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Jan-Martin Wiarda

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Wiarda will’s wissen: Bologna wird 25, und keiner geht hin

Die Bologna-Reform ist ein Vierteljahrhundert alt. Und niemand lamentiert. Dabei hatten viele den großen Niedergang der Hochschulbildung kommen sehen. Doch auch zum großen Feiern fehlen die Gründe.

Eine Kolumne von Jan-Martin Wiarda

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Nein? Eben. Am Mittwoch ist die Bologna-Deklaration (Original) 25 Jahre alt geworden, doch keiner redet mehr darüber. Vermutlich hätte auch ich diesen Jahrestag verpasst, wenn nicht zumindest der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) eine Pressemitteilung herausgegeben hätte zur Würdigung der „Errungenschaften der europaweiten Hochschulreform“.

Das stillschweigend-achselzuckende Begehen dieses Jubiläums ist erstaunlich angesichts der an Kulturkämpfe erinnernden Auseinandersetzungen an vielen deutschen Hochschulen, als vor allem die angestammten Abschlüsse Magister und Diplom gegen die international üblichen gestuften Grade „Bachelor“ und „Master“ ersetzt wurden.

Warnung vor mittelalterlichen Verhältnissen

„Ein Bachelor in Physik ist nie im Leben ein Physiker“, sagte der inzwischen verstorbene frühere Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler. Die FAZ prophezeite, die Studienreform werde zu einem „durchgängig niedrigeren“ akademischen Niveau führen. Und der damalige Dekan der Medizinischen Fakultät der Frankfurter Goethe-Universität, Josef Pfeilschifter, warnte vor der Rückkehr der mittelalterlichen „Bader“.

Was ist passiert? Vermutlich dreierlei.

Erstens: Die heutige Generation von Studierenden und mehr und mehr auch von Hochschullehrern kennt die Vor-Bologna-Zeiten nur noch aus Erzählungen. Die Studienreform in Frage zu stellen, hieße, den eigenen Werdegang in Frage zu stellen.

Zweitens: Von der historisch niedrigen Akademiker-Arbeitslosigkeit über satte Akademiker-Einkommen bis hin zur – nach Meinung vieler zu hohen – Promovierendenzahl: Es gibt keinerlei Belege, dass Bologna für seine Absolventen tatsächlich eine Karrierespirale nach unten losgetreten hat.

Drittens: Die Studienzeiten sind wieder länger, die Mehrheit setzt direkt nach dem Bachelor den Master drauf: Wer haufenweise „Schmalspur“-Absolventen prophezeit hatte, wurde widerlegt. Wer sich ein grundsätzlich anderes Studium erhofft hatte, allerdings auch.

Heißen nicht mehr Magister, oder Diplomierte gar: Studenten im großen Hörsaal am Tag der Erstsemesterbegrüßung zum Wintersemester 2023/24 an der Uni Köln.

© IMAGO/Panama Pictures/IMAGO/Christoph Hardt

Was hat Bologna besser gemacht?

Für die Studierenden gibt es mit den Kreditpunkten (ECTS) eine europaweite „Währung“ (DAAD) für ihre Studienleistungen, was den Studienortwechsel erleichtert. Die Studienpläne sind dank Kreditpunkten, der Unterteilung in Module und deren verpflichtender Beschreibung transparenter und oft – wenn auch nicht immer – stimmiger.

Sie berechnen sich nach dem Arbeitsaufwand für die Studierenden. Dass Deutschland bei der Zahl der internationalen Studierenden mit 370.000 weltweit zwischenzeitlich auf Platz 3 vorgerückt war, wäre ohne die internationalen Abschlüsse kaum vorstellbar gewesen. Dass es heute insgesamt eine Million Studierende mehr gibt als vor Bologna, sollte man dagegen nicht vorschnell auf die Reform zurückführen.

Hürden, Abbrecher, Auslegungen

Womit wir schon bei dem sind, was Bologna – bislang – nicht geschafft hat: die sozialen Eingangshürden zu einem Studium zu senken. Noch immer schaffen es Akademikerkinder dreimal häufiger auf die Uni als Nicht-Akademikerkinder. Auch die schon vor der Reform hohen Abbrecherquoten blieben hoch. Doch bleibt hier als Gewinn, dass jemand, der heute spät im Studium abbricht, wahrscheinlich schon einen Bachelor in der Tasche hat. Er oder sie hätte früher auch nach vier Jahren Studium ohne alles nach Hause gehen müssen.

Und obgleich die Kreditpunkte-Logik es anders suggeriert: Die Nicht-Anerkennung von anderswo besuchten Vorlesungen ist an vielen Hochschulen bis heute Thema. Vielleicht ist auch deshalb der große Run deutscher Studierender auf Studienaufenthalte im Ausland ausgeblieben.

Ein Bachelor in Physik ist nie im Leben ein Physiker.

Horst Hippler, mittlerweile verstorbener früherer Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

Den Automatismus, mit dem die meisten Uni-Bachelor direkt in den Master wechseln, kann man derweil als Beruhigung aller „Dequalifzierung“-Mahner anführen. Oder als Beleg, dass die deutsche Bologna-Version die vielleicht größte Chance verschenkt hat: die Unizeit von einer einmaligen Druckbetankung in der Jugend zu einer lebensbegleitenden, abhängig vom aktuellen Karrierebedarf wiederkehrenden, dafür pro Abschnitt kürzeren Lernerfahrung umzudefinieren.

Dem stand schon das Sicherheitsbedürfnis der meisten Hochschulen entgegen, die Bachelor und Master als Einheit planten und vermarkteten – mit dem Ziel, die Bachelorabsolventen vor Ort zu halten, anstatt sie zum Sprung in den Arbeitsmarkt oder an eine andere Hochschule zu ermuntern.

So erklärt sich denn womöglich das in der öffentlichen Wahrnehmung untergegangene Bologna-Jubiläum mit der Feststellung, dass es nicht der von den Befürwortern der Studienreform erhoffte große Wurf geworden ist. Und dass es genau darum auch für seine Gegner kein Aufreger mehr ist.

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