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Auch Elstern im Yellowstone National Park mussten sich wieder an Wölfe gewöhnen.

© NPS/Jim Peaco

Wildwechsel: Räuber aus vergessenen Zeiten

Wenn Raubtiere aus Nationalparks verschwinden, verändert das nicht nur die Lebensgemeinschaft dort. Es verstellt auch Menschen den Blick auf die Natur.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

„In den 1930er Jahren waren die Wölfe aus dem amerikanischen Westen weitgehend verschwunden“, sagt William Ripple von der Oregon State University. Das galt auch für die damals bereits existierenden Nationalparks. Wenn die großen Raubtiere nicht mehr da waren, wurde das meist schnell ersichtlich. Beutetiere wie Wapiti-Hirsche vermehrten sich und kleinere Räuber wie der Kojote wurden häufiger. Eine weitere, ökologisch vielleicht schwerwiegendere Entwicklung vollzog sich dagegen unbemerkt.

Forschende sprechen von „shifting baselines“, verschobenen Ausgangssituationen. Wenn vergangene Veränderungen bei der Erforschung von Lebensbeziehungen in einem Gebiet nicht mehr erkannt werden, könnten sie den Bemühungen, die Natur zu erhalten, genauso im Weg stehen, wie übermäßige Jagd auf Raubtiere, schreibt ein Team um Ripple.

Als der Yellowstone National Park 1872 gegründet wurde, gab es dort keine ansässigen Rudel mehr. Wölfe wurden in den 1990er Jahren wieder angesiedelt.

© NPS/Jim Peaco

Die Forschenden haben 96 ökologische Studien aus den Jahren 1955 bis 2021 ausgewertet. Die Untersuchungsgebiete waren elf US-Nationalparks, in denen Wölfe ausgerottet worden waren. Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Bioscience“ berichten, wurde die vergangene Präsenz von Wölfen und anderen Großraubtieren nur in 39 dieser Studien berücksichtigt. Mehr als die Hälfte ließen die grundlegenden Veränderungen der Ökosysteme durch das Fehlen der Wölfe außer Acht.

„Einige Nationalparks, die als die Kronjuwelen der amerikanischen Wildnis gelten, sind ohne ihre Spitzenprädatoren nur noch Schatten ihrer vermeintlichen ökologischen Integrität“, schreiben die Autoren. Managemententscheidungen, die getroffen werden, ohne die früheren Bedingungen zu berücksichtigen, könnten die Ökosysteme weiter verändern. Forschende sollten berücksichtigen und beschreiben, wie sich das Fehlen großer Raubtiere auf ihr Untersuchungsgebiet und auf ihre Ergebnisse auswirkt.

Dies gelte nicht nur für den wilden Westen der USA. Große Raubtiere sind aus Gebieten weltweit verschwunden, in Deutschland, etwa. Hinzu kommen weitere, teils weit zurückreichende Eingriffe des Menschen, wie die Verhinderung von Bränden, das Auftreten invasiver Arten oder die Nutzung als Weidegebiet. Auch ihretwegen ist die Natur in geschützten Gebieten nicht unbedingt das, was sie einmal war.

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