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Kraftloser Auftritt: US-Präsident Joe Biden bei der CNN-Debatte in Atlanta.

© REUTERS/MARCO BELLO

Wer sagt es ihm?: Nach diesem TV-Duell scheint alles besser, als an Biden festzuhalten

Joe Biden versetzt mit seinem Auftritt die Demokraten in Panik. Die USA brauchen eine andere Wahl als dieses Duell zwischen einem kraftlosen Greis und einem notorischen Lügner.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Diese Fernsehdebatte war ein Albtraum. Und doch hatte sie etwas Gutes an sich. Sie demaskierte schonungslos, auf welche unerträgliche Alternative die USA zusteuern: die Wahl zwischen einem kraftlosen Greis und einem notorischen Lügner.

Ginge es allein um die sprichwörtliche Frage aus den alljährlichen Oscar-Nächten „And the winner is ...?“, bleibt nur eine Antwort. Der Sieger dieses Duells war Donald Trump. Nicht aus eigener Stärke. Sondern weil da kein Gegner auf der Bühne stand, der energisch gegenhalten konnte.

Bidens Haltung, seine Redeweise und seine Gestik verrieten gleich zu Beginn, dass es ihm an Energie fehlt. Seine Stimme war leise, seine Sprache oft verwaschen. Er verhaspelte sich immer wieder, musste sich räuspern, um die Stimmbänder freizubekommen. Man hörte ihm mit der bangen Sorge zu, ob er seine Sätze wohl zu Ende bringt.

Wer sagt Joe Biden, dass er Platz machen muss? Am ehesten ist das seiner Frau Jill zuzutrauen.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegels

Dieser 81-Jährige tritt an, um die Weltmacht USA weitere vier Jahre zu regieren? Man mag es nicht glauben.

Gewiss doch, Biden hatte auch gute Momente, besonders in der zweiten Hälfte der anderthalb Stunden. Da redete er verständlich, attackierte Trump als „Lügner“ und wies ihn in die Schranken.

Den katastrophalen Eindruck der ersten halben Stunde konnte er da aber nicht mehr wettmachen. Und zu oft folgten Szenen, die solche positiven Eindrücke wieder verwischten. Es war schmerzhaft, das mitanzusehen.

Auch Trump hinterließ einen angsteinflößenden Eindruck. Ein unkontrollierter Mann, der die ihm gestellten Fragen nicht beantwortet: die Fragen nach seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol und den Strafverfahren gegen ihn, nach seinen Plänen für Amerikas kriselnde Sozialversicherung oder für die Kriege in der Ukraine und in Gaza.

Trump verbreitet Lüge um Lüge

Trump verbreitete Lüge um Lüge und rettete sich mit jedem zweiten Satz in eine Fantasiewelt, die keine Verbindung zur Wirklichkeit hat. Angeblich war alles großartig, solange er Präsident war. Die ganze Welt beneidete die USA.

Dann kam 2020 Biden ins Amt. Er hätte alles so lassen sollen, wie Trump es übergeben hatte, behauptete Trump. Doch Biden verwandelte die USA in eine Katastrophe, von der Wirtschaft über die Pandemie bis zur Grenze.

Trump bot so viele Angriffsflächen, dass ein anderer Debattengegner ihn wohl rhetorisch in Stücke gerissen hätte. Und würden die Punkte danach vergeben, wer die besseren Sachargumente hatte, wäre selbst dieser altersschwache Biden der Sieger der Debatte. Aber der optische Eindruck machte ihn zum klaren Verlierer.

Jetzt sind die Demokraten in Panik. Der Auftritt hat für Amerika und die Welt offenkundig gemacht, dass Biden zu alt ist. Nur: Wer sagt ihm, dass er Platz machen muss? Am ehesten ist das seiner Frau Jill zuzutrauen.

Und dann? Die formale Entscheidung über den Spitzenkandidaten für die Wahl am 5. November trifft ohnehin erst der Parteitag der Demokraten Mitte August in Chicago. Die naheliegende Alternative zu Biden ist Vizepräsidentin Kamala Harris.

Bislang betrachten die Demokraten sie mit Skepsis. Nach den vorliegenden Umfragen würde sie gegen Trump verlieren. Aber nach diesem TV-Duell scheint alles besser, als an Biden festzuhalten. Den Demokraten bleiben noch gute vier Monate bis zum Wahltag, um die Lage zu wenden.

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