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Günther M. Ziegler ist Präsident der Freien Universität Berlin.

© Kay Herschelmann

Präsidentenkolumne: Wissenschaft ist systemrelevant

Reproduktionsraten und Lernkurven: In der Pandemie wird aufmerksamer als sonst auf die Stimmen der Wissenschaftler gehört. Wir können uns glücklich schätzen, dass es sie gibt.

Leicht kann ich Phasen in meinem Leben benennen, in denen die Lernkurve besonders steil nach oben ging: Dazu gehörten die ersten Wochen in der Grundschule, später die erste Zeit im Promotionsstudium und auch die Einarbeitungszeit als Präsident der Freien Universität Berlin.

Eine steile Lernkurve sehe ich heute auch in unserer Gesellschaft mit Blick auf die Pandemie. Wir haben viel gelernt. Neue Vokabeln wie Lockdown, FFP-Masken und Covid-19 etwa, die uns bis vor Kurzem meist noch fremd waren.

Oder uns intensiv mit Statistiken auseinandergesetzt – exponentielle Kurven und Reproduktionsraten galten mal als trockener Schulstoff, jetzt würden wir uns vielleicht freuen, wenn sie nur das wären. Exponentielles Wachstum von Zahlen in Infektionsstatistiken ist besorgniserregend, und es zwingt zum Handeln. 

„Durch Leiden lernen“ – die Erkenntnis des altgriechischen Tragödiendichters Aischylos – erhält eine neue und erschreckende Aktualität.

Zweifel am Rat der Experten gehört dazu

Wir können uns glücklich schätzen, dass es Expertinnen und Experten gibt, die nicht nur dazu beitragen, neue Erkenntnisse über die Pandemie zu gewinnen, sondern uns auch helfen, die Informationen einzuordnen, zu verstehen und daraus Maßnahmen abzuleiten. 

In diesen schwierigen Zeiten wird aufmerksamer als sonst auf wissenschaftliche Expertise geachtet. Gut so, auch wenn das nicht allen gefällt! 

So bringt ein prominenter Medienmacher in einem Leitkommentar seinen Zweifel zum Ausdruck: „Die Regierung folgt. Vor allem den Experten vom Robert-Koch-Institut und von der Charité. Diese fast unbeschränkte Macht ist mir zu alternativlos. Denn es sind Experten ohne das Mandat des Wählers. Aber sie entscheiden indirekt, was die Regierung anordnet.“

Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse sind sehr wohl wichtig, manchmal liefern sie klare Handlungsempfehlungen. 

Alternativlos ist zwar wenig, doch die Wissenschaft liefert uns Informationen und Erkenntnisse, aus unterschiedlichen Perspektiven und verschiedenen relevanten Fachgebieten, über die wir – und damit auch die Politik mit dem Mandat der Wählerin und des Wählers – nachdenken und reflektieren müssen, um klug und nachhaltig zu handeln.

An der Universität Mündigkeit und Demokratie stärken

In diesen Krisenzeiten wird deutlich: Expertinnen und Experten sind systemrelevant, die Wissenschaften sind systemrelevant. Und systemrelevant sind damit auch die Universitäten – nicht nur, weil dort mittels Forschung neue Erkenntnisse gewonnen werden, sondern auch, weil an Universitäten gelehrt und gelernt wird, wie neues Wissen zustande kommt und wie Informationen einzuordnen und zu bewerten sind.

Das Sommersemester 2020 hat begonnen, auch bei uns an der Freien Universität. Das verkünden wir mit besonderer Freude, mit Stolz und Verantwortung. 

Freude und Stolz, weil es ein Kraftakt der gesamten Universität war, das Vorlesungsangebot innerhalb kürzester Zeit so umzugestalten, dass Lehre und Studium digital und kontaktfrei stattfinden können. Und Verantwortung, weil wir damit einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise und zur Gestaltung der Welt in der Zeit danach beitragen. 

Indem wir die großen Fragen der Zukunft in allen Fächern zum Thema machen – an der Freien Universität und an allen Orten der Wissenschaft. Indem wir neue Erkenntnisse gewinnen. Und indem wir Mündigkeit und Demokratie stärken. Universitäres Lehren und Lernen sind systemrelevant, heute mehr denn je.

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