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Meerestiere im neuen Habitat. Skulptur der kanadischen Künstlerin Liz Magor.

© Timo Ohler

Ausstellung in der daadgalerie: Ausflug mit dem Kraken

Sprache, Sound, Bild und Logik der Wissenschaft: Eine interdisziplinäre Schau in der Kreuzberger daadgalerie zum Thema „Meer“.

„Und dann entschied ich mich, dem Oktopus aus Akashi eine Tour durch Tokio zu geben“, heißt die Performance, die der Künstler Shimabuku im Jahr 2000 gemeinsam mit einem lebenden Kraken durchführte. Kraken gelten in Japan als Delikatesse. Einmal gefangen, landen sie normalerweise im Kochtopf und nicht als Feriengast in einem Zug. Insofern hatte das Tier Glück. Ob es beeindruckte, was es in Tokio zu sehen bekam, kann es nicht mitteilen. Aber fies ist es schon, dass der Künstler dem in einer Plastiktüte zappelnden Oktopus auf der gemeinsamen Reise nicht nur den Berg Fuji zeigte, sondern ihn auch zu einem Fischmarkt mitnahm und ihm dort Köche vorstellte.

Die Eindrücke der Reise sind in einem Video festgehalten, das in der interdisziplinär angelegten Ausstellung „Aquaria“ in der daadgalerie zu sehen ist. Der in Berlin beheimatete Shimabuku bewegt sich selbst zwischen den Disziplinen. Er, der ursprünglich Dichter werden wollte, begreift seine poetischen Begegnungen zwischen Mensch und Tier als Lyrik – in konkreter Form.

Das erste Ausstellungsprojekt, das unter der Ägide von Silvia Fehrmann, der neuen Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, stattfindet, handelt vom Meer. Und es bildet ab, was die zu Beginn des Jahres angetretene Literaturwissenschaftlerin interessiert – die Schnittpunkte zwischen Kunst und Wissenschaft und das Zusammentreffen der Disziplinen. Bildende Künstler, Komponistinnen, Literaten, Dichter und Klimaforscher, die meisten ehemalige oder aktuelle Stipendiaten des Berliner Künstlerprogramms wie der Komponist Peter Cusack und der Schriftsteller Sergio Raimondi – kommen im Rahmen des Projekts „Aquaria“ zusammen. Viele von ihnen thematisieren die Folgen des Klimawandels, die sich drastisch in den Ozeanen abbilden. Während Konzerne bereits über den Abbau von Rohstoffen aus der Tiefsee verhandeln, kommt die Wissenschaft nicht hinterher, zu erforschen, wie sich das auf die Umwelt auswirkt. Über die Tiefsee sei weniger bekannt als über den Mond, kritisierte der Berliner Meeresbiologe Rolf Peinert bei einer Diskussionsrunde im Rahmen von „Aquaria“. Wir müssten ganz schnell Aufmerksamkeit für dieses bedrohte Ökosystem generieren: Nicht nur mittels wissenschaftlicher Daten und Fakten, sondern auch mit den Mitteln der Kunst. Genau das wird in der daadgalerie eingelöst.

Zerstörerische Abfälle der Konsumgesellschaft

Die Ausstellung im Erdgeschoss ist durchwoben mit den maritimen Gedichten des DAAD-Stipendiaten Jeffrey Yang. Yang, 1974 in Kalifornien geboren, hat einige Jahre als Biologe und Wissenschaftler gearbeitet, bevor er 2012 sein Lyrikdebüt „Ein Aquarium“ vorlegte. Seine Gedichte widmen sich den Eigenheiten von Riemenfisch, Flunder, Seetang und Qualle genauso wie denen von Google und den Vereinigten Staaten. Die Verse über Letztgenannte hängen im Ausstellungsraum an der Wand und verweisen auf ein Problem, das auch in der restlichen Schau anklingt: je mehr Mensch und Ökonomie sich entwickeln, desto weiter schrumpft das Meer.

Die Künstlerin Agnieszka Brezezanska zeigt in ihrem Video „Plastic Beach“ die schwappende Brandung an verschiedenen Stränden, im Wasser treibt Plastikmüll in unterschiedlicher Gestalt und Farbe, und wären es nicht die zerstörerischen Abfälle der Konsumgesellschaft, man könnte dieses Hin und Her glatt als schön empfinden.

Mit künstlerischen Mitteln die Wahrnehmung trainieren

Wohin bewegen wir uns, wenn wir brav ins (digitale) Netz von Großkonzernen wie Google oder Microsoft gehen, fragt der 2013 verstorbene US-amerikanische Fotograf Allan Sekula. Einige Fotos aus seinem Projekt „Dear Bill Gates“ zeigen, wie der Künstler sich schwimmend dem Anwesen von Bill Gates am Lake Washington näherte, so weit, wie es die Unterwasseralarmsysteme zuließen. Dazu ein handgeschriebener Brief, in dem Sekula bei Gates nachhakt, warum er für ein Seestück des Malers Winslow Homer aus dem Jahr 1885 bei einer Auktion einen total überhöhten Preis bezahlte. „Wenn Sie im Netz sind, verlieren Sie sich? Oder finden Sie sich?“. Diese Frage richtet Sekula an Gates – und an uns alle.

Die interdisziplinäre Veranstaltung beweist, dass es produktiv sein kann, sich einem Thema mit unterschiedlichen ästhetischen Mitteln zu nähern – Sprache, Sound, Bild, der Logik der Wissenschaft. Die Schau zeigt auch, wie ungeübt unsere Wahrnehmung ist, wenn es um das Meer geht. Wir hören Unterwassergeräusche, und jeder deutet sie anders. Wir sehen einen Farbschleier im Meer und wissen nicht, ob es Müll ist oder ein Lebewesen. Mit künstlerischen Mitteln kann man die Wahrnehmung trainieren. Wir sollten die Gedichte, die Sounds, die Spaziergänge mit Tieren also ruhig ernst nehmen. Wenn mehr Menschen für die bedrohten Ozeane eintreten sollen, ist der erste Schritt die Wahrnehmung des Problems.

daadgalerie, bis 31.3., Di-Do 12-19 Uhr

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