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Der Stolz des Kapitäns. Alvaro Morata freut sich über den vorzeitigen Einzug seiner Mannschaft ins Achtelfinale der EM.

© imago/Xinhua/IMAGO/Peng Ziyang

Die EM hat einen Favoriten: Die Spanier setzen bei ihrem Sieg gegen Italien neue Maßstäbe

Dominanz in Rot: Der Auftritt der Spanier gegen den Titelverteidiger war der bisher eindrucksvollste bei der EM. Das Team von Trainer de la Fuente beherrscht alle Facetten des Fußballs.

Luciano Spalletti hielt einen Kugelschreiber in der Hand. Er redete zur internationalen Presse, um die 0:1-Niederlage seiner Mannschaft gegen Spanien zu erklären. Manchmal, während er sprach, schrieb er mit dem Kugelschreiber etwas auf einen Zettel. So, als wäre er nicht Trainer der italienischen Nationalmannschaft, sondern selbst Journalist.

Was Spalletti schrieb, war aus dem Auditorium nicht zu erkennen. Vielleicht notierte er sich seine Gedanken; vielleicht aber kritzelte er auch nur irgendwelche Kreise und Kringel aufs Papier. Zur Ablenkung.

Der Auftritt des 65-Jährigen passte zum Auftritt der italienischen Mannschaft am Donnerstagabend in Gelsenkirchen. Er wirkte ein bisschen wirr und vor allem hilflos.

Spalletti verortete das Grundproblem seines Teams in der falschen Trainingssteuerung. „Bei uns ist etwas bei der Regeneration schiefgelaufen“, sagte er. Im Laufe seiner Ausführungen kam er immer wieder auf dieses Thema zurück – als wollte er das eigentliche Problem elegant umschiffen.

Das nominell höchstklassige Duell in der Vorrunde der Fußball-EM in Deutschland, das Spiel zwischen Spanien, dem Rekordeuropameister, und Italien, dem aktuellen Titelträger, hatte sich als erschreckend einseitige Angelegenheit entpuppt. Italien, so schrieb die französische Sportzeitung „LÉquipe“, habe einen Abend in der Hölle erlebt. Die Squadra Azzurra war ihrem Widersacher in keiner Weise gewachsen, und das lag ganz sicher nicht an Missständen in der Trainingssteuerung.

„Fußball ist auch Taktik und Technik“, sagte Luis de la Fuente, Spallettis Pendant bei den Spaniern, „ich glaube, dass wir dem Gegner in jeder Hinsicht überlegen waren.“

Wir haben gezeigt, dass wir das Potenzial haben, Italien total abzufideln.

Spaniens Nationaltrainer Luis de la Fuente

Das kam der Realität schon deutlich näher und wurde auch von Daten und Fakten unterstützt. 92 Prozent Passgenauigkeit wies die Statistik für die Spanier auf, 20:4 Torschüsse. Nur in einer Kategorie lagen die Italiener deutlich vorne: bei den Torwartparaden. Für Gianluigi Donnarumma, den besten Spieler seines Teams, wurden acht Rettungstaten notiert. Dazu trafen die Spanier zweimal Latte und Pfosten.

Allein das erklärte das vergleichsweise dürre Ergebnis, das die realen Zustände auf dem Rasen auf geradezu gnädige Weise verschleierte. „Wir haben gezeigt, dass wir das Potenzial haben, Italien total abzufideln“, sagt de la Fuente, der nach dem frühen Aus der Spanier bei der WM in Katar das Amt des Nationaltrainers übernommen hat. Das Spiel gegen Italien erklärte er zum wahrscheinlich besten unter seiner Regie.

Spaniens neuer Nationaltrainer de la Fuente hat dem Spiel seiner Mannschaft neue Elemente hinzugefügt.

© REUTERS/LEON KUEGELER

Tatsächlich hatte der Auftritt seiner Mannschaft alles, was es im Fußball braucht: die totale Dominanz im Mittelfeld, ein wahnwitziges Tempo, Spielwitz dank der überaus talentierten Außenstürmer Nico Williams und Lamine Yamal. Und vor allem viel mehr Tiefe und Stringenz als in seligen Tiki-Taka-Zeiten, als der Ball bei den Spaniern manchmal nur um sich selbst zu kreisen schien.

Der schmale Ertrag, zumal noch durch ein Eigentor des italienischen Innenverteidigers Riccardo Calafiori zustande gekommen, könnte zu der irrigen Annahme führen, dass die Spanier im entscheidenden Moment immer noch zu ballverliebt sind und das Wesentliche aus den Augen verlieren. Aber dem war nicht so. An mangelnder Wucht und Entschlossenheit lag die unzureichende Torausbeute nicht, sondern vor allem am immer wieder prächtig parierenden Donnarumma.

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„Wir haben eine Hammerleistung gezeigt“, sagte Spaniens Linksaußen Nico Williams, der zum besten Spieler des Spiels gewählt worden war. „Wir haben das Spiel total beherrscht. Wir haben diese Abwehr geknackt.“

Dass Italien wie das traditionelle Italien aussah, mit der totalen Fokussierung auf die Verteidigung des eigenen Tores, war keineswegs gewollt. Spalletti hat als Trainer den Anspruch, selbst Fußball spielen zu lassen – und nicht Fußball zu verhindern. „Wir wollten das Spiel im Griff haben, weil es der einzige Weg ist, erfolgreich zu sein“, sagte er. Ziel war es, „Spanien auf Augenhöhe zu begegnen, denn wenn man ängstlich auftritt, wird es schwer.“ Die Spanier aber ließen es nicht zu.

Deren Auftritt in Gelsenkirchen war alles in allem der beeindruckendste bisher bei der EM. Das Turnier hat jetzt einen klaren Favoriten. Ein Team, das neue Maßstäbe gesetzt hat. Die Spanier spielten nicht wie eine Nationalmannschaft, die alle paar Wochen zusammenkommt und sich auf ihre individuellen Qualitäten verlässt; sie wirkten eher wie eine Vereinsmannschaft, in der alle Details perfekt aufeinander abgestimmt sind.

Das ist auch das Verdienst des neuen Nationaltrainers De la Fuente, der zuvor im Nachwuchs des Verbandes tätig war und viele seiner Spieler daher schon lange kennt. „Ich finde es gut, wenn der Eindruck entsteht, dass wir um den Titel mitspielen“, sagte De la Fuente am Vorabend seines 63. Geburtstags.

Er ist der Überzeugung, dass die spanischen Fußballer die besten weltweit sind und „dass es keine Mannschaft gibt, da draußen, die besser ist als wir. Trotzdem müssen wir demütig sein.“ So schwer das auch sein mag, nach einem Auftritt wie gegen Italien.

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