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Streikkundgebung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Mit dem Streik will die Gewerkschaft den Druck auf den Berliner Senat erhöhen.

© IMAGO/Funke Foto Services

„Sinnlos-Streiks auf dem Rücken von Familien“: Ausstand im Doppelpack an Berliner Schulen und Kitas

Verdi und GEW rufen ihre Mitglieder zu Arbeitsniederlegungen auf. Der Landeselternsprecher für die Kitas vermutet, dass nicht nur die Sorge um die Beschäftigten die Gewerkschaften antreibt.

Wer sowohl Kita- als auch Schulkinder hat, ist aktuell mal wieder in Alarmstimmung: Am Donnerstag werden sowohl die öffentlichen Schulen als auch die kommunalen Kitas mit 35.000 Betreuungsplätzen bestreikt. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Der Streik könnte noch jahrelang so weitergehen, wenn es nach dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Tom Erdmann, geht. Dies sagte er am Sonntag im Podcast „Herr Fechner lädt zum Gespräch“. Die GEW organisiert seit 2021 Streiks für kleinere Schulklassen. Neuerdings werden auch die Kitas zugunsten kleinerer Kitagruppen bestreikt.

Bei den Kitastreiks unterstützt die GEW die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Auch hier ist kein Ende in Sicht. Im Gegenteil: Verdi habe die Streikaktionen, die am 6. Juni begannen, akribisch geplant, berichten Kitaleitungen. Seit vielen Monaten hätten immer wieder Beschäftigte gefehlt, um die Streikaktionen vorzubereiten. Mal blieben sie ihren Kitagruppen fern, um eine „Streikuni“ zu besuchen, mal war von einer „Streikakademie“ die Rede, ist zu hören.

Berlin soll offenbar die Vorhut bilden, um die Tariflandschaft zu verändern. Vorbei ist die Zeit, als es bei Streiks nur um mehr Geld oder weniger Arbeitswochenstunden ging. Nachdem die Gewerkschaften – vor allem im Erzieherbereich – erhebliche Einkommenszuwächse durchgesetzt hätten, sei allen klar, dass es an der Stelle erstmal nicht weitergehe, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. Neue Ziele müssten her.

Rückhalt durch Eltern schwindet

Diese Ziele haben Verdi und die GEW längst gefunden. Die GEW fordert einen Tarifvertrag „Gesundheitsschutz“ für kleinere Klassen. Zusammen wollen Verdi und GEW die personelle Situation in den kommunalen Kitas verbessern. Das alles wünscht sich auch die Elternschaft, allerdings ohne Dauerstreiks. Nach anfänglicher Unterstützung geht auch der Landeselternausschuss (LEA) auf Abstand. „Die Taktik des ‚mit-dem-Kopf-durch-die-Wand‘ sei offenbar nicht erfolgreich“, sagt Landeselternsprecher Norman Heise nach fast 20 Streiktagen in zwei Jahren. Der Rückhalt in der Elternschaft schwinde.

Norman Heise schilderte auch, der LEA sei „befremdet“ davon, dass GEW-Chef Tom Erdmann in besagtem Podcast des langjährigen Pankower Elternvertreters Marco Fechner noch ausgeführt habe, „aus pädagogischer Perspektive“ könne bei Streiks und einer Massenbewegung eine Menge gelernt werden, wenn etwa Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler zu Streiks mitbrächten. Angesichts des Überwältigungsverbots habe diese Äußerung Erdmann einen „merkwürdigen Eindruck“ hinterlassen berichtete Heise am Dienstag.

Während der LEA die Streiks als Mittel zum Zweck lange Zeit mitgetragen hatte, hat der Landeselternausschuss für die Kitas (LEAK) diese Taktik von Anfang an abgelehnt. Wie berichtet, „distanzierte“ sich der LEAK nachdrücklich von den Streiks.

Nur rund 20 Prozent der Eltern befürworten den Kitastreik.

Guido Lange, Sprecher des Landeselternausschusses für die Kitas

LEAK-Sprecher Guido Lange bekräftigte diese Haltung am Dienstag. Er schätzt, dass nur etwa 20 Prozent der Kita-Eltern den Streik unterstützten. Es gibt jedoch viele Eltern in der Initiative „Einhorn sucht Bildung“, die es richtig finden, die teilweise prekäre personelle Lage in den Kitas per Streik zu bekämpfen. Sie demonstrierten am Streiktag Anfang Juni zusammen mit den Gewerkschaften vor dem Abgeordnetenhaus.

Verdi verärgert allerdings viele Eltern dadurch, dass sie die Organisation von Notbetreuungen erschwere. Das hatten auch vier der fünf Kita-Eigenbetriebe kritisiert: Da die Beschäftigten angehalten würden, möglichst kurzfristig anzukündigen, ob sie streiken, sei es nicht möglich, zuverlässig Notbetreuung für Eltern, die mit dem Rücken zu Wand stünden, anzubieten. Die Gewerkschaft wolle eine „größtmögliche Wut“ bei den Eltern erzeugen, um den Senat zum Einlenken zu bringen.

Dies aber hält der LEAK für den falschen Weg: Die Erfahrung der GEW habe ja gezeigt, dass diese Streiks zu nichts führten. Tatsächlich bleibt der schwarz-rote wie zuvor der rot-grün-rote Senat dabei, dass er mit den Gewerkschaften nicht über den neuartigen Tarifvertrag verhandeln könne, weil er sonst aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgeschlossen werde.

Kritik aus dem Senat

„Das sind Sinnlos-Streiks auf dem Rücken von Kindern und Eltern“, sagte Finanzsenator Stefan Evers (CDU) dem Tagesspiegel am Dienstag. Mit verantwortlicher Tarifpolitik habe das nichts zu tun. „Was für die Gewerkschaften Folklore sein mag, erleben Betroffene als schmerzhafte Einschränkung“, sagte Evers.

Er appellierte an die Gewerkschaften, „endlich zur Vernunft zu kommen und ihre Anliegen in die nächsten Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder einzubringen“. Dort gehörten sie hin. Berlin könne und werde nicht aus der Tarifgemeinschaft ​ausbrechen.

Stefan Evers (CDU), Berlins Finanzsenator, hält die Arbeitskämpfe für fahrlässig: „Das sind Sinnlos-Streiks auf dem Rücken von Kindern und Eltern“.

© dpa/Britta Pedersen

Für Verwunderung sorgt in den Kitas unterdessen, mit welcher Vehemenz Verdi versuche, „der GEW Mitglieder abzujagen“, obwohl die Gewerkschaften unterschrieben haben, dergleichen zu unterlassen. Auf die Frage, wie viele Mitglieder zu Verdi abgewandert seien, antwortete Verdi, dass sie „zu eventuellen Mitgliederwanderungen zwischen Verdi und der GEW grundsätzlich keine Informationen herausgibt“.

Nach Informationen des LEAK könnte der Zeitpunkt des Streiks und das Gebaren Verdis auch damit zu tun haben, dass im Herbst Personalratswahlen stattfinden: Dort werden alle vier Jahre der Einfluss und das Ausmaß der attraktiven Freistellungen für Personalräte entschieden.

Der Verband der kleinen und mittelgroßen freien Kitaträger, VKMK, wies noch auf einen anderen Punkt hin: Während die Forderungen der Gewerkschaften „auf den ersten Blick begründet und lobenswert“ erschienen, werde auf den zweiten Blick „die sehr einseitige und oberflächliche Vorgehensweise von Verdi“ deutlich. Denn ein separater Tarifvertrag für die kommunalen Kitas werde zu einer Spaltung innerhalb des Berliner Kita-Systems und zur Benachteiligung andere Kitaträger führen.

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