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Ukrainische Übungsstellung in Brandenburg - wegen der Drohnenaufklärung wird die Tarnung von oben immer wichtiger.

© Christoph Ziedler

Unterwegs mit ukrainischen Rekruten: Üben für den Stellungskrieg mit Drohnen im Brandenburger Wald

Mehrere hundert Ukrainer erhalten auf einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr zurzeit eine ganz besondere Grundausbildung. Für sie geht es direkt danach an die Front.

Sie nennen ihn „Eisberg“, weil er ein Hüne von einem Mann ist und einen markanten weißen Bart trägt. Für das Foto muss der freilich hinter einem Schlauchschal verschwinden, die Augen hinter einer getönten Sonnenbrille. Niemand, vor allem nicht der russische Geheimdienst, darf wissen, wer er wirklich ist und wo genau er sich aufhält. Die Ortung des Handys muss deaktiviert sein.

Der ältere Mann namens „Eisberg“ war, bevor er den Einberufungsbescheid der ukrainischen Armee bekommen hat, Polizist in einem nicht von Russland besetzten Teil seiner Heimatregion Donezk. Gerade erhält er auf einem aus Sicherheitsgründen nicht näher bezeichneten Truppenübungsplatz in Brandenburg fünf Wochen lang das nötigste militärische Rüstzeug.

Lager im Wald - das von der Bundeswehr angebotene Überlebenstraining dauert mehrere Tage.

© Christoph Ziedler

„Das hier ist alles neu für mich – ich werde es gegen den Feind gut gebrauchen können“, erzählt er auf einer Lichtung mitten im Wald. Hier bringen Bundeswehrausbilder ihm, seinen mehreren hundert Kameraden und auch einigen wenigen weiblichen Freiwilligen in viel kürzerer Zeit als sonst bei, wie sie tagelang im Freien überleben, richtig schießen und sich in Stellungen eingraben.

Die erste Grundausbildung in Deutschland

Die Europäische Union ist von der Regierung in Kiew gebeten worden, dass das Special Training Command in Deutschland nicht nur Spezialisten an Panzern oder Patriot-Abwehrraketen schult, sondern auch eine Grundausbildung anbietet, die es bisher nur in Polen und Großbritannien gab. Sie findet nun erstmals statt. Man muss das wohl als Zeichen dafür sehen, wie sehr die ukrainische Armee unter Druck steht und neue Kräfte braucht.

Es ist also todernst hier draußen zwischen den Brandenburger Kiefern. Keine Spur von Pfadfindertum, weil für die ukrainischen Rekruten schon bald ihr Leben von dem abhängt, was sie hier an Kenntnissen und Fähigkeiten mitnehmen. Und auch das ist keine Garantie, weil die Geschichte des Krieges lehrt, dass das Überleben oft nur Glückssache ist. Die Chance zu überleben immerhin, die lässt sich erhöhen.

Bundeswehr-Ausbilder Daniel spürt die Verantwortung, den ukrainischen Rekruten in kurzer Zeit so viel wie möglich beizubringen, was sie zum Überleben brauchen.

© Christoph Ziedler

„Das geht einem schon sehr nah zu wissen, dass wir Menschen ausbilden, die sehr bald an der Front kämpfen werden“, sagt der Bundeswehr-Ausbilder Daniel: „Ich spüre die Verantwortung, ihnen in dieser kurzen Zeit so viel militärisches Wissen wie nur möglich mitzugeben.“

Es geht um Kommandozeichen, das richtige Robben im Unterholz, die Bedienung eines Maschinengewehrs, das die allermeisten zum ersten Mal in der Hand halten, und dass zu einer guten Tarnung gehört, wegen der Rauchentwicklung besser keine feuchten Äste auf das Lagerfeuer zu legen.

Die Ukrainer lernen mehr als Wehrdienstleistende

Bei dieser klassischen Grundausbildung aber bleibt es nicht, die Gäste aus der Ukraine bekommen auf eigenen Wunsch eine „Grundausbildung plus“, die sie gezielt auf das militärische Szenario vorbereiten soll, das sie in ihrem Heimatland erwartet, in dem die Vergangenheit in noch nie dagewesener Weise auf die Zukunft trifft. „Es ist wie im 1. Weltkrieg“, sagt Verbindungsoffizier Yurii, „nur dass Drohnen die Rolle der Panzer übernommen haben.“

Nach einem kurzen Marsch in den Wald hinein, tauchen verstreut Grüppchen von Soldaten der „roten Kompanie“ auf, die seit dem Vortag unterwegs ist und bereits die Nacht im Gelände verbracht hat. Ein Zug grüßt freudig aus einer tiefen Mulde, wo er sein Lager aufgeschlagen hat.

Abmarsch durch den Wald - in Bataillonsstärke sind ukrainische Rekruten derzeit in Brandenburg.

© Christoph Ziedler

Erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass auf einer kleinen Anhöhe in fünf Stunden harter Arbeit eine mit Ästen und Moos getarnte Stellung entstanden ist, in der ein Mann Wache hält, während die anderen sich ausruhen. Auf der anderen Seite der Mulde haben die Männer ein ganzes Grabensystem ausgehoben. Sie üben für den unerbittlichen Stellungskrieg, der sie zu Hause erwartet.

Zickzackförmige Gräben, abschüssige Stellungen

Der Graben wird zickzackförmig angelegt, damit hinter einer Ecke Schutz gesucht werden kann, wenn eine Granate hineinfliegt. Die Rekruten lernen, den Boden unter einer Schießscharte abschüssig anzulegen, damit Regenwasser abfließen kann - wer zu lang darin steht, könne nämlich einen „Grabenfuß“ bekommen. Man wünscht sich sofort, das Wort wäre in die Geschichtsbücher verbannt geblieben, solch verfaulte Gliedmaßen gehören aber leider auch zur ukrainischen Gegenwart.

Richtig getarnt ist die Stellung, wenn der ukrainische Drohnenbediener von oben nichts erkennt. Das ist der neue Goldstandard. 

Der Bundeswehr-Ausbilder Simon

Ganz zufrieden ist Ausbilder Simon nicht, weil der Graben aus Zeitmangel nicht mannshoch ausgehoben wurde: „Jetzt müssen wir uns halt bücken.“ Auch die Tarnung könnte besser sein, für die neuerdings andere Kriterien als bisher gelten. „Richtig getarnt ist die Stellung, wenn der ukrainische Drohnenbediener von oben nichts erkennt“, sagt er. „Das ist der neue Goldstandard.“

Drohnenschulung auf der Lichtung. Worauf muss bei den kleinen unbemannten Flugobjekten geachtet werden?

© Christoph Ziedler

Auf einer Lichtung erklärt eben dieser Pilot, der als Ausbilder mitgekommen ist aus der Ukraine, wo der erste Drohnenkrieg überhaupt stattfindet, worauf bei den kleinen unbemannten Flugobjekten zu achten ist. Sie machen das Schlachtfeld gläsern und können mit Granaten bestückt werden. Das lernen die Rekruten hier auch – und die Bundeswehr-Kollegen, dass wegen der Drohnengefahr Soldaten am besten nicht einmal mehr in Zweiergruppen unterwegs sein sollten.

„Krieg ist kein Kinderspiel“, sagt lapidar der ukrainische Zugführer, der die Neuen hierher begleitet hat ins „Ausbildungs-Paradies“ Deutschland ohne ständigen Luftalarm. Der Anwalt ist selbst seit mehr als zwei Jahren in der Armee ist und will sich sein Haus auf dem vom Feind gehaltenen Territorium „zurückholen“.

Viele unserer Rekruten stammen aus den von Russland besetzten Gebieten und haben Terror und Tod bereits kennengelernt. Sie wissen sehr genau, was nach der Rückkehr auf sie zukommt.

Ein ukrainischer Ausbilder

Er glaubt nicht, dass seine Auszubildenden völlig unbedarft an die Front geschickt werden. „Viele unserer Rekruten stammen aus den von Russland besetzten Gebieten und haben Terror und Tod bereits kennengelernt. Sie wissen sehr genau, was nach der Rückkehr auf sie zukommt.“

Auch auf den Munitionsmangel vorbereitet

Aktuell ist das immer noch ein gravierender Mangel an Munition, auf den die Gruppe in der Größenordnung eines ukrainischen Bataillons ebenfalls vorbereitet wird. Kriegs-Azubis. Ein Hauptmann der Bundeswehr erklärt, was sie dort unter dem Begriff „Feuerzucht“ verstehen: „Wir zeigen den Ukrainern, wie man gezielt schießt, nämlich nur auf das, was man als Ziel auch erkennt.“ Sie würden außerdem „schon von sich aus sparsam mit Munition“ umgehen.

Der Mann, den sie „Eisberg“ nennen, stammt aus der Region Donetsk.

© Christopher Ziedler

„Die Stimmung in der Gruppe ist gut“, sagt der Mann, den sie „Eisberg“ nennen: „Wir freuen uns über die Gastfreundschaft.“ Man lerne viel und „die Ausbilder sagen uns sehr genau, was wir falsch gemacht haben“. Es wäre nur gut, meint er, wenn manches öfter als nur einmal wiederholt werden könnte. Aber die Zeit drängt, bald geht es zurück: „Ich weiß noch nicht, in welche Einheit ich komme, nur dass es eine Kampfeinheit an der Fronst sein wird.“

Ich kenne Putins Erzählung nur zu gut, dass wir in Donezk vom angeblichen ukrainischen Nazi-Staat schikaniert wurden und die Befreiung durch die russische Armee herbeigesehnt hätten.

Der Polizist, den sie „Eisberg“ nennen, stammt aus dem Osten der Ukraine.

Um es den Übersetzern einfacher zu machen, die es teils noch zu DDR-Zeiten gelernt haben, spricht der „Eisberg“ Russisch. Nicht, weil er je irgendeine Sympathie für Kremlchef Wladimir Putin gehegt hätte. „Ich kenne Putins Erzählung nur zu gut, dass wir in Donezk vom angeblichen ukrainischen Nazi-Staat schikaniert wurden und die Befreiung durch die russische Armee herbeigesehnt hätten“, sagt der „Eisberg“: „Meine Region war ukrainisch, ist ukrainisch und wird ukrainisch bleiben. Die echten Nazis, die uns überfallen haben, kommen von jenseits der Grenze.“

Die Sorge, dass ihre Liebsten etwas Ähnliches wie die Menschen in Butscha erleiden oder auch verschleppt werden könnten, wenn die ukrainische Armee die russische Armee nicht aufhalten kann, treibt viele der Rekruten im Wald an. Es sind Landwirte darunter, junge Abiturienten, aber auch der ein oder andere Mittfünfziger, die älteste Frau ist 45 – ein Querschnitt der Bevölkerung. „Fast jeder in der Gruppe ist hier“, sagt Yurii, „damit seine Familie eine Zukunft hat.“

„Natürlich haben auch die ukrainischen Soldaten Angst, vor dem, was auf sie zukommt“, berichtet einer der Bundeswehr-Leute vor Ort: „Aber die Angst davor, was mit ihren Familien passieren könnte, wenn sie ihr Land nicht erfolgreich verteidigen, ist noch größer.“

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