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Politisch. Die 18-Jährige Tergite Zerqiri fordert auf einem Plakat eine faire Bezahlung für Frauen.

© promo

Bildungsstipendium: „Schule ist für uns einfach alles“

Tergite Zeqiri wanderte mit ihrer Familie aus dem Kosovo nach Deutschland ein. Die 18-Jährige erzählt, wie ihr ein Stipendium der START-Stiftung weiterhalf.

Frau Zeqiri, seit wann leben Sie in Deutschland?

Seit Dezember 2014. Ich kam damals mit meinen Eltern und drei Geschwistern aus dem Kosovo. Alle Eltern wollen wohl das Beste für die Zukunft ihrer Kinder, und so hieß es eines Tages: Wir müssen jetzt gehen. Ich war ein Kind von 15 Jahren, die Eltern haben mich über die Gründe nicht informiert. Wir kamen zuerst in München an, dann wurden wir nach Bremen geschickt. Meine Eltern waren zunächst geschockt, weil sie nicht einmal wussten, wo Bremen liegt.

Konnten Sie denn überhaupt Deutsch?
Nein, die erste Woche noch nicht. Meine große Schwester und ich haben englisch geredet, das konnten wir, weil wir es auf unserem Gymnasium in Kosovo gelernt hatten. Deutsch war in der ersten Zeit beschränkt auf „Hallo, tschüss, wie geht's?“. Aber nach zwei Wochen konnte ich mich schon ganz gut unterhalten. Ich war die Einzige in der Familie, die sehr schnell fließend deutsch reden konnte. Wie kann man es schaffen, eine Sprache nicht zu sprechen? Ich verstehe nicht, wie man zwanzig Jahre hier lebt und die Sprache nicht oder sehr schlecht spricht.

Wie sind Sie dann hier aufs Gymnasium gekommen?

Wir waren in diesem Heim in Bremen untergebracht. Wir wollten unbedingt zur Schule gehen, doch das dauerte. Da sind meine Schwester und ich mit meinem Vater einfach in eine Schule gegangen und haben dort den Schulleiter nach einem Schulplatz gefragt. Der meinte, so ginge es nicht. Wir müssten zum Senator für Bildung gehen, der sei zuständig. Er gab uns die Adresse und da sind wir dann hinmarschiert.

Wie, einfach ins Rathaus?
Schule ist für uns einfach alles, immer noch. Obwohl wir keinen Termin hatten, hat der Beamte uns sofort empfangen, weil er so überrascht war, dass Flüchtlinge sich selber kümmerten. Ich habe dem Beamten gleich gesagt, ich will auf eine gute Schule, aufs Gymnasium, ich war schließlich auf dem Gymnasium gewesen und hatte immer einen Einser-Notenschnitt. Er hat es mir geglaubt und hat mich auf eine gute Schule geschickt, nicht in eine Vorklasse, sondern direkt in eine Normalklasse. Durch meine Leistungen habe ich gezeigt, dass er eine gute Entscheidung getroffen hat. Ich hatte ja nicht mal ein Zeugnis dabei. Ich habe auch hier wieder den Einserschnitt gehalten und bin dann Jahrgangsbeste geworden.

Nicht nur Ihre Lehrer haben Sie gefördert, sondern auch die START-Stiftung mit einem Förderstipendium. Wie sind Sie darangekommen?

Als ich die zehnte Klasse so gut wie abgeschlossen hatte, hat meine Klassenlehrerin mir gesagt, dass es eine Stiftung gebe, die perfekt für Jugendliche wie mich sei. Ich wusste gar nicht, was eine Stiftung ist. Sie hat es mir erklärt und dann auch ein Empfehlungsschreiben für mich geschrieben. Ich habe mich dann mit einem Motivationsschreiben beworben. Ich wollte das Stipendium so sehr, ich wusste, dass ich mein Abitur mit dieser Förderung besser schaffen würde. Und ich erinnere mich, dass wir alle im Bus saßen, als ich die E-Mail bekam, dass ich in die Stiftung aufgenommen worden sei. Der ganze Bus hat geschrien, alle haben mich umarmt. Alle waren glücklich für mich und meinten: „Du hast es wirklich verdient“. Das hat mich sehr motiviert.

Seit zwei Jahren sind Sie jetzt START-Stipendiatin. Was bedeutet das Stipendium für Sie?

START ist meine zweite Familie. Ich habe dort andere Jugendliche getroffen, die sich engagieren wollen. Das hat mir geholfen und Mut gemacht, noch mehr zu lernen. Wir mussten auf verschiedene Veranstaltungen gehen, an Seminaren teilnehmen. Ich habe gelernt, wie man sich selbstbewusster präsentieren kann, wie man richtig Aufsätze schreibt. Ich habe gelernt, welche Institutionen Projekte anbieten, die uns fördern können. Ich habe so viele Städte kennengelernt, man kann fast sagen, ich war überall in Deutschland.

Wie viel hat START zu Ihrer Integration in Deutschland beigetragen?
Wir gehen in Pflichtseminare etwa über interkulturelle Kompetenz. Da ist mir klar geworden, dass man etwas Besonderes ist und der Gesellschaft nur nützt, wenn man weiß, diese Besonderheit zu schätzen. Wir sprechen viele andere Sprachen. Ich hatte schon gedacht, eigentlich brauche ich ja Albanisch gar nicht mehr, aber dann haben wir gelernt, dass jede Sprache, die man spricht, eine Besonderheit ist. Durch die Seminare wird einem immer klarer, dass man helfen kann, etwas zu verändern. Und es gibt Sachen, die man wirklich ändern kann.

Wie erleben Sie die gegenwärtige Debatte um Flüchtlinge und um Zuwanderung?

Ich finde, das Thema sollte schon besprochen werden und so dargestellt werden, wie es der Wahrheit entspricht. Ich finde es gut, wenn die Leute auf die Flüchtlinge zugehen und mit ihnen reden und sich ein Bild von der Wirklichkeit machen.

Sie haben sich bei der letzten Bundestagswahl mit einer Plakatidee hervorgetan. Wie kam es dazu?

Das Plakat entstand bei einem Projekt, bei dem viele Jugendliche mitgemacht haben. Die Slogans auf diesen Plakaten sollten zeigen, wofür wir uns interessieren. In den Monaten davor hatte ich mich mit der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen beschäftigt. Das hatte ich in Deutschland nicht für möglich gehalten und war geschockt. Und so entstand mein Plakat. Im Hintergrund ein altes Gebäude, davor eine junge Frau mit dem Slogan „Wir verdienen mehr“. Das hatte natürlich Folgen. Wir wurden von der Bürgerschaft eingeladen. Die haben uns sehr unterstützt und haben eine Woche unsere Arbeiten dort ausgestellt.

Was wollen Sie nach dem Abitur machen?

Vielleicht werde ich erst mal Jura studieren und danach in die Politik gehen. Ich denke, dass man in der Politik mehr als mit vielen anderen Berufen im Land etwas verändern kann.
- Die Fragen stellte Christine Brinck. Sie ist Journalistin und Mitglied des Kuratoriums der START-Stiftung. START ist eine Initiative der Hertie-Stiftung und wird von 120 Partnern und Förderern getragen. Ihr Ziel ist, herausragende Jugendliche mit Migrationsgeschichte für das Thema Demokratie zu begeistern. Zurzeit werden in Deutschland und Österreich mit dem START-Stipendium 800 Stipendiaten auf dem Weg zum Schulabschluss ideell und materiell gefördert.

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