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Kinder und Erwachsene tragen die Gebeine der ersten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Berlinerinnen und Berliner in kleinen Särgen von der Parochialkirche zum Petriplatz.

© dpa/Annette Riedl

Update

Bei Grabungen am Petriplatz gefunden: Gebeine von 100 Ur-Berlinern nach feierlicher Prozession beigesetzt

Hunderte Jahre alte Gebeine Tausender Menschen wurden in den vergangenen Jahren im historischen Zentrum Berlins geborgen. Die sterblichen Überreste von rund 100 Personen fanden nun eine neue Ruhestätte.

Immer lauter ist in der Klosterstraße der Widerhall einer fernöstlichen Klangschale zu hören. Irritiert dreht sich eine Gruppe Schweizer Fußballfans um, an den roten Trikots ist sie leicht zu erkennen. Vor dem am Abend im Olympiastadion stattfindenden Spiel ihrer Nationalmannschaft wollen sie in Mitte den Tag zum Sightseeing nutzen.

Doch was sie an diesem Samstagvormittag zu sehen bekommen, steht in keinem Touristenführer: Eine historische Trauerkutsche, ganz in Schwarz, rollt vorbei, durch die blinkenden Glasscheiben erspäht man einen prunkvollen, geschmückten schwarzen Sarg. Dahinter schreiten vier evangelische und katholische Geistliche, einer hüllt die Straße in dicke Weihrauchschwaden. Ihnen folgt ein Zug aus rund hundert evangelischen und katholischen Sargträgern, die jeweils eine Gebeinkiste mit einem Skelett tragen und nun mitten auf dem Mühlendamm den Petriplatz ansteuern.

Die Prozession wurde von einer Kutsche und Geistlichen angeführt.

© dpa/Annette Riedl

Geplant hatte die Prozession die Archäologin Claudia Melisch, Leiterin der Grabungen, bei denen zwischen 2007 und 2020 die Überreste der Petrikirche samt dem uralten Friedhof freigelegt wurden. Deren Pfarrer Symeon tauchte in der Urkunde auf, in der 1237 Cölln, die westliche Hälfte der einstigen Doppelstadt Berlin/Cölln erstmals erwähnt wurde.

Die Gebeine von 3778 Menschen wurden in den Gräbern entdeckt

Durch Gebeine der insgesamt 3778 Menschen, die in Gräbern auf dem Petrikirchhof entdeckt wurden, lässt sich die Gründung Berlins laut Melisch sogar noch etwa 100 Jahre weiter zurückdatieren: Mit einer sogenannten Radiokarbondatierung ließ sich feststellen, dass der älteste dort begrabene Tote höchstens bis 1160 gelebt haben kann.

Wir achten diese Leute und haben sie durch die Ausgrabungen gestört.

Claudia Melisch, Archäologin und Leiterin der Grabungen

„Wir haben bei unseren Grabungen nicht nur Bauwerke freigelegt, sondern auch Menschen, denen wir uns nun würdig erweisen wollen“, erzählt Melisch, „Wir achten diese Leute und haben sie durch die Ausgrabungen gestört.“ Um ein ethisches Signal zu setzen, habe man auf den Ruinen des Fundaments der Petrikirche ein Ossarium errichtet, ein Beinhaus ähnlich der Wiener Kapuzinergruft.

Die Gebeine standen zunächst in kleinen Särgen im Gewölbe der Parochialkirche.

© dpa/Annette Riedl

Dieses bietet Platz für 475 Gebeinkisten, die bislang in der Gruft der etwa 850 Meter entfernten Parochialkirche an der Klosterstraße lagerten. Von dort, nach einer Ansprache von Pfarrer Alexander Arno Heck, startete die Prozession mit stellvertretend 100 Gebeinskisten.

In 50 schwarzen und grauen Kisten befanden sich die sterblichen Überreste der ältesten gefundenen Bewohner Berlins, in zehn weißen die von Jugendlichen und in 20 weißen Kindersärgen die Knochen von Kindern. Die Kindersärge wurden von Kindern getragen, ein Schritt, den Melisch bewusst wählte: „Wir wollten hundert Gebein-Träger, die die Toten repräsentieren“, erklärt sie, „Damit wollen wir auch auf die hohe Kindersterblichkeit in dieser Zeit hinweisen.“

Viele Familien beteiligten sich an der Prozession.

© dpa/Annette Riedl

Das Ossarium befindet sich im Untergeschoss des neu erbauten Hauses Petri, in dem 2025 ein archäologisches Zentrum entstehen soll. Auf dem Weg dorthin passierte die Prozession auch die Baustelle des House of One, ein Mehrreligionenhaus mit Kirche, Synagoge und Moschee, dessen Fertigstellung für 2028 geplant ist. Es wird den einstigen Platz der Petrikirche einnehmen und durch ein archäologisches Fenster einen Blick auf das Fundament der ursprünglichen Kirche gewähren, „dem ersten sakralen Ort der Stadt“, wie eine Sprecherin des House of One beteuerte.

Am Haus Petri angekommen wurden die Gebeinkisten und Kindersärge vor dem Ossarium abgelegt und der Zug von Matthias Wemhoff begrüßt, dem Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, das in den kommenden Monaten in die noch leerstehenden Räumlichkeiten einziehen wird. Durch Mitarbeiter des Museums sollen die sterblichen Überreste der ersten Berlinerinnen und Berliner in den Kammern des Ossariums mit Lehmplatten verschlossen werden.

Archäologen fanden bei Grabungen in Berlins historischem Zentrum hunderte Skelette von Menschen, die in der mittelalterlichen Stadt gelebt hatten.

© Claudia M. Melisch

Den ganzen Weg von der Parochialkirche bis zum Haus Petri hatte ein Mann mit einer koreanischen Klangschale begleitet, die nun verstummte. Mit der sogenannten „Jing“ habe er versucht, einen Trancezustand bei den Teilnehmern herbeizuführen, wie er später erklärt. Vor dem Ossarium angekommen sagt er stolz: „Wer heute hier dabei gewesen ist, kann sagen, er ist ein richtiger Berliner.“

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