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Mithilfe von Streiks setzten viele Beschäftigten höhere Tarifeinkommen durch.

© Jürgen Heinrich/picture alliance

Mehr Streiks für mehr Geld: Arbeitskampfbilanz für 2023

Nach den Coronajahren und aufgrund der hohen Inflation werden die Tarifkonflikte intensiver. Der Arbeitskräftemangel stärkt die Position von Arbeitnehmern und Gewerkschaften.

Die Inflation sowie die gute Position der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt fördern die Streikbereitschaft. Im vergangenen Jahr gab es 312 Arbeitskämpfe in Deutschland, das waren 87 mehr als 2022. Insgesamt fielen 1.527.000 Arbeitstage aus, mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor. Im Kern sei es bei den Tarifkonflikten um die Frage gegangen, „wie die Kosten der Inflation zwischen Kapital und Arbeit verteilt werden“, schreibt das Sozialwissenschaftliche Institut der Böcker-Stiftung (WSI) in seiner Arbeitskampfbilanz 2023.

Bislang ist 2015 das arbeitskampfintensivste Jahr seit Beginn der Statistik vor knapp 20 Jahren. 2015 streikten mehr als 1,13 Millionen Arbeitnehmer, gut zwei Millionen Arbeitstage in 135 Arbeitskämpfen fielen aus. Allein 1,5 Millionen Streiktage entfielen damals auf die Konflikte im Sozial- und Erziehungsdienst (Kitas) sowie bei der Post. In den folgenden Jahren verliefen die Tarifauseinandersetzungen eher friedlich; von 2019 an schwächte sich die Konjunktur ab, dann legte Corona die Wirtschaft lahm, und 2022 folgte die Energiekrise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

Nachholbedarf gegen Kaukrafteinbußen

Im vergangenen Jahr machten die Gewerkschaften Nachholbedarf geltend, um die Kaufkrafteinbußen auszugleichen. Neben dem öffentlichen Dienst der Bundesländer gab es Streikaktionen im Handel, bei der Post und in der Stahlindustrie.

Die Beschäftigten im Dienstleistungssektor haben ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, was wiederum auch mit der verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammenhängt.

Frank Werneke, Verdi-Chef

Die größte Wirkung hatten jedoch die Arbeitskämpfe bei der Bahn und an den Flughäfen, die sich teilweise bis ins vergangene Frühjahr zogen. „Die Beschäftigten im Dienstleistungssektor haben ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, was wiederum auch mit der verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammenhängt“, erklärt Verdi-Chef Frank Werneke. „Im Ergebnis haben wir mehr Engagement und Mut in Tarifbewegungen.“

„Streikrepublik“ Deutschland

Dass Deutschland von Teilen der Öffentlichkeit als „Streikrepublik“ wahrgenommen wurde, liege vor allem daran, dass die Auswirkungen mehrerer Arbeitskämpfe unmittelbar im Alltag vieler Menschen zu spüren waren, wie die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr, an den Flughäfen und bei Post und Bahn, schreibt das WSI der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung.

Überhaupt wieder Tarifbindung erreichen

Die auf einzelne Betriebe und Firmen beschränkten Auseinandersetzungen machten auch 2023 die große Mehrzahl der Arbeitskämpfe aus. Oft ging es darum, überhaupt eine Tarifbindung zu erreichen. Als prominentes Beispiel hierfür nennt der WSI-Report den dänischen Windanlagenhersteller Vestas, bei dem der IG Metall nach 123 Streiktagen erstmals ein Tarifabschluss gelang. Sogar 180 Tage dauerte der Arbeitskampf bei der Schrott- und Recyclingfirma SRW metalfloat in Sachsen. Dieser Arbeitskampf endete im Mai 2024 ohne Tarifabschluss und damit mit einer Niederlage der IG Metall. 

18
Tage je 1000 Beschäftigte fallen wegen Streik aus

Im internationalen Vergleich bewegt sich Deutschland „trotz zunehmender Arbeitskämpfe immer noch lediglich im unteren Mittelfeld“, konstatieren die WSI-Wissenschaftler. In Belgien, Frankreich, Finnland, Kanada oder Dänemark sei das relative Arbeitskampfvolumen um ein Vielfaches höher. So fielen pro 1000 Beschäftigte im mehrjährigen Mittel in Belgien 103 Arbeitstage pro 1000 Beschäftigte aus, in Kanada 83 und in Dänemark 53. In Deutschland waren es 18. In der Schweiz, Österreich, Schweden sowie der Slowakei sind Arbeitskämpfe selten, in den zehn Jahren von 2013 bis 2022 gab es maximal zwei Ausfalltage.  

Auch 2024 dürfte „ein arbeitskampfintensives Jahr werden“, schreibt das WSI. In den ersten Jahresmonaten gab es teilweise mehrtägige Arbeitskämpfe im Verkehrsbereich sowie im Handel, und im Herbst steht die Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie für knapp vier Millionen Beschäftigte an.

Die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch, wertet die Streikbeteiligung „als ein positives Zeichen, dass sich wieder mehr Beschäftigte in den Gewerkschaften engagieren“. Verschiedene Studien hätten gezeigt, wie ein solches Engagement das Zutrauen fördert, „die eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen positiv beeinflussen zu können“. Das stärke am Ende auch die Demokratie.

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