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Kevin Hönicke (SPD), Bezirksstadtrat in Lichtenberg, steht vor dem Rathaus Lichtenberg.

© picture alliance/dpa/Christophe Gateau

„Eitelkeiten, Lügen, Ausraster gegen Frauen“: Lichtenbergs Bezirksverordnete rechnen vor Abwahl mit Stadtrat Hönicke ab

In zwei Wochen entscheiden die Bezirksverordneten von Berlin-Lichtenberg über die Abwahl des Affären-Stadtrats Kevin Hönicke (SPD). Bei der Debatte am Donnerstag fielen harte Worte.

Die Bezirksverordneten von Berlin-Lichtenberg haben mit einer ersten Sondersitzung am Donnerstagabend den Weg für die Abwahl des umstrittenen Stadtrats Kevin Hönicke (SPD) frei gemacht. Nun soll bei einer weiteren Sondersitzung in zwei Wochen am 11. Juli über den Abwahlantrag abgestimmt werden. Den hatten mehrere Fraktionen auf Initiative von Hönickes Parteigenossen eingebracht. CDU, Linke, SPD und Grüne haben sich darauf geeinigt.

Für die Abwahl ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, 37 von 55 Verordnete müssen zustimmen. Die vier Fraktionen kommen zusammen auf 42 Stimmen und setzen nun alles daran, dass alle vollständig erscheinen. Das Angebot der SPD für eine „einvernehmliche Lösung im Sinne eines selbstbestimmten Rückzuges“ hatte Hönicke abgelehnt.

Bei der Debatte am Donnerstag rechneten die Fraktionen mit Hönicke ab, Kritik gab es auch an den Sozialdemokraten. Hönicke selbst war nicht erschienen. SPD-Fraktionschef Kevin Einenkel sagte, die Frage sei berechtigt, warum die SPD so lange an Hönicke festgehalten habe. Die Entscheidung für die Abwahl sei wegen Hönickes Verdiensten etwa beim Wohnungsbau nicht leichtgefallen.

Am Ende habe es jedoch eine „Kluft zwischen den Errungenschaften und einer Reihe von Vorfällen“ gegeben. Das habe das Vertrauen in die Hönickes Amtsführung nachhaltig erschüttert. Es sei nicht gelungen, die Kluft zu überbrücken. Bemühungen, die Probleme im Dialog zu lösen, „führten nicht zum Erfolg“, sagte Einenkel. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sei deshalb nicht mehr möglich. „Das zwingt uns zu diesem schweren und notwendigen Schritt“, sagte der SPD-Fraktionschef.

Diese Spannungen hätten die Arbeit im Bezirk erschwert. Durch die anhaltenden Konflikte seien im Bezirksamt „Energie und Ressourcen gebunden“ worden, die besser in den Bezirk investiert worden wären. Der Abwahlantrag sei Ergebnis eines langwierigen Abwägungsprozesses.

Linken-Fraktionschef Christian Petermann erklärte, seine Fraktion unterstütze die Abwahl aus Verantwortung für den Bezirk. „Viel zu lange hat das Bezirksamt nicht mit einer Stimme gesprochen“, sagte er. Es habe interne Meinungsverschiedenheiten gegeben. „Viel zu lange standen Ego und persönliche Eitelkeit im Vordergrund.“

Mit der Abwahl greife die Bezirksverordnetenversammlung „zum Äußersten“, aber „wir handeln, weil es notwendig ist“, sagte der Linke-Fraktionschef. Er erinnerte an aufbrausende Auftritte des Stadtrats, „persönliche Verletzungen“ und Hönickes Rolle in der Affäre um lancierte Vorwürfe der Belästigung. „Es ist Zeit Konsequenzen zu ziehen“, sagte Petermann.

Aus Ausschüssen herausgerannt, Türen geknallt, Menschen persönlich beleidigt. Auffällig häufig ging es dabei gegen Frauen in der Bezirksverordnetenversammlung.

Daniela Ehlers, Grüne-Fraktionschefin

Es gebe viele Gründe für Hönickes Abwahl, „lieber spät als nie“, sagte Grünen-Fraktionschefin Daniela Ehlers. Bereits 2021 hätten die Bezirksverordneten Hönickes Fehler ausbessern müssen. Zudem hätten sie ein Schmierentheater des Stadtrats erlebt. Hönicke habe versucht, seine politischen Entscheidungen anderen in die Schuhe zu schieben. Auch habe er Beschlüsse ignoriert, die er nicht habe umsetzen wollen. Hönicke habe zudem den Wahlkampf in die Bezirksversammlung hineingetragen.

„Letztlich haben wir zigfach Ausraster jeder möglichen Art erlebt“, sagte Ehlers. Aus den Erlebnissen mit Hönicke zählte sie auf: „Aus Ausschüssen herausgerannt, Türen geknallt, Menschen persönlich beleidigt, zigfache weitere Ausraster. Auffällig häufig ging es dabei gegen Frauen in der Bezirksverordnetenversammlung.“

Laut CDU berichteten Mitarbeiter von „unterirdischen Zuständen“

Hinzu kämen „zahlreiche Lügen“. Auch bei Vorgängen rund um Hönickes monatelange Freistellung infolge der Ermittlungen wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen habe man mehr ein Schmierentheater erlebt, als eine ernsthaft politische Auseinandersetzung. Mitarbeiter des Bezirksamts hätten bereits mit Zynismus reagiert.

CDU-Fraktionschef Benjamin Hudler sagte, seine Fraktion hätte nicht so lange gewartet, um Hönicke vom Amt abzuberufen. In Ausschüssen hätten Mitarbeiter des Bezirksamts von Zuständen berichtet, „die unterirdisch waren“. Am Ende habe es immer nur Debatten um Hönicke gegeben. „Es ging immer wieder nur um eine Person“, sagte Hudler. Und das Problem habe es nicht nur in der Vergangenheit gegeben, „sondern immer wieder im laufenden Prozess“.

BSW sieht Glaubwürdigkeitsproblem der SPD

BSW-Fraktionschef Norman Wolf warf der SPD ein „unwürdiges Spiel“ vor, weil sie viel zu lange hinter Hönicke gestanden habe. Es seien im Zuge der Hönicke-Affäre Mitarbeiter des Bezirksamtes „ungewollt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt worden“. Bereits nach der jüngsten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG), das Hönicke trotz der Verfahren die Rückkehr ins Rathaus erlaubt habe, hätte die SPD einen Schlussstrich ziehen müssen.

Es sei nicht klar, welche Erkenntnisse für Hönickes Abwahl erst drei Monate später vorlägen. Daher habe die SPD ein Glaubwürdigkeitsproblem, der Abwahlantrag sei ein parteitaktisches Manöver. „Sie hätten das vor drei Monaten machen können“, sagte Wolf.

Jetzt werde abermals ein Stadtrat „in den unbezahlten Urlaub geschickt mit einem üppigen Salär“ und monatlichen Bezügen von 7000 Euro. Für Hönicke sei die Abwahl daher vorteilhaft. „Diese Selbstbedienungsmentalität zeigt, wie weit sich die Politik von den Problemen der Menschen entfernt hat“, sagte Wolf. Die Wahlergebnisse seien daher kein Wunder.

Der Fall Hönicke war im Herbst 2023 im Bezirksamt eskaliert. Umstritten war der SPD-Mann auch wegen verbaler Ausfälle vor den Bezirksverordneten. Lichtenbergs Bürgermeister Martin Schaefer (CDU) belegte den Stadtrat dann im Oktober mit einem Verbot der Amtsgeschäfte.

Der Anlass war, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Hönicke wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen eingeleitet hatte, auch ein Disziplinarverfahren läuft seither. Der Vorwurf: Der SPD-Politiker soll Journalisten im Januar 2023, also kurz vor der Berliner Wiederholungswahl, interne Akten per Post geschickt haben. Darin ging es um den Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen einen Mitarbeiter des Bezirksamts, der längst widerlegt war.

Hönickes Nachfolgerin steht schon fest

Als er suspendiert war, inszenierte sich Hönicke als Kämpfer gegen Belästigung und als Aufklärer – insbesondere in der „Berliner Zeitung“. Das Blatt wärmte die alten, erledigten Belästigungsvorwürfe auf, nannte den betroffenen Mitarbeiter namentlich und zeigte ihn mit großem Foto. Das Landgericht Berlin II untersagte jene Artikel, weil die Vorwürfe widerlegt waren.

Noch im Dezember hatte das Verwaltungsgericht die Suspendierung Hönickes bestätigt. Denn es lägen ausreichende Indizien für den Verdacht vor, dass der Stadtrat seine beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht verletzt habe. Als Bürger besuchte Hönicke die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) weiter. Auch dabei kam es zum Eklat. Im Januar pöbelte er in einem Ausschuss und beschimpfte die Vorsitzende. Die CDU warf Hönicke danach wiederholt frauenfeindliches Verhalten vor. 

Im März entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg, dass Hönicke wieder ins Amt darf. Den Vorwurf des Geheimnisverrats stellte das OVG allerdings nicht infrage. Vielmehr war der Fall für das OVG so offenkundig, dass es keine Verdunklungsgefahr mehr sah – und Hönicke deshalb wieder auf seinen Posten durfte. Prompt gab es in der BVV einen neuen Zwischenfall: Wegen als rassistisch eingestufter Aussagen zum vietnamesischen Großmarkt Dong-Xuan-Center erhielt Hönicke einen Ordnungsruf, er bat später um Entschuldigung.

Hönickes Nachfolgerin im Bezirksamt soll die 47-jährige Diplom-Betriebswirtin Sandy Mattes werden. Sie gehört der Bezirksverordnetenversammlung seit 2011 an, ist aktuell stellvertretende SPD-Fraktionschefin und wird als Stadträtin für die Ressorts Schule und Sport vorgeschlagen. Ihr Ziel sei es, die Schulbauoffensive zur Modernisierung und zum Abbau des Sanierungsrückstaus bei Schulgebäuden und Sportstätten weiter voranzutreiben, teilte die SPD mit.

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