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Kollegen stehen in einem Büro zusammen. Rechtsextremismus macht auch vor der Arbeitswelt nicht halt, zeigt eine neue Studie.

© Getty Images/Klaus Vedfelt

„Parolen wie auf Sylt sind nur die Spitze des Eisbergs“: Rechtsextreme Vorfälle auch am Arbeitsplatz weit verbreitet

Rechtsextremismus macht auch vor der Arbeitswelt nicht halt, zeigt eine neue Studie. In den Firmen bleiben Verantwortliche selbst nach Vorfällen häufig untätig – und unterschätzen die Folgen.

Nationalistische, rassistische oder demokratiefeindliche Einstellungen äußern Menschen längst nicht nur auf Nordseeinseln oder Volksfesten, also im Privaten. Auch am Arbeitsplatz ist jede dritte beschäftigte Person schon einmal Zeuge rechtsextremer Einstellungen geworden, fast jede zehnte wurde gar Opfer rechtsextremer Anfeindungen. Das zeigt eine bundesweite, repräsentative Civey-Umfrage des Vereins Gesicht Zeigen, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.

„Die Ergebnisse der Umfrage sind alarmierend“, sagte die Staatsministerin und Antirassismusbeauftragte Reem Alabali-Radovan dem Tagesspiegel. Rechtsextremismus gebe es in allen Bereichen des Alltags. „Rechtsextreme Parolen, die auf Partys gegrölt werden, wie jüngst auf Sylt und an anderen Orten in Deutschland, sind nur die Spitze des Eisbergs“, so die SPD-Politikerin. Die vielen rechtsextremen und rassistischen Einstellungen und alltäglichen Erfahrungen am Arbeitsplatz schafften ein Klima der Angst und des Hasses.

Jeder Betrieb und jedes Unternehmen kann einen Unterschied machen, in dem es sich eindeutig positioniert, das Personal schult, Meldestellen einrichtet und Betroffene ernst nimmt.

Reem Alabali-Radovan, Staatsministerin und Antirassismusbeauftragte

Rechtsextremismus am Arbeitsplatz deutschlandweites Problem

Rechtsextreme Einstellungen sind dabei kein Randphänomen einzelner Bundesländer, wie die Onlinebefragung unter 2.500 abhängig Beschäftigen und 2.000 privatwirtschaftlichen Entscheider:innen zeigt. Sie werden deutschlandweit wahrgenommen: im Saarland (49,7 Prozent), in Bremen (48 Prozent) sowie in Schleswig-Holstein (40,9 Prozent) am häufigsten. In Hamburg (17,5 Prozent) und Hessen (26,7 Prozent) etwas seltener. Ein Ost-West-Gefälle gibt es kaum, genauso geschlechts- oder altersspezifische Unterschiede. Mit Ausnahme der über 65-Jährigen: Hier nahm weniger als jeder fünfte Arbeitnehmende (18,4 Prozent) rechtsextreme Einstellungen wahr.

Auch über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus kam über ein Drittel die Befragten (34,1 Prozent) mit rechtsextremen Einstellungen in Kontakt. Beschäftigte in den Feldern Gesundheit, Soziales und Erziehung gaben mit 44,7 Prozent am häufigsten an, schon einmal Rechtsextremismus bei Kunden oder anderen externen Personen wahrgenommen zu haben. Am seltensten sahen sich dem Beschäftigte in Industrie, Handel und Logistik (23,3 Prozent) ausgesetzt.

Firmen werden zu selten aktiv

Gegen Rechtsextremismus haben sich zuletzt zwar mehr Unternehmen positioniert. Prominente Beispiele sind der „Schraubenkönig“ Reinhold Würth, der im März vor extremistischen Kräften gewarnt und seinen 25.000 Beschäftigen davon abgeraten hat, die AfD zu wählen. Auch die Chefs von Siemens und Mercedes-Benz sehen den Zusammenhalt in der Gesellschaft durch Extremismus und Rassismus gefährdet. „Wir müssen jetzt aufstehen und einschreiten“, sagte Siemens-CEO Roland Busch in einem Doppelinterview mit Ola Källenius in der FAZ Ende Mai.

Doch konkretes Handeln bleiben Verantwortliche in Firmen weiter häufig schuldig. Fast 60 Prozent derjenigen, die schon einmal rechtsextreme Vorfälle am Arbeitsplatz wahrgenommen haben, erwähnten auch, dass danach keine Maßnahmen der Unternehmensleitung ergriffen wurden. Eine Ansprechperson für solche Fälle zu haben, gab nur jede zweite befragte Person an. Über die Hälfte sagte, es gebe keinerlei Unterstützung oder Fortbildungen zu dem Thema.

Es besorge sie, wenn rechtsextreme Äußerungen ohne Konsequenzen bleiben, weil Betroffene nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen oder wie sie sich zur Wehr setzen und selber schützen können, so Alabali-Radovan. „Kein beiläufiger Spruch, keine vermeintlich witzige Parole darf unwidersprochen stehen bleiben“, sagte die Staatsministerin dem Tagesspiegel.

Eine Erklärung dafür, dass solche Vorfälle häufig unwidersprochen bleiben, ist auch, dass die unmittelbaren Folgen für das Unternehmen weiter unterschätzt werden. Jede:r dritte Entscheidungsträger:in glaubt, dass die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen keine Auswirkungen auf den Ruf der Firma oder die Gewinnung von Fachkräften hat. Ebenso viele glauben, dass eine rechtsextreme Partei in Regierungsverantwortung volkswirtschaftliche Auswirkungen hätte.

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Dabei warnen Unternehmerinnen wie Ökonomen seit Jahren vor den enormen wirtschaftlichen Schäden durch Rechtsextremismus. Etwa, weil ausländische Fachkräfte abgeschreckt werden oder sich die Abwanderung aus Deutschland verstärken könnte.

Was kann man also konkret dagegen tun? „Es mangelt eindeutig an Wissen, wie man auf rechtsextreme Aussagen oder Vorfälle reagieren sollte“, sagte Rebecca Weis, Geschäftsführerin von Gesicht Zeigen, dem Tagesspiegel. Ein verbindliches und gemeinschaftlich erarbeitetes Leitbild, die Verankerung von Demokratiekompetenz und Respekt in der Unternehmensstrategie sowie Qualifizierungsmaßnahmen und Kooperationen, sind beispielhafte Maßnahmen, die im Praxisleitfaden von Gesicht Zeigen genannt werden.

„Jeder Betrieb und jedes Unternehmen kann einen Unterschied machen, in dem es sich eindeutig positioniert, das Personal schult, Meldestellen einrichtet und Betroffene ernst nimmt“, sagt Alabali-Radovan. Die Antirassismusbeauftragte baut dafür seit vergangenem Jahr ein bundesweites Beratungsnetzwerk auf, über das Betroffene über ihre Rechte aufgeklärt und professionelle Hilfe erhalten können.

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