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Den Rechtsstaat im Klassenzimmer durchsetzen, das überfordert viele Lehrer (Symbolbild)

© Kitty Kleist-Heinrich

Islamistisches Denken bei Schülern: Lehrer bräuchten konkrete Anleitungen für den Umgang mit Konfrontationen

Was soll eine Lehrperson antworten, wenn der Koran über die Schulgesetze gestellt wird? Damit werden die Schulen alleine gelassen. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist Vorsitzender des Landesverbandes Berlin des Verbands der Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) e.V.

An vielen Berliner Schulen gibt es ein massives Problem mit islamistischem und auch mit antisemitischem Denken. Damit werden gerade auch die Lehrer im Geschichts- und Politikunterricht konfrontiert.

Jenseits von inhaltlich-didaktischen Fragen und dem Rahmenlehrplanbezug stellen sich für jede Lehrkraft täglich konkret lebenspraktische Fragen, je nachdem, welche Schülerinnen und Schüler in der Klasse unterrichtet werden: Welche Interessen haben die Schülerinnen und Schüler.

Was kann davon im Unterricht berücksichtigt werden, was nicht? Welche Grundeinstellungen haben Schülerinnen und Schüler: Sind auch religiöse Prinzipien leitend für das unterrichtliche Verhalten, beispielsweise bei muslimischen Schülern: Was ist "Halal", was "Haram"?

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Inwieweit sollte die Schule auf diese Grundeinstellungen einwirken, darf Schule dies, inwieweit entspricht es den Forderungen des Schulgesetzes, vielleicht sogar des Grundgesetzes? Welche Inhalte des Unterrichts werden bei Schülerinnen und Schülern in Frage gestellt, alltagsweltlich, religiös oder nur als pubertäre Geste des Widerspruchs – wie es dies in jeder Generation gab? Zweifel sind immer angebracht, aber sie dürfen nicht grundsätzlich-existentiell werden, sonst gefährden sie den Lehrer-Beruf.

Lehrer brauchen Rückendeckung - aber wie sieht diese im konkreten Fall aus?

Die Problem- und Entscheidungslage ist alles andere als einfach: Frau Giffey (SPD) hat kürzlich in einem Interview gefordert "Lehrer brauchen Rückendeckung". Niemand wird dieser Forderung widersprechen. Aber was heißt das im Detail? Wenn Giffey fordert, "wenn im Lehrplan der Holocaust als Thema vorgesehen ist, dann darf es da keine Kompromisse geben. Da braucht es einen Grundkonsens in den Schulen ...", dann klingt das für die Mehrheit in Berlin vernünftig und rechtlich betrachtet, werden ihm viele zuzustimmen.

Aber alltagsweltlich, in der konkreten Schule, der konkreten Klasse, der konkreten Situation, in der die Lehrperson dann allein vor der Klasse steht, ist damit Nichts gelöst: Wer drückt diese Forderung dann „bedingungslos“ durch?

Dies wird durch solch gutgemeinten Forderungen nicht geklärt, da brauchen Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer konkrete und sehr komplexe Unterstützung.

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Die zentrale Ebene ist dabei die politische, in der Lehrpersonen nur sehr mittelbar etwas ändern können, es sind die berühmten Rahmenbedingungen: Alle politischen Institutionen müssen für sich die Frage klären, was die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes in der Schule konkret bedeutet.

Beispielsweise reklamieren muslimische Schülerinnen und Schüler im Unterricht für sich diesen Artikel und fühlen sich damit nicht nur subjektiv im Recht, sondern beziehen sich auf einen sehr weitgehenden normativen Aspekt des Grundgesetzes: Die freie Ausübung des persönlichen Glaubens. Bedeutet dies im weitestgehenden Sinn, dass religiöse Bekenntnisse und deshalb auch Wünsche nach Halal und Haram in der Berliner Schule nachzukommen ist, dann entsteht ein nicht aufzulösender Konflikt mit anderen normativen Prinzipien des Grundgesetzes (Art. 1- 20)?

Oder bedeutet es als "härteste" Gegen-Variante, dass unter Religionsfreiheit die weitestgehend säkularisierte Form der christlichen Bekenntnisse und des Judentums gemeint ist? Und dass deshalb der Islam in Europa und so auch in Deutschland sich an die normativen Rechtsprinzipien des Grundgesetzes und des Vertrags von Lissabon anpassen muss, dass er sich liberalisieren und damit auch säkularisieren muss, wie nach dem Westfälischen Frieden (1648) die christlichen Bekenntnisse?

Dies scheint die Position von Frau Giffey zu sein ("darf es da keine Kompromisse geben..."). Oder sind die normativen Prinzipien des Grundgesetzes doch verhandelbar (ein nicht einfach auflösbarer Widerspruch, da sie ja normative Prinzipien sind)? Und wie weit sollen Lehrkräfte dann die Verfassung und das Schulgesetz beugen?

Manchmal fehlt die eindeutige Rechtsgrundlage

Dieses Grundproblem muss politisch gelöst werden; es kann nicht Aufgabe von Geschichtslehrerinnen und -lehrern vor Ort sein, für das politische Establishment den Kopf hinzuhalten. Was antwortet man rechtssicher, empathisch und alle Perspektiven beachtend konkret im Unterricht, wenn die Lehrkraft über die Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten im Nationalsozialismus gesprochen hat, die Geschichtsstunde lehrplankonform vor allem die Verfolgung und Vernichtung deutscher und europäischer Juden thematisierte und Schülerinnen und Schüler darauf nur antworten: "Wir Türken sind hier in Deutschland doch die Juden von heute."

Und auf welcher eindeutigen Rechtsgrundlage begegnet man Schülerinnen und Schülern in einem Konflikt zwischen Lehrkraft und Schülerin über das Fasten im Ramadan an langen Sommertagen, wenn die Lehrkraft mit gesundheitlichen und schulrechtlichen Argumenten zu Trinken und Essen auffordert, und die Schülerin antwortet: "Unsere islamische Religion steht über allem. Schließlich hat sie Allah durch unseren Propheten verkünden lassen. Dagegen zählt das deutsche Recht gar nichts."

Frau Giffey würde dazu vielleicht sagen: Man muss den Rechtsstaat in der Klasse durchsetzen. Aber was der Rechtsstaat genau in Bezug auf Artikel 4 des Grundgesetzes alles erlaubt oder verbietet, darüber sind sich auch deutsche Juristen nicht völlig einig. Nichts schwieriger als diesen "gordischen Knoten" zu zerschlagen, ein großes Stück Arbeit, das wir als Berliner Geschichtslehrer-Verband begleiten, aber sicherlich nicht unmittelbar beeinflussen können.

Peter Stolz

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