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Die Digitalisierung von älteren Dokumenten bietet der Forschung viele Möglichkeiten.

© Getty Images/Bibica

Historische Bildungsforschung in der Öffentlichkeit: „Wir zeigen den ganzen Prozess der Digitalisierung“

Bildungsexpertin Katharina Vogel erklärt, wie sie ihre Forschung bei der Langen Nacht der Wissenschaften präsentiert und welche Möglichkeiten Künstliche Intelligenz bietet.

Frau Vogel, bei der Langen Nacht der Wissenschaften am 22. Juni bietet die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung im Haus der Leipniz-Gemeinschaft an der Chausseestraße eine Pop-up-Digitalisierungsstraße für alte Briefe an. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Wir wollen Interessierten den ganzen Prozess zeigen, den ein Dokument bei der Digitalisierung durchläuft. Wir machen zum Beispiel aus einem alten Liebesbrief, einem Poesiealbum oder einer Postkarte ein digitales Dokument, das die Besucherinnen und Besucher anschließend mitnehmen können. Das Dokument ist dann maschinenlesbar, könnte also computerbasiert weiterverarbeitet und mit modernen Tools aus dem Bereich der digitalisierten Forschung weiter analysiert werden.

Nutzen Sie die Daten, die Sie bei der Veranstaltung erhalten, auch für Ihre Forschung?
Nein, die Dokumente, die uns dort anvertraut werden, verarbeiten wir nicht weiter. Es geht uns eher darum, der Öffentlichkeit ein Verständnis davon anzubieten, was sich eigentlich hinter der vielzitierten Digitalisierung verbirgt. Für uns ist es eine schöne Übung, das, was wir hauptberuflich machen, so aufzubereiten, dass auch Menschen sich dafür begeistern können, die sich sonst vielleicht nicht unbedingt für Geschichte oder Textanalyse interessieren.

Welche Briefe sind für Ihre eigene Forschung am spannendsten?
Man hat natürlich immer die Hoffnung, dass man irgendwo eine Kommunikation findet, die eine ganz neue Perspektive auf eine bestimmte wissenschaftliche Person oder auf eine wissenschaftliche Richtung zulässt. Das ist sozusagen der kriminalistisch-wissenschaftliche Ansatz.

Aber im Prinzip sind wir ganz offen: Es kann zum Beispiel genauso spannend sein, zu schauen, wie sich die Semantik des Liebesbriefs im Wandel der Zeit entwickelt hat, also zu vergleichen, wie sich Menschen um 1850 ihre Liebe beschrieben haben und wie sie es heute tun, etwa per WhatsApp-Chat.

Wie hat sich der enorme Schub bei der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz auf die historische Bildungsforschung ausgewirkt?
Massiv. Das betrifft, wie bei anderen Wissenschaften auch, vor allem die Infrastrukturfrage. Wir haben uns angewöhnt, dass wir eigentlich fast alles im Internet als PDF finden. Meist ist nur noch die Frage, ob es etwas kostet oder nicht. Es sind also viel mehr Quellen verfügbar, in unserem Fall meistens historische Quellen.

Die andere Frage ist: Welche neuen Forschungsoptionen haben wir dadurch? Wir können heute zum Beispiel pädagogische Zeitschriften automatisiert analysieren und dadurch Textmengen bearbeiten, die früher gar nicht machbar gewesen wären. Wir können dann etwa fragen: Wie hat sich der Erziehungsbegriff in 100 oder 150 Jahren verändert, ab wann taucht welches Konzept in der Pädagogik auf?

Sehen Sie auch Gefahren?
Es ist wichtig, dass wir in der Breite firm sind, was digitale Quellenkritik angeht. Schon vor dem Digitalboom gab es prominente Beispiele für Fälschungen, und digitale Quellen sind dank KI noch viel stärker betroffen. Auch die Frage, aus welchem Bestandskontext das Digitalisat kommt, bleibt wichtig: Unsere Quellen sind ja bisher in der Regel nicht im Computer geboren. Außerdem ist es wichtig, ein Verständnis dafür zu haben, mit welchen Algorithmen man es zu tun hat.

Was können Menschen heute noch besser als KI-gestützte Transkriptionssoftware?
Die Software nimmt, was sie bekommt und gibt aus, wofür sie gemacht wurde. Aber die Person aus dem Archiv, aus der Bibliothek oder aus der Geschichtswissenschaft hat eine Idee vom Kontext und von der Belastbarkeit der Quelle sowie den mannigfaltigen Eventualitäten, die vielleicht etwas mit ihr zu tun haben. Das hat die Software nicht. Durch sie kann man die Quelle lesen, das ist ein wichtiger erster Schritt. Aber ob man die Quelle an sich damit erfasst, ist eine ganz andere Frage.

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