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„Ganz überwiegend bleibt übermäßige Gewalt durch Polizeibeamte ohne strafrechtliche Folgen“, lautet ein Fazit des Forschungsprojekts.

© Imago/A. Friedrichs

Studie untersucht Polizeigewalt: Forscher hält Opfer in Strafverfahren für fast chancenlos

Werden Polizisten wegen Gewalt angezeigt, kommt es nur in zwei Prozent der Fälle zu einer Anklage. Forscher haben nun in einer seltenen Studie die Gründe untersucht.

Immer wieder wird über Polizeieinsätze in Deutschland diskutiert – und immer wieder wird Beamtinnen und Beamten vorgeworfen, unverhältnismäßig Gewalt anzuwenden. Der Frankfurter Polizeiforscher Tobias Singelnstein beklagt nun Lücken bei der Erfassung solcher Vorfälle.

In anderen Ländern werde transparent statistisch erfasst, wie häufig und in welcher Form die Polizei Gewalt ausübe oder wie häufig Menschen im Kontext von Polizeieinsätzen zu Tode kamen, sagte Singelnstein der Deutschen Presse-Agentur.

„So eine Datenbasis, so eine statistische Erfassung wäre schon mal ein erster wichtiger Schritt.“ Der Jurist, der an der Frankfurter Goethe-Universität lehrt und forscht, hat das Thema Gewalt in seinem neuen Buch aufgegriffen.

Ganz überwiegend bleibt übermäßige Gewalt durch Polizeibeamte ohne strafrechtliche Folgen.

Ein Fazit des Forschungsprojekts

„Ganz überwiegend bleibt übermäßige Gewalt durch Polizeibeamte ohne strafrechtliche Folgen“, lautet ein Fazit des Forschungsprojekts. Bei den mehr als 3300 Befragten sei eine niedrige Anzeigebereitschaft festzustellen gewesen. „Ein Großteil der Verdachtsfälle rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendungen bleibt dadurch im Dunkelfeld. Nur 14 Prozent der von uns befragten Betroffenen gab an, dass in ihrem Fall ein Strafverfahren stattgefunden habe“, sagte Singelnstein.

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Doch auch dort, wo es zur Anzeige komme, stellten die Staatsanwaltschaften mehr als 90 Prozent der Fälle ein. Nur in etwa zwei Prozent der Fälle wird der Untersuchung zufolge Anklage erhoben. „Das ist ungewöhnlich wenig, denn im Durchschnitt landen 22 Prozent aller Verfahren vor Gericht“, sagte der Kriminologe dem WDR. „Diese Chancenlosigkeit ist auch einer der Hauptgründe, warum nur ein geringer Teil der Betroffenen überhaupt Anzeige erstattet.“

In den Verfahren stehe zudem oft Aussage gegen Aussage. Es komme zudem noch hinzu, dass viele Polizisten aufgrund häufiger Aussagen bei Prozessen „gerichtserfahren“ seien. Singelnstein und sein Team hatten neben den Betroffenen mehr als 60 Polizeibeamte sowie Juristen verschiedener Bereiche befragt.

Die niedrige Anklagequote sei nicht nur auf unberechtigte Anzeigen zurückzuführen, sondern auch auf strukturelle Besonderheiten, heißt es in den Ergebnissen. Denn Polizei und Justiz verbinde „ein institutionelles Näheverhältnis, das durch eine alltägliche Kooperation bei der gemeinsamen Aufgabe der Kriminalitätsbearbeitung gekennzeichnet ist“.

Das Problembewusstsein in Polizei und Staatsanwaltschaften sei gering, erklärte Singelnstein. Die Schwelle „für ernsthafte Ermittlungen und eine Anklageerhebung“ gegen Polizistinnen und Polizisten sei „deutlich höher als in anderen Strafverfahren“. Zudem könne problematisch sein, dass die Ermittlungen gegen Polizeikräfte von deren Kolleginnen und Kollegen geführt werden.

Singelnstein beklagt fehlende Definition von Polizeigewalt

Der Fachmann beklagte überdies, dass in den Gesetzen nicht explizit stehe, welche „einfache körperliche Gewalt“ Polizisten erlaubt sei. „Aktuell wird sehr intensiv über Schmerzgriffe diskutiert und man sieht, dass die verschiedenen Polizeien in den verschiedenen Ländern da unterschiedliche Linien haben“, nannte der Wissenschaftler ein Beispiel. „Manche sagen, wir wenden gar keine Schmerzgriffe an, andere haben das sehr stark in die Praxis übernommen.“

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Zwar hat die Polizei aufgrund ihrer Aufgaben ein Gewaltmonopol – doch auch die Beamten dürften Gewalt „nur ausnahmsweise einsetzen“ sagte Singelnstein. „Auf der anderen Seite sehen wir, dass es innerhalb der Polizei eine gewisse Normalisierung der Gewalt gibt, weil es für die Beamten zu ihrem beruflichen Alltag gehört.“

Das Forschungsteam befragte mehr als 3300 Betroffene und interviewte zudem unter anderem Polizeikräfte, Richterinnen und Richter sowie Opferberatungsstellen. Die Befragten berichteten vor allem hinsichtlich Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspielen von übermäßiger Polizeigewalt.

Am häufigsten gaben junge Männer an, Polizeigewalt erfahren zu haben

Konfliktsituationen oder Personenkontrollen wurden ebenfalls oft genannt. Am häufigsten gaben junge Männer an, polizeiliche Gewalt erfahren zu haben. 19 Prozent der Betroffenen berichteten demnach von schweren physischen Verletzungen. Psychische Belastungen spielten aber auch eine Rolle. Wut und Angst vor der Polizei, das Meiden bestimmter Situationen oder Orte sowie der Verlust des Vertrauens wurden hier genannt.

Bei der Anwendung übermäßiger polizeilicher Gewalt spielen der Studie zufolge sowohl „individuelle als auch situative und organisationale Faktoren“ eine Rolle. Mängel in der Kommunikation, Stress, Überforderung, aber auch diskriminierendes Verhalten von Beamtinnen und Beamten können demnach übermäßige Polizeigewalt begünstigen.

„In den auf eine polizeiliche Gewaltanwendung folgenden Auseinandersetzungen um die Bewertung der Gewalt in Gesellschaft und Justiz erweist sich die polizeiliche Deutungsweise angesichts dieser Umstände als besonders durchsetzungsfähig“, fasst das Forschungsteam seine Ergebnisse zusammen. (dpa, epd, AFP)

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