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Georgiens Spieler feiern nach dem Spiel mit den Fans.

© dpa/Sina Schuldt

Achtelfinalist der Herzen: Georgien feiert bittersüßen Punktgewinn

Georgien wird bei dieser Europameisterschaft wohl in der Gruppenphase ausscheiden. Dennoch hat das Land gewonnen – mit mutigem Fußball und sehr viel Emotionen.

Als sie den Pressekonferenzraum am frühen Abend betraten, wurden sowohl Giorgi Mamardashvili als auch Willy Sagnol mit Beifall von den georgischen Journalisten empfangen. Aus ihrer Unterstützung für die Mannschaft hatten die Kollegen ja nie einen Hehl gemacht, und in diesem Fall wollten sie den nötigen Respekt zollen. Immerhin hatte Georgien gerade den ersten Punkt bei einem großen Turnier gewonnen. Das war etwas Sporthistorisches für das Land. 

Dennoch schmeckte die Abendluft im Hamburger Volkspark ein wenig bittersüß. Für Georgien hätte es an diesem Nachmittag schließlich so viel mehr sein können. Beim 1:1 gegen Tschechien gingen sie zunächst in Führung und hatten zum Schluss noch eine riesige Chance auf das Siegtor verspielt. „Ich bin sehr zufrieden, weil dies ein historischer Moment ist, aber doch ein bisschen enttäuscht“, sagte Torwart Mamardashvili, der wegen der zahlreichen Glanzparaden „Spieler des Spiels“ wurde.

Auch Trainer Sagnol sprach von „gemischten Gefühlen“. Hätte Saba Lobzhanidze seinen späten Schuss ins Tor versenkt, hätte Georgien mit drei Punkten aus zwei Spielen immer noch beste Chancen, ins Achtelfinale zu ziehen. Stattdessen haben sie nun einen Punkt und müssen gegen Portugal mindestens einen Punkt holen, um die K.o.-Runde zu erreichen. Am Ende trennte die Georgier nur ein paar Zentimeter von einem Fußball-Wunder.

Ich werde wohl nie in dieses Stadion zurückkehren, ohne nervös zu werden.

Willy Sagnol, Trainer Georgien

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die Sagnol an seine Zeit als Spieler beim FC Bayern München erinnerte. Hier in Hamburg gewann er 2001 seinen ersten Bundesliga-Titel, als die Bayern mit einem späten Schuss ins Glück die Schale holten und Schalke 04 zum tragischen Vier-Minuten-Meister krönte. „Heute schon wieder etwas in der letzten Minute. Ich werde wohl nie in dieses Stadion zurückkehren, ohne nervös zu werden“, sagte der Franzose am Sonnabend. 

Doch genauso, wie Schalke damals zum Meister der Herzen erklärt wurde, so dürfte Georgien als moralischer Sieger dieser EM-Gruppenphase gelten. „Am Ende überwiegt der Stolz“, sagte Sagnol über seine Gefühlslage. „Wenn du Georgien bist, kannst du mit so einem Punkt nicht unzufrieden sein. Wir wissen, wo wir hergekommen sind.“

Als Sagnol Anfang 2021 den Trainerposten bei Georgien übernommen hatte, lag das Land auf dem 89. Platz in der Fifa-Weltrangliste und hatte gerade seine beste Chance auf den ersten großen Turnierauftritt verspielt. Nach drei Jahrzehnten ohne Erfolge als unabhängige Fußballnation erhoffte man sich im Land von Größen wie Micheil Meschi, Kakha Kaladze und Shota Arweladze mittlerweile viel mehr von der Rugby-Nationalmannschaft als von den Fußballern. 

Dass sie nun tatsächlich auf der größten Bühne mitspielen, schien in Hamburg für viele der georgischen Fans immer noch schwer greifbar zu sein. „Ich kann meine Emotionen eigentlich gar nicht in Worten fassen“, sagte der aus Tiflis angereiste David Pasikaschwili dem Tagesspiegel, als er vor dem Spiel als Teil der weiß-roten Masse durch den Volkspark Richtung Stadion lief. 

„In diesen Tagen lebt das ganze Land doch nur für Fußball“, formulierte es ein anderer Fan namens Tengo, der vor einem Bierstand am S-Bahnhof stand. Der Fußball ist Balsam für die georgische Seele. In den vergangenen Wochen und Monaten hatte Georgien heftige politische Turbulenzen durchleben müssen, als Tausende gegen ein umstrittenes neues Gesetz auf den Straßen protestierten. In einem immer stolzen, aber nicht ganz vereinten Land war allein schon die Teilnahme an diesem Turnier eine Art Katharsis. 

Dass Georgien dann nicht nur teilnahm, sondern durch teils wilden, immer mutigen und gelegentlich auch sehr guten Fußball die Herzen vieler Neutralen gewonnen hat, macht es umso schöner und lässt das Team zumindest bis Mittwoch noch auf das Wunder hoffen. „Es ist Portugal“, sagte Sagnol und lachte, als er nach den Chancen im dritten Spiel gefragt wurde. „Aber wir werden mit Ehrgeiz spielen. Unser Vorteil bei diesem Turnier war ja schon immer, dass wir gar nichts zu verlieren haben”. 

Wie er schon von Anfang an betonte, gehe es bei dieser EM vielmehr darum, Erfahrungen auf dieser Ebene zu machen. Die Ergebnisse seien zweitrangig, denn schon mit der Teilnahme, dem ersten Tor und dem ersten Punkt habe Georgien Geschichte geschrieben. „Das sollte das ganze Land auch feiern können“, sagte Sagnol. „Und zwar auf ihrer ganz besonderen georgischen Art.“

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