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Donald Trump (links) und Emmanuel Macron bei einem Treffen im Jahr 2019.

© AFP/Nicholas Kamm

Die Welt wird ungemütlicher: Drei demokratische Wahlen werden zu Risiken für Deutschlands Zukunft

Die Krise der Verlässlichkeit ist bis tief in die westlichen Demokratien vorgedrungen. Für Deutschland sind die Wahlen in Frankreich, Großbritannien und den USA eine Mahnung.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In der Theorie sind Wahlen ein Hochfest der Demokratie. Die Bürger fällen ihr Urteil über den künftigen Kurs ihres Landes, bestätigen den bisherigen Kurs oder erzwingen Änderungen. Es ist ein essenzieller Korrekturmechanismus offener Gesellschaften.

Auf eines konnten sich die Deutschen über Jahrzehnte verlassen, egal ob es um Wahlen bei ihnen oder wichtigen westlichen Partnern ging: Der Zusammenhalt in EU und Nato stand nicht zur Wahl.

Doch nun, Ende Juni 2024, erleben die Deutschen ein jähes Erwachen. Demokratische Wahlen bei drei engen Partnern – Frankreich, Großbritannien, USA – werden zu Risiken für Deutschlands Zukunft.

Früher galt das als unvorstellbar. Zwar hatten die Deutschen 2016 schon einmal einen Doppelschock verkraften müssen. Erst stimmten die Briten für den Brexit, dann die Amerikaner für Donald Trump. Aber viele taten das damals als „Unfälle“ im demokratischen System ab und hofften auf baldige Korrektur.

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Handelt Macron mutig? Oder rücksichtslos?

Nun hat Frankreichs Präsident vorgezogene Parlamentswahlen für dieses Wochenende angesetzt. Emmanuel Macron reagiert auf die Schlappe seiner Partei bei der Europawahl. Er möchte den rechtsextremen Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen zum Offenbarungseid zwingen. Die einen nennen das mutig, die anderen verantwortungslos.

Die Stimmung ist aufgeladen. Macron warnt vor einem Bürgerkrieg, falls die Rechtspopulisten oder ihr linkes Gegenstück, das „Unbeugsame Frankreich“ unter Jean-Luc Mélanchon, so stark abschneiden, dass sie den Posten des Regierungschefs verlangen können. Wie soll Frankreich da noch der verlässliche Partner sein, der im Tandem mit Deutschland die EU zusammenhält?

Zwischen den beiden französischen Wahlgängen an diesem und dem folgenden Sonntag stimmen die Briten am 4. Juli ab. Auch dort hat die konservative Regierung unter Rishi Sunak unvermutet plötzlich Neuwahlen ausgerufen in der Absicht, die absehbare Niederlage zu begrenzen.

Auch nach Labour-Sieg bleibt es beim Brexit

Das Kalkül wird wohl nicht aufgehen. Ein Triumph der Labour-Partei gilt als sicher, wahrscheinlich wird es ein Erdrutschsieg. Der Machtwechsel ist gut für Deutschland. Nach chaotischen Jahren unter teils skurrilen (Boris Johnson), teils rasch wechselnden Tory-Premiers (Liz Truss), übernimmt eine proeuropäische Partei die Regierung in London.

Die Wahlen in Frankreich, Großbritannien und den USA sind eine Mahnung, dass die Welt immer ungemütlicher für Deutschland wird.

Christoph von Marschall

Aber das von Deutschland erhoffte Ziel, eine Korrektur des Brexits, gehört nicht zu ihren Prioritäten. Der Brexit hat Deutschland schwere Nachteile gebracht. In der EU waren die Briten ein starker Verbündeter in Sachen Marktwirtschaft, Freihandel und Haushaltsdisziplin. Und damit ein Gegengewicht gegen die mediterranen Staatswirtschaften. Es fehlt schmerzlich.

TV-Duell Biden gegen Trump

In den USA rückt das TV-Duell zwischen Präsident Joe Biden und Herausforderer Donald Trump in der Nacht zu diesem Freitag ins Bewusstsein: Dort droht im November eine Schicksalswahl.

In der ersten Amtszeit hat Trump die Nato für „überholt“ erklärt, Strafzölle gegen die europäischen Verbündeten verhängt und Deutschland wie einen Feindstaat behandelt. Nun will er die Ukrainehilfe streichen.

Die Entwicklungen in allen drei Ländern untergraben das Erfolgsmodell, dem Deutschland seinen Aufstieg zur drittgrößten Wirtschaft der Erde, seinen Wohlstand und die Finanzierung seiner Sozialsysteme verdankt. Im Kern sind dies die regelbasierte Ordnung für die Weltwirtschaft sowie EU und Nato als ökonomische und sicherheitspolitische Allianzen. Dieses System hat es den Deutschen erlaubt, mehr als vier Prozent der Weltwirtschaft zu generieren, obwohl sie nur ein Prozent der Bevölkerung des Globus stellen.

Auf diese regelbasierte Ordnung ist seit über einem Jahrzehnt immer weniger Verlass. Die ersten Warnzeichen kamen aus China, Russland, der Türkei. Autoritäre Herrscher, die Deutschland sich zu „Partnern“ schöngeredet hatte, zeigten ihr wahres Gesicht. Xi öffnete China nicht, im Gegenteil. Putin begann, Grenzen mit Gewalt zu verschieben. Erdogan stellte sich offen gegen Nato-Verbündete.

Inzwischen ist die Krise der Verlässlichkeit bis tief in die westlichen Demokratien vorgedrungen. Die Wahlen in Frankreich, Großbritannien und den USA sind eine Mahnung, dass die Welt immer ungemütlicher für Deutschland wird.

Höchste Zeit für eine illusionslose Außen-, Sicherheits- und Klimapolitik. Wie will Deutschland trotz Trump, trotz Brexit, trotz eines erratischen Frankreichs seine Interessen durchsetzen?

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