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Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität Berlin.

© dpa/Jens Kalaene

Update

Nach Twitter-Eklat um TU-Präsidentin: Geraldine Rauch muss bis Donnerstagabend über ihren Rücktritt entscheiden

Nach ihren Likes für antisemitische Tweets beantragt Uni-Präsidentin Geraldine Rauch ein Disziplinarverfahren gegen sich. Die Uni überlässt ihr die Entscheidung über einen Rücktritt.

Bleibt Geraldine Rauch Präsidentin der Technischen Universität (TU) Berlin oder nicht? Das könnte sich bis zum frühen Donnerstagabend entscheiden. Die Verantwortung gab der Akademische Senat (AS) nach seiner Sitzung am Mittwoch an die Wissenschaftlerin ab und gab ihr 24 Stunden Zeit, um sich zu äußern. Wann und ob sich Präsidentin Rauch heute zu ihrer Zukunft öffentlich äußert, ist noch unklar.

Der Senat appelliere an seine Präsidentin, entweder zu bleiben oder den Hut zu nehmen, sagte die Leiterin des Gremiums, Annette Hiller, nach einer viereinhalbstündigen Sitzung. Der Fehler Rauchs sei nicht so schwerwiegend, dass man eindeutig sage, die Präsidentin müsse abgewählt werden. Sie habe die TU aber schwer beschädigt. 

Der Akademische Senat (AS) hatte sich am Mittwoch nicht auf das Einbringen eines entsprechenden Abwahlantrags einigen können. Das verkündigte Annette Hiller, Leiterin der Stabsstelle Akademische Selbstverwaltung, nach der Sitzung.

Stattdessen habe das Gremium ein Meinungsbild zu der Frage erhoben, ob die Präsidentin zurücktreten solle. Nach Tagesspiegel-Informationen stimmten von 25 Stimmberechtigen 13 für einen Rücktritt der TU-Präsidentin, zwölf für ihren Verbleib an der Spitze der Universität. Hintergrund sind Rauchs Likes für antisemitische Inhalte auf der Plattform X.

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Anders als ein formaler Gremienbeschluss – etwa dazu, eine Abwahl vorzuschlagen – entspricht ein Meinungsbild eher einer Empfehlung. Die Frage für das Meinungsbild lautete: „Soll der AS die Präsidentin um Rücktritt bitten?“ Die Frage konnte mit Ja, Nein oder Enthaltung beantwortet werden.

Das Präsidium war bei dieser Abstimmung nicht dabei. Das Ergebnis wurde Rauch unter Ausschluss der Öffentlichkeit mitgeteilt.

Rauch hat 24 Stunden Zeit, um zu reagieren

Die TU-Präsidentin bekam 24 Stunden – bis Donnerstag 17 Uhr – Zeit, um zu entscheiden, wie sie auf die Empfehlung des Gremiums reagiert. Offen ist, ob sie dieses Quasi-Vertrauensvotum in ihrer Entscheidung berücksichtigen wird. Mit dem Meinungsbild legt der Akademische Senat die Entscheidung über einen Rücktritt de facto in die Hand der Präsidentin.

Soll sie die Suppe, die sie sich und der TU eingebrockt hat, auslöffeln, oder soll sie den Hut nehmen und gehen?

Annette Hiller, Leiterin der Stabsstelle Akademische Selbstverwaltung, über die Entscheidung, ein Meinungsbild zu Geraldine Rauch einzuholen

Der AS sei sich zwar einig, dass Rauch definitiv keine Antisemitin sei, führte Hiller aus. Aber das Gremium sei sich auch einig, dass sie einen schweren Fehler gemacht habe. Es sei sehr lange diskutiert worden, wie man damit umgehe. „Soll sie die Suppe, die sie sich und der TU eingebrockt hat, auslöffeln, oder soll sie den Hut nehmen und gehen?“

Der AS verurteile die „mediale Hetze, die sehr persönlich auf sie gerichtet war, scharf“. Er sei aber auch der Meinung, dass sie mit dem Like des X-Inhalts mit dem Bild des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, das „eine antisemitische Bildsprache hatte“, einen schweren Fehler begangen habe.

Alle 25 Gremiumsmitglieder und rund 100 Gäste waren bei der Sitzung des Akademischen Senats anwesend. Geraldine Rauch leitete die Sitzung nicht wie üblich, sondern Hiller.

Auch wenn Rauch nicht zurücktritt, könnte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Am kommenden Montag kommt das Kuratorium der TU – der Aufsichtsrat – zu einer Sondersitzung zum Fall Rauch zusammen. Möglich ist, dass dieses Gremium sich für eine Abwahl entscheidet. Allerdings würde dann das Thema noch einmal in den Akademischen Senat gehen, der dazu laut Hiller ganz klar Stellung beziehen müsste. Letztlich müsste der Erweiterte Akademische Senat entscheiden.

Berliner CDU bekräftigt Rücktrittsforderung

Berlins CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein bekräftigte ihre Forderung nach einem Rücktritt. „Das Verhalten der TU-Präsidentin hat massiven Schaden angerichtet: für den Ruf der Technischen Universität, für den Wissenschaftsstandort Berlin und allen voran für das Sicherheitsgefühl der Jüdinnen und Juden in unserer Stadt“, teilte Klein mit. Um weiteren Schaden abzuwenden, bleibe ein Rücktritt unausweichlich.

„Wir reden allen Ernstes darüber, wie viel Antisemitismus vertretbar sei. Das ist inakzeptabel, unwürdig und kann schlimmstenfalls dazu beitragen, dass sich Radikale in ihrer wirren Sicht noch bestärkt sehen“, so Klein. „Für unsere jüdischen Mitbürger ist die Bedrohung kein abstraktes akademisches Konzept, sondern real.“

TU-Präsidentin beantragt Disziplinarverfahren gegen sich selbst

Rauch hatte sich am Mittwoch vor dem Akademischen Senat erstmals öffentlich zu ihrem Twitter-Eklat geäußert. Bisher hatte sie nur eine schriftliche Stellungnahme dazu abgegeben.

In der Sitzung sagte Rauch, sie habe ein Disziplinarverfahren bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft gegen sich selbst beantragt. „Dann wird in einem geordneten Verfahren Klarheit geschaffen.“ Die Verwaltung bestätigte, dass Rauchs Antrag am Mittwochmittag eingegangen sei. Dieser werde nun geprüft. „Zum laufenden Verfahren wird die Wissenschaftsverwaltung keine Aussagen tätigen“, hieß es.

TU-Präsidentin bat erneut um Entschuldigung

In dem für Gäste zugelassenen Teil der Sitzung sprach Rauch sprach von „tiefer Reue“ und bat erneut um Entschuldigung, bei der gesamten TU und allen Menschen, die direkt und indirekt durch ihr Verhalten verletzt wurden. Sie wandte sich ausdrücklich gegen Antisemitismus – sagte aber auch: „Es ist meine persönliche Pflicht, mich noch mehr gegen Antisemitismus und Rassismus einzusetzen.“

Warum konnte ich meinen Schmerz über das unermessliche Leid nicht im Privaten lassen?

Geraldine Rauch, TU-Präsidentin

In ihrem Statement wirkte Rauch entschlossen, wobei ihre Stimme ab und zu zitterte. Sie habe sich „zweifelsfrei falsch“ verhalten und die TU „in eine schlimme Situation“ gebracht, sagte sie. Rauch beteuerte mehrmals ihre Reue. Sie habe sich in der vergangenen Woche immer wieder gefragt: „Warum konnte ich meinen Schmerz über das unermessliche Leid nicht im Privaten lassen?“

Über die Ereignisse in Israel und Gaza, das Massaker vom 7. Oktober, die Geiselnahmen und den Krieg äußerte sie ihre persönliche Betroffenheit. In ihrer Rede versuchte sie damit auch Emotionen zu wecken: Die Bilder von „getöteten Kindern und verzweifelten Müttern“ gingen ihr gerade auch als Mutter sehr nahe.

TU-Präsidentin kündigt Fünf-Punkte-Plan an

Rauch kündigte einen Fünf-Punkte-Plan an, um die Arbeit gegen Antisemitismus zu stärken – „nicht nur durch Worte, sondern durch Handeln“. Dazu gehören eine Aufarbeitung des Geschehenen sowie konsequentes Handeln bei antisemitischen Protesten.

Sie wolle das Team des umstrittenen Antisemitismus-Beauftragten Uffa Jensen erweitern und ein zusätzliches Awareness-Team einrichten, für Studierende und Lehrende solle es mehr Lehrinhalte zu Antisemitismus geben. Zudem soll eine persönliche Sprechstunde für jüdische Studierende eingerichtet werden. „Diese können sich der Empathie und Unterstützung der Hochschulleitung sicher sein.“

Die TU-Präsidentin erwähnte auch, dass sie in Gesprächen mit dem Zentralrat der Juden und jüdischen Studierenden stehe und dort um Verzeihung gebeten habe. Aus Zentralsratskreisen hört man hingegen, dass dies nichts an der Haltung zu dem Vorfall ändere. Man habe Rauch geantwortet, sie solle die „notwendigen Schlüsse“ aus ihrem Verhalten ziehen. Damit dürfte der Rücktritt gemeint sein.

Ein Sprecher des Zentralrats der Juden wiederholte am Mittwoch gegenüber dem Tagesspiegel seine indirekte Rücktrittsforderung an Geraldine Rauch und verwies darauf, dass sie mehrere antisemitische Posts geliked habe. Er bezeichnete die Einleitung des Disziplinarverfahrens als den „nächsten Akt eines für die TU Berlin unwürdigen Vorgangs“. Damit spiele sie auf Zeit und versuche, ihr Fehlverhalten juristisch reinzuwaschen.

Ihr knapp zehnminütiges Statement im Akademischen Senat beendete Geraldine Rauch mit den Worten: „Ich möchte noch einmal ausdrücklich für meine Fehler um Entschuldigung bitten.“ Darauf folgten Klopfen und verhaltener Applaus. Nachfragen gab es keine, die Öffentlichkeit wurde anschließend von der Sitzung ausgeschlossen.

Studierende solidarisieren sich mit Uni-Präsidentin

Eine Stunde vor Beginn der Sitzung hatten sich rund 100 Demonstrierende vor der TU versammelt, um ihre Solidarität mit Geraldine Rauch zu zeigen. „Die Rücktrittsforderungen sind Teil einer Kampagne. Es ist auffällig, dass sie sich immer gegen progressive Frauen richten“, rief eine Sprecherin. Aufgerufen hatte nach eigener Aussage ein Kollektiv verschiedener Studierenden-Organisationen. An der TU gibt es insgesamt 35.000 Studierende.

„Geraldine bleibt“ – eine Gruppe von Studierenden solidarisiert sich mit TU-Präsidentin Geraldine Rauch.

© Tilmann Warnecke

Die Demoteilnehmer skandierten mehrfach unter großem Applaus „Geraldine bleibt Präsidentin.“ Die Stimmung des Protestes war friedlich, die Transparente thematisierten alleine Solidarität mit Rauch und nicht den Nahost-Konflikt. Gegen 12.15 Uhr betrat Rauch unter Klatschen das Haus, sagte aber nichts zu den Protestierenden.

Bisher gibt es keine Anzeichen, dass Rauch von sich aus zurücktreten will. Aus der Politik wurde das bereits mehrfach gefordert, explizit von CDU-Generalsekretärin Klein und implizit auch vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der am Montag erklärte, Rauch habe mit ihrem Verhalten dem Wissenschaftsstandort Berlin geschadet.

Rauch zog heftige Kritik und Rücktrittsforderungen auf sich, weil vergangene Woche bekannt wurde, dass sie israelfeindliche und antisemitische Posts auf der Plattform X mit einem „Like“ markiert hat.

Anstoß hat vor allem ein Beitrag mit einem Foto mit antisemitischer Bildsprache erregt: Es zeigt ein Plakat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, auf das rote Hakenkreuze geschmiert sind. Der Text zum Post lautet: „Tausende türkische Bürger gehen derzeit auf die Straße, um einen Waffenstillstand im Gazastreifen zu fordern und die Operation in Rafah zu verurteilen.“ Der Account besteht seit 2023 auf der Plattform und postet prorussische und Pro-Hamas-Inhalte.

Am Folgetag nach dem Bekanntwerden entschuldigte sich Rauch per schriftlichem Statement dafür, auf der Plattform antisemitische Inhalte geliked zu haben. Zum Netanjahu-Post erklärte sie, sie habe dem Text zugestimmt und „das darunter gepostete Bild zum Zeitpunkt des Likes tatsächlich nicht genauer betrachtet“. Sie hätte kein Like vergeben, „wenn ich die antisemitische Bildsprache aktiv wahrgenommen hätte oder wenn ich mich mit dem Account des Verfassers beschäftigt hätte“.

Unmut zog die TU kurz zuvor auch mit der Entscheidung auf sich, Uffa Jensen als Antisemitismusbeauftragten für die Uni zu ernennen. Jensen vertritt die umstrittene „Jerusalemer Erklärung zu Antisemitismus“ (JDA), die versucht, zwischen Kritik am Staat Israel und Judenhass zu unterscheiden.

Diese enger gefasste Definition von Antisemitismus finden viele in der Forschung und aus der jüdischen Community problematisch, andere, auch jüdische Stimmen, verteidigen sie. Laut dem TU-Kanzler Lars Oeverdieck will das Präsidium trotz Kritik von Studierenden und dem Zentralrat der Juden an der Entscheidung festhalten. (mit dpa)

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