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Design-Ikone in der Biotech: „Baby blue“ heißt dieser frühe Prototyp einer PCR-Maschine.

© PR / Science Museum

Heute vor 39 Jahren: Ein trauriger Genius erfindet die PCR

Das wichtigste Testverfahren der Covid-Pandemie beruht auf einem Einfall, den ein junger Chemiker nachts auf einem nordkalifornischen Highway hatte.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Die Covid-19-Pandemie ist voller Ironien. Die tragischste vielleicht ist die des Doktor Li Wenliang. Der arbeitete in Wuhan und war einer der ersten, die vor der neuen, an Sars erinnernde Epidemie warnten. Dass diese Warnung öffentlich wurde, war noch nicht einmal seine Absicht gewesen. Doch Li wurde von offiziellen Stellen schwerst getadelt. Im März starb er an Covid-19, und man kann nur spekulieren, wie viele Leben seine frühe Warnung letztlich gerettet hat.

In the middle of a chain reaction

Eine ganz andere Ironie der Pandemie ist ein Todesfall, der sich schon 2019 ereignete Kary Mullis starb am 7. August jenes Jahres an einer Lungenentzündung. Und auch bei ihm kann man sich fragen, wie viele Leben seine Arbeit in der Covid-Pandemie gerettet hat.

Denn Mullis ist der Erfinder der Polymerase-Kettenreaktion, auf Englisch „Polymerase Chain Reaktion“, kurz PCR. Was das ist und wofür man es gebrauchen kann, hätte man 2019 wohl noch so etwa 98 von 100 Leuten erklären müssen.

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In den Jahren darauf hat sich das ziemlich geändert, und PCR ist und bleibt eine der meistbenutzen Abkürzungen überhaupt, weltweit.

Wish you were here

Die erste solche Kettenreaktion, bei der winzige Mengen eines bestimmten Erbgutabschnittes so stark vermehrt werden, dass sie danach dann auch nachweisbar sind, lief im Labor einer frühen Biotech-Firma in Kalifornien heute vor genau 39 Jahren ab. In seiner Autobiographie schreibt Mullis, wie er am Abend das Gebäude verließ. Er war alles andere als euphorisch. Seine Freundin Jennifer Barnett hatte sich von ihm getrennt.

Nobelpreisträger für Chemie 1993 Kary B. Mullis.

© imago/SKATA / imago/SKATA

Noch ein paar Monate zuvor hatte sie auf dem Beifahrersitz geschlafen, als Mullis mit ihr nachts auf dem Highway in Mendocino County unterwegs war und die plötzliche Eingebung für die neue Methode hatte. Jetzt, am Abend eines Tages, von dem Mullis wusste, dass er in die Geschichte der Biotechnologie eingehen würde, schlurfte er mit hängenden Schultern über den Parkplatz. „Auch der süße Duft des aufziehenden Zeitalters der PCR konnte Jenny nicht ersetzen. Ich war einsam.“

Surfin’ USA

Das sollte sich aber ändern. Mullis heiratete viermal. Der Nobelpreis, den er ein paar Jahre später bekam, machte ihn zum Biotech-Star. Doch er war öfter beim Surfen an kalifornischen Stränden anzutreffen als im Labor. Seine Drogen hatte der talentierte Chemiker schon zu Studienzeiten selbst hergestellt, LSD inclusive.

Automatisierte PCR-Apparatur anno 2022.

© AFP / Karen Ducey

Er bereiste mit seinen Frauen die Welt, wo sich dem bald als Lebemann berühmten und für teils kontroverse wissenschaftliche Thesen auch berüchtigten Nobelpreisträger überall die Türen öffneten. Die erneute Aufmerksamkeit, die der PCR-Test auf Covid ihm verschafft hätte, hätte Mullis sicher genossen.

Doch auch nach seinem Tod war es mit den Ironien nicht zu Ende: Früh in der Pandemie kursierten Mullis zugeschriebene angebliche Zitate, PCR könne gar keine freie Viren-DNA nachweisen. Covid-Leugner und „Plandemie“-Verschwörungstheoretiker griffen das dankbar auf und verbreiteten es. Dass der PCR-Erfinder es so gesagt oder geschrieben hat, ist aber nirgends dokumentiert.

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