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Olivia Wenzel am Freitag in Klagenfurt bei ihrer Lesung

© Johannes Puch/ORF

Der zweite Tag des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs : Über den Schwellen schweben

In Klagenfurt gibt es mit Henrik Szanto und Denis Pfabe weitere Preisfavoriten. Und nach Olivia Wenzels Beitrag zeigen sich in der Jury politische und ästhetische Differenzen.

Es ist dann auch am Freitag in Klagenfurt akzeptabel heiß geworden, bei einem gleichbleibend unbeständigen Sonne-und-Wolken-Mix, und im Verein mit den Zufällen der Auslosung hat das diesem 48. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gutgetan und Schwung gegeben. Die Texte waren durchweg interessanter, die Diskussionen lebendiger. Zudem gesellten sich zu dem 1981 in Sarajewo geborenen und in Kaiserslautern lebenden Tijan Sila zwei weitere Favoriten: Henrik Szanto und Denis Pfabe.

Szanto, der 1988 in Frankfurt am Main zur Welt kam und einen ungarisch-finnischen Familienhintergrund hat, las einen formal interessanten, weil mit einem Haus als Wir-Erzähler operierenden und zunächst mit einer Aufzählung beginnenden Text, der nach und nach mit Figuren aus dem Haus belebt wird, quer durch die Etagen und ein Jahrhundert.

Unser Los ist das des Beobachters

Das Haus in Henrik Szantos Text

„Wir sind eine Summer aus Rohren, sind gestapelter Stein, verputzte Mauer, …“, hebt er an, „Unser Los ist das des Bobachters“ heißt es zwischendrin, und irgendwann schließlich, plötzlich ein Du anredend: „Erst wenn du nicht mehr bist, bist du bei uns. Dann bereiten wir dir eine Ruhestätte in den Wänden, führen dich von Stock zu Stock und deuten auf die Teppiche, Tische und Polster und dagegen: Gute Güte, was hast du gelebt.“

Szantos Text, betitelt mit „Eine Treppe aus Papier“, ist ein ungewöhnlicher über Erinnerung, Vergessen und das Ungeheuer der Zeit, trotzdem eine smart-anschmiegsame Erzählung. Die Jury war begeistert, nur hie und da wurden kleine Abstriche gemacht. Ähnlich positiv wurde Denis Pfabes in sich schön geschlossener Text über einen Mann in einem Baumarkt bewertet, „Die Möglichkeit einer Ordnung“.

Von Baumarkt zu Baumarkt

Der Mann wandert von Abteilung zu Abteilung, weil er zusammen mit seiner Frau an einem Haus herumwerkelt. Dass mit dem Mann nicht alles stimmt, streut Pfabe immer wieder ein: Mal weint er sich bei einem Angestellten aus, mal gesteht er einem Baumarktmitarbeiter, dass er „unfähig war, etwas zu spüren.“ Aber tut er das wirklich?

Nach Pfabe und der Mittagspause trat die 1985 in Weimar geborene Berliner Schriftstellerin Olivia Wenzel auf. Die Bewertung ihres Textes demonstrierte, dass auch die Literaturkritik hie und da von (gesellschafts)-politischen Motiven geleitet wird und ästhetische Kriterien eine Sache der Auslegung werden können.

Wenzel erzählt in „Hochleistung, Baby“ von einer Gruppe namenloser Frauen, die mit zwei Kindern Urlaub macht. Eine von ihnen will einen berühmten, später gescheiterten Fußballer interviewen und porträtieren. Doch es bleibt bei diesem Versuch, er verweigert sich. Danach träumt sie davon, wie sie sich körperlich annähern und er an ihren mit Muttermilch stramm gefüllten Brüsten saugt.

Es steckt einiges drin in Wenzels Text. Es geht um Mutterschaft, Sexualität und Begehren, um Rassismus, Klasse und Gender, und doch wirken die vielen Themen mitunter hineingezwungen, der Text überladen. Etwa wenn eine der Frauen einen Podcast mit dem Titel „Naughty by Nature - Race, Class, Gender and the Architecture of Desire“ erwähnt; auch der Fußballer ist ein arg klischeeisierter.

Mithu Sanyal fühlte sich jedenfalls „umgeworfen“, „mein absoluter Lieblingstext“, obwohl sie Wenzel gar nicht eingeladen hatte; das war Neujurorin Laura de Weck, die ihren „Stolz“ zum Ausdruck brachte, „diesen Text mitgebracht zu haben“, für sie einer der Texte, „die sich wirklich mit zeitgenössischen Debatten auseinandersetzt.“

Mara Delius las dagegen einen einzigen „Thesentext“ (wofür schon spricht, dass bis auf den Fußballer alle Figuren keinen Namen haben und ihre Kinder nur „Kind“ nennen), einen formal-sprachlich „konservativen“ gar. Und Philipp Tingler, Sanyals Widerpart seit deren Eintritt in die Jury und kein Freund von identitätspolitischem Aktivismus, sagte, dass „der Text mit modischen Begriffen von Identitäten arbeitet, die sich ableiten aus Zugehörigkeiten.“

Von Schachinger bis Schnitzler

Konservative Literaturkritik versus aktivistische Literaturkritik in Klagenfurt? Und dazwischen Klaus Kastberger, der seltsamerweise eine Novelle erkannt zu haben meinte, gar Schnitzlers „Traumnovelle“ erwähnte (und nebenher mal schnell, ganz österreichischer Patriot, fälschlicherweise Tonio Schachingers Fußballer-Roman „Nicht wie ihr“ zum Gewinner des Deutschen Buchpreises machte und nicht „Echtzeitalter“), sowie der stets textexegetische Literaturwissenschaftler Thomas Strässle und die solide Brigitte Schwens-Harrant.

Oder am Ende alles Ironie, die niemand verstand oder in der Diskussion zu kurz kam? „Ey, gibt’s für euch auch irgendwie Privates, was einfach nur privat ist?“, fragt eine Frau bei Wenzel einmal. „Nee, eigentlich nicht, wozu denn?“, lautet die Antwort. Ironie, so ist das nun mal, war wohl noch nie over.

Olivia Wenzel erklärte dann noch selbst, was die Jury schon herausgearbeitet hatte, und brachte Mara Delius ins Schlingern, weil diese nicht wirklich das Konservative an „Hochleistung, Baby“ erklären konnte und dann die nicht so großartigen Bilder heranzog, von „blaue Stimme“ bis „Krebse, die im Magen zappeln“.

Man ahnt jedenfalls, wer am Sonntag ganz sicher für Olivia Wenzel stimmt und wer nicht.

Gerahmt wurden Szanto, Pfabe und Wenzel von den Lesungen der Berliner Schriftstellerin Sophie Stein und der polnischstämmigen Wiener Autorin Kaska Bryla.

Deren Texte verursachten der Jury viel Interpretationsarbeit, der von Stein über die Maßen: Da wunderte man sich nach dem ersten Hören und Lesen, was alles drinsteckt trotz aller sprachlichen Schlichtheit. Der andere, der vor allem von einer an Corona erkrankten Frau und der Vergangenheit ihrer Eltern erzählt, und das ohne Punkte, mit ganzen drei Sätzen, bietet seine Lesarten weniger offensichtlich an, wirkt aber old-schoolhaft-beflissen mit viel und nichts sagenden Verweisen an Martin Pollack oder Paul Celan.

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