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POSITIONEN: Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Die Ypsilanti-Gegnerin Carmen Everts verdient Achtung, nicht Ächtung. Denn die Linke weist extremistische Züge auf – ein Sachverhalt, der kaum mehr in der Diskussion auftaucht.

Carmen Everts habe ich als integre Doktorandin kennengelernt. In ihrer Studie „Politischer Extremismus. Theorie und Analyse am Beispiel der Parteien REP und PDS“ arbeitete sie Kriterien für einen demokratischen Minimalkonsensus heraus. Die beiden Parteien ließen strukturelle Ähnlichkeiten erkennen – etwa mit Blick auf antipluralistische Positionen, Freund-Feind-Stereotypen und identitäres Demokratieverständnis. Gleichwohl sieht die Autorin Unterschiede in der Doktrin, der Organisation und der Strategie. Everts ist ebenso als engagierte Verfechterin der streitbaren Demokratie publizistisch hervorgetreten – mit einem Plädoyer für eine aktive Verteidigung „verfassungspatriotischer“ Prinzipien, nicht mit dem Ruf nach Verboten.

Als sie mit weiteren Abgeordneten öffentlich bekundet hatte, Andrea Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen zu können, prasselte auf die „Abweichler“ (was für ein Ausdruck!) heftige Kritik nieder. Sie sollten weder an Fraktions- noch an Ausschusssitzungen mehr teilnehmen und mussten bei der gestrigen Auflösungsabstimmung ihre gewohnten Plätze im Landtag räumen. Das nicht nur gegen Carmen Everts eingeleitete Ausschlussverfahren ist ein Armutszeugnis. Es dürfte kaum zum Ziel führen, weil es an parteischädigendem Verhalten mangelt. Allerdings: Das langjährige SPD-Mitglied Everts, der Mitgliederrechte beraubt, kann sich jetzt nicht mehr erneut für die Partei um ein Mandat bewerben. Demokratisch ist das nicht.

Die Abgeordnete hat mit ihrem Votum damit die politische Karriere geopfert und die berufliche Existenz gefährdet. Der wohl nicht bloß auf den vier Personen lastende Druck muss beträchtlich gewesen sein. Einige SPD-Abgeordnete wollten laut „Spiegel“ mit einem Fotohandy ihr Votum für Ypsilanti belegen, CDU-Abgeordnete der Abstimmung fernbleiben – offenkundig aus Angst vor einem „abweichenden“ Votum.

Carmen Everts hatte nicht nur den Wortbruch der eigenen Partei kritisiert, sondern auch – und vor allem – eine wie immer geartete Kooperation mit der Linkspartei, deren Repräsentanten schwerlich als Gralshüter des demokratischen Verfassungsstaates fungieren können, deutlich abgelehnt. Die Linke weist extremistische Züge auf – ein Sachverhalt, der kaum mehr in der Diskussion auftaucht. Sie verteidigt die kubanische Diktatur, stellt die „Systemfrage“ (so die beiden Vorsitzenden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine), votiert für eine „antifaschistische Klausel“ in den Verfassungen, nennt ihre Stiftung nach Rosa Luxemburg, einer Verfechterin der „Diktatur des Proletariats“ in Wort und Tat, einer vehementen Gegnerin des Sozialdemokraten Friedrich Ebert. In der Partei agieren und agitieren Kommunisten, sei es der marxistisch-leninistischen Richtung, sei es der trotzkistischen.

Als Extremismusforscher fällt mir auf, welche Emotionen ein Vergleich zwischen Parteien hervorruft oder gar ein Vergleich zwischen Intellektuellen, die den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren suchen. Offenbar wird ein Nerv getroffen. Dabei läuft ein Vergleich, wie ihn Carmen Everts vorgenommen hat, bekanntlich keineswegs auf eine Gleichsetzung hinaus. Die NPD etwa vertritt einen harten Extremismus, die Linke einen weichen. Es ist eine (oft tabuisierte) Binsenweisheit: Gegensätzliche politische Richtungen ziehen den demokratischen Verfassungsstaat in Zweifel, sagen ihm – offen oder verdeckt – den Kampf an.

Für die Verantwortungsethikerin Everts heiligte der Zweck (die Ablösung Roland Kochs vom Amt des Ministerpräsidenten) nicht das Mittel (die Kooperation mit der Linke). Wissenschaftliche Erkenntnis und politisches Wollen flossen zusammen. Die von der Spitze der Landes-, weniger der Bundespartei heftig gescholtene Politikerin hat die Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie ins Licht gerückt, ebenso die ihrer Partei. Sie verdient Achtung, nicht Ächtung. Ein großer Teil der Wähler, selbst aus den eigenen Reihen, empfindet das ebenso. Wer diese Zivilcourage besitzt, kann in den Spiegel schauen. Carmen Everts habe ich als integre Politikerin kennengelernt.

Der Autor ist Professor

fürPolitikwissenschaft

an der TU Chemnitz.

Eckhard Jesse

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