jahren laufenden Integrations- und Unterschichtendebatten verfolgt, weiß: Das sollte sich Deutschland nicht mehr leisten.

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