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Abwehrchef Antonio Rüdiger neben Nico Schlotterbeck

© Imago/Moritz Mueller

Verteidigungsmonster im Überfluss: Jetzt hat Nagelsmann die Qual der Wahl

Auch in neuer Besetzung überzeugt die Innenverteidigung des DFB-Teams gegen Dänemark. Der Bundestrainer muss nun entscheiden, wer neben Rüdiger spielen soll: Tah oder Schlotterbeck?

Zum Ende eines anstrengenden Arbeitstages legte Antonio Rüdiger, 31 Jahre alt inzwischen, noch eine spezielle Turnübung ein: Sit-ups zur Stärkung der Bauchmuskulatur bei gleichzeitiger Beanspruchung des Bizeps durch eine exzessive Jubelgeste.

Dabei war es keineswegs so, dass Antonio Rüdiger körperlich nicht ausgelastet gewesen wäre. Im Gegenteil. Der Innenverteidiger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hatte im Achtelfinale der Europameisterschaft ein enormes Pensum absolviert. Mit allem, was er hat, hatte er sich den Dänen entgegengeworfen. Und es ist eine ganze Menge, was er hat.

Kurz vor Schluss musste Rüdiger noch einmal eingreifen. Er warf sich im eigenen Strafraum in einen Schuss, wuchtete sein Bein in die Flugbahn und lenkte den Ball zur Ecke. Rüdiger lag auf dem Rücken, er richtete den Oberkörper auf und stemmte seine beiden Arme immer wieder jubelnd in die Höhe. „Es war wie ein Tor“, sagte er später dazu. Und dass er auf dem Platz nun mal ein emotionaler Spieler sei.

Genau diese Emotionalität hat ihm früher manches Mal im Weg gestanden. Sie hat ihn aufbrausen lassen, wo er besser Ruhe bewahrt hätte. Und sie hat auch seine Trainer manches Mal an ihm verzweifeln lassen. „Lass mal die Straße ein bisschen aus deinem Spiel heraus!“, hat Horst Hrubesch einmal zu Rüdiger gesagt. „Sonst stehst du dir immer selbst im Weg.“

Kompliment an die Verteidiger. Wir lassen sehr wenig zu.

Torhüter Manuel Neuer nach dem 2:0 gegen Dänemark

Ein bisschen Straßenfußball, ein bisschen Neuköllner Käfig, steckt immer noch in Antonio Rüdiger. Aber das schadet seinem Spiel nicht mehr, sondern gibt ihm höchstens noch eine exaltierte Note. Denn über allem steht inzwischen die Verantwortung für das große Ganze.

„Es war wichtig, Toni Rüdiger eine ganz klare Rolle zuzuteilen“, hat Bundestrainer Julian Nagelsmann bei der Bekanntgabe seines EM-Kaders gesagt. Es ist die Rolle des Anführers, des Abwehrchefs. „Julian hat mir gesagt, dass ich ein Leader sein soll“, hat Rüdiger dieser Tage erklärt.

Beim 2:0-Erfolg der Deutschen gegen die Dänen in einem aufregenden Achtelfinale mit Wendungen, Windungen und Wetterkapriolen wurde der Innenverteidiger von Real Madrid dieser Aufgabe so eindrucksvoll gerecht, dass er zum „Player of the Match“ gewählt wurde. Sechs Blocks und zwölf Balleroberungen tauchten in seiner Statistik auf, er gewann sämtliche Zweikämpfe, sowohl am Boden wie in der Luft, dazu bereitete er in der ersten Hälfte mit einem punktgenauen Diagonalball eine glänzende Torchance von Kai Havertz vor.

Kritik an der Auszeichnung gab es trotzdem. Überraschenderweise kam sie sogar aus den eigenen Reihen. Von Torhüter Manuel Neuer zum Beispiel. Der heimliche Spieler des Spiels sei für ihn Nico Schlotterbeck gewesen, sagte er, Rüdigers Nebenmann in der Innenverteidigung.

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Gegentore haben die Deutschen in den jüngsten acht Spielen kassiert

Rüdigers neuer Nebenmann, um korrekt zu sein. Der Dortmunder stand erstmals bei der EM in der Startelf. Er ersetzte den gelbgesperrten Jonathan Tah, der bisher mit Rüdiger die Stammbesetzung in der Abwehr gebildet hat. Die neue Formation funktionierte auf Anhieb. „Wir haben außergewöhnlich verteidigt hinten, haben kaum was zugelassen“, sagte Schlotterbeck.

Für Mittelstürmer Niclas Füllkrug, seinen Teamkollegen bei Borussia Dortmund, kam das nicht überraschend. „Schlotti hat eine wahnsinnige Qualität“, sagte er. „Wenn er bei 100 Prozent ist, gibt es kaum einen Stürmer, den er nicht verteidigen kann.“

Erfolgreiches Duo. Nico Schlotterbeck und Antonio Rüdiger standen gegen die Dänen erstmals bei der EM gemeinsam in der Startelf. Und überzeugten.

© dpa/Bernd Thissen

Nach dem starken Auftritt des Dortmunders gegen die Dänen steht Julian Nagelsmann vor der kniffligen Frage, ob er im Viertelfinale in der Innenverteidigung alles so lässt, wie es gegen die Dänen war. Oder ob er Schlotterbeck wieder durch Jonathan Tah ersetzt. Für den Bundestrainer ist das „eher eine Luxussituation“, wie er sagte. „Wir können uns nur entscheiden zwischen sehr guten Spielern.“

Nico Schlotterbeck hatte sich schon unter der Woche, bei einem Auftritt vor der Presse, auffallend selbstbewusst und fast ein bisschen rotzig präsentiert. Offenbar hat der 24-Jährige damit aber auch seine eigene Nervosität ein bisschen überspielt. Nach dem Sieg gegen die Dänen gab er zu, dass er ja bisher „nicht die glücklichsten Auftritte beim DFB“ gehabt habe. Er hat Gegentore und Elfmeter verschuldet, insofern war er am Samstagabend „gottfroh, dass wir zu null gespielt haben“.

Defensive Stabilität gilt als Schlüssel für ein erfolgreiches Turnier. Aber defensive Stabilität war in jüngerer Vergangenheit nicht unbedingt die größte Stärke der Nationalmannschaft. Sogar Bundestrainer Nagelsmann hat im November fast resignierend beklagt, dass seine Spieler keine Verteidigungsmonster seien. Offenbar hatte er dabei Antonio Rüdiger vergessen.

Seit Nagelsmanns kopernikanischer Wende im März läuft es in der Defensive deutlich besser. Ein undurchlässiges Bollwerk ist die Nationalmannschaft immer noch nicht, aber in den jüngsten acht Spielen kassierte sie vier Gegentore, in jeder zweiten Begegnung hielt sie die Null. „Kompliment an die Verteidiger“, sagte Torhüter Neuer nach dem Achtelfinale. „Wir lassen sehr wenig zu.“

Selbst der wieder einmal allzu nonchalante Umgang mit einer Fülle an besten Chancen fiel dadurch diesmal nicht ins Gewicht. Allein die Schüsse der Deutschen aufs dänische Tor hätten statistisch betrachtet vier Tore einbringen müssen. Es wurden nur zwei. „Wenn wir zu null spielen“, sagte Manuel Neuer, „reichen zwei Tore.“

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