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Bestens aufgelegt starteten die Berliner Philharmoniker am Donnerstag mit Werken von Max Reger und Richard Strauss in die neue Saison.

© Monika Rittershaus

Petrenko dirigiert Reger und Strauss: Helden wie wir

Zum Saisonauftakt präsentieren die Berliner Philharmoniker ein höchst anspruchsvolles Programm. Chefdirigent Kirill Petrenko beeindruckt mit durchdachten Interpretationen.

Er dreht sich nicht um. Der Applaus prasselt von allen Seiten auf ihn ein, doch Kirill Petrenko verbeugt sich nur nach vorne. Obwohl es ein „Vorne“ in der Philharmonie eigentlich gar nicht gibt. Denn so wie sich die Menschen im Kreis zusammenfinden, wenn irgendwo spontan Musik gemacht wird, nehmen hier auch die Zuhörerinnen und Zuhörer Platz: auf Weinbergen, die konzentrisch angeordnet sich um einen Talkessel, in dem die Interpreten spielen.

Kirill Petrenko allerdings, der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, verhält sich beim Saisoneröffnungskonzert des Orchesters am Freitag, als wäre dies hier ein rechteckiger Schuhkarton-Saal, bei dem das Publikum dem Orchester gegenübersitzt.

Mitte Oktober jährt sich die Philharmonie-Eröffnung 60. Mal, gerade zu Beginn dieser Jubiläumsspielzeit wäre es also logisch, sich auch in Richtung der „billigen Plätze“ zu verbeugen, zu den Menschen, die während der Aufführung zwar dem Dirigenten ins Gesicht blicken, von den Musikerinnen und Musikern aber nur die Hinterköpfe sehen.

Zwei schwere Brocken

Viele Maestri machen das inzwischen ganz selbstverständlich, gemeinsam mit den Orchestern. Die Pressesprecherin der Philharmoniker betont, dass sich auch Petrenko schon mehrfach für diese Geste der Rundum-Wertschätzung entschieden hat. Beim Saisoneröffnungsevent aber, bei dem viel Prominenz anwesend ist, unter anderem die klassikaffine Ex-Kanzlerin Angela Merkel, tut er es nicht.

Kirill Petrenko ist ein Mann von tadellosen Umgangsformen, einnehmend höflich, uneitel, bewundernswert ernsthaft, tiefgründig in allem, was er über Musik sagt. Er gibt Journalisten grundsätzlich keine Interviews, doch in den Gesprächen, die er für die Digital Concert Hall der Philharmoniker mit Orchestermitgliedern führt, erlebt man einen Intellektuellen, der sich als Diener der Partituren versteht.

Chefdirigent Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker am 25.8.2023 in der Philharmonie

© Monika Rittershaus

Zugeständnisse an den Massengeschmack würde Kirill Petrenko niemals machen. Und so hat er auch für den Eröffnungsabend der Spielzeit 2023/24 zwei ganz dicke Bretter der spätromantischen Orchesterliteratur ausgewählt, Max Regers Mozart-Variationen und „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss.

Reger, vor 150 Jahren geboren, gilt als überkomplex-verschwurbelt und ist kaum präsent im Konzertleben, die 1899 uraufgeführte Heroen-Tondichtung gehört zwar zum Kanon, hat aber den Hautgout des Megalomanen. Nicht nur, weil sich hier 120 Instrumentalist:innen auf dem Podium drängeln, sondern auch, weil das Werk als Selbstporträt des Komponisten gilt, der von sich gesagt haben soll: „Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon oder Alexander der Große.“

Das Orchester brilliert

Kirill Petrenko meistert die beiden heiklen Stücke mit größter Souveränität. Bei Strauss setzt er klug auf koordinierende Sachlichkeit - der Überwältigungseffekt stellt sich von selbst ein angesichts der Besetzungsgröße und der Weltspitzenqualität des Orchesters. Alle Instrumentengruppen brillieren, wobei besonders die fein ausgehörten, auf einem Atem gespielten ruhigen Momente im Ohr bleiben. Einen anrührend menschlichen Ton entfaltet die Sologeige von Konzertmeisterin Vineta Sareika-Völkers.

Auch bei Regers Variationen verfolgt Petrenko eine glasklare Interpretationsstrategie. Die zielt darauf ab, den Wildwuchs der Nebenstimmen zu minimieren, das überbordende Beiwerk akustisch wegzublenden, so dass jeweils nur die eine, führende Stimme im Mittelpunkt steht. Dadurch erreicht Petrenko tatsächlich jene mozartische Leichtigkeit, die Reger vorschwebte. Selbst die irrwitzig überladene Final-Fuge weiß Petrenko zu bändigen, durch einen tänzerischen Gestus, der das Stimmengewimmel in verspielte Duftigkeit auflöst, aus der Tonsatz-Gelehrsamkeit ein geistreiches Divertissement im galanten Stil des 18. Jahrhunderts macht. Jubel ringsherum.

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