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Die East Pride findet unter dem Motto „Homos sagen Ja zu Israel – Queers for Israel“ statt.

© IMAGO/aal.photo/AlexanderxPohl

East-Pride-Demo in Berlin zeigt Solidarität mit Israel: „Manche Freunde hat man danach nicht mehr“ 

Die East-Pride-Demo am Sonnabend hat das Motto „Homos sagen Ja zu Israel – Queers for Israel“. Wir haben mit den Veranstalter:innen Anette Detering und Wolfgang Beyer darüber gesprochen. 

Warum haben Sie sich für das Motto „Homos sagen Ja zu Israel – Queers for Israel“ entschieden? Sie hätten auch „Queers gegen Antisemitismus“ wählen können? Antisemitische Vorfälle sind in Deutschland seit dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas am 7. Oktober stark angestiegen.
Wolfgang Beyer: Mit unserem Motto „Homos sagen Ja zu Israel“ wollen wir unsere Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Berlin und in Israel zum Ausdruck bringen. Das heißt nicht, dass wir auf der Seite der ultrarechten Netanjahu-Regierung stehen, sondern wir stehen auf der Seite eines jüdischen Staates, der nach dem Terrorangriff der Hamas das Recht hat, sich selbst zu verteidigen, und der das Recht hat, zu existieren.

Der 7. Oktober ist ja nicht nur ein Angriff auf Israel gewesen, sondern ein Angriff auf die freie, demokratische Welt. Israel ist das Land im Nahen Osten, wo homosexuelle und queere Menschen am höchsten rechtlich geschützt sind und nicht verfolgt, eingesperrt oder getötet werden. Juden und Jüdinnen brauchen einen Staat, der ihnen die Garantie gibt, dass sie offen, frei und sicher leben können. Diese Garantie kann ihnen aber offensichtlich nur ein jüdischer Staat Israel geben. Und sie brauchen vor allem auch einen Staat und eine Gesellschaft, die die Geschichte des Holocaust und die ganze europäische Geschichte des Antisemitismus im Bewusstsein behält und ernst nimmt.

Anette Detering: Wir finden auch die große Teilnahmslosigkeit der sogenannten Zivilgesellschaft furchtbar. Wo sind denn all die Massendemonstrationen nach dem 7. Oktober gewesen? In Vorbereitung auf unsere Demo haben wir gemerkt, welche tiefgreifende Bedeutung das Massaker der Hamas mit 1.200 Toten und mehr als 250 Geiseln für Juden und Jüdinnen hat.

Wolfang Beyer: „Mein Eindruck ist, dass die sogenannten ‚Queers for Palestine‘ sich gar nicht scheren um die Situation von Queers in Palestine.“

© IMAGO/Stefan Zeitz

Können Sie das genauer beschreiben? Der Musiker Andrej Hermlin hat in einer Videobotschaft für die East Pride gesagt, die Demo sei für ihn ein Zeichen der Verbundenheit mit dem jüdischen Staat und den Juden in Deutschland – das, was er in den letzten Monaten so schmerzlich vermisst habe.
Detering: Für jüdische Menschen, die wir in den letzten Wochen getroffen und gesprochen haben, ist der Terrorangriff der Hamas ein traumatisches Erlebnis und sehr viele Jüdinnen und Juden hierzulande sind wahnsinnig enttäuscht über die fehlende Solidarität in Deutschland. Ich denke, am besten hat das der Pianist Igor Levit zum Ausdruck gebracht, der auch in einem Tagesspiegel-Interview gesagt hat: „Weshalb zeigt sich die sogenannte Mitte der Gesellschaft nicht? Wo seid Ihr denn? Ich erwische mich dabei, dass ich mir zurzeit sehr bittere Fragen über dieses Land stelle.“

Oder um auch die Worte von Michel Friedman aufzugreifen: Es reicht eben nicht, nur zu sagen, in Deutschland ist kein Platz für Antisemitismus. Wir sehen doch tagtäglich, dass es sehr, sehr viel Platz für Antisemitismus in diesem Land gibt. Israel ist der letzte Rückzugsort und der sichere Hafen für Juden und Jüdinnen. Bei dem antisemitischen Furor, der gerade durch die Welt rast, wo sollen sie denn hin, wenn dieser sichere Hafen nicht mehr existiert und sie schützt?

Ihr Anliegen wird also positiv aufgenommen?
Detering: Von Jüdinnen und Juden, ja. „Endlich macht mal jemand etwas“, haben uns viele gesagt. Das klare Bekenntnis zu Israel ist aber auch wie ein Coming-out. Manche Freunde hat man danach nicht mehr.

Ihr Motto hat Menschen dazu veranlasst, auf Distanz zu gehen?
Beyer: Ja. Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, aber ein starkes Motiv scheint auch Angst zu sein. Künstler:innen oder DJs, mit denen wir in den letzten Jahren eng zusammengearbeitet haben, haben uns dieses Mal abgesagt. 

Bekommen Sie trotzdem Unterstützung?
Eine sehr schnelle Zusage haben wir etwa von der Musikerin „DJ Anat“ erhalten. Sie lebt in Berlin, hat unglaublich viel Power und auf sie freuen wir uns sehr. Vorher hatte sich schon der Israeli Ido bei uns gemeldet und uns vielfach unterstützt. Er war auch am Aufbau der Installation „Platz der Hamas-Geiseln“ auf dem Bebelplatz beteiligt.

East Pride im Jahr 2021 vor der Gethsemanekirche.

© Jana Demnitz

Israels Verteidigungskrieg hat nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 37.000 Menschen im Gazastreifen das Leben gekostet, mehr als 86.000 sind verletzt worden. Wie gehen Sie damit um?
Beyer: Natürlich solidarisieren wir uns auch mit den Opfern im Gazastreifen. Aber man kann diese Toten und Verletzten nicht verstehen und würdigen, wenn man dafür nicht auf die Ursache blickt – und das ist der Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas am 7. Oktober. Im Übrigen: Diese Aufspaltung, die einen solidarisieren sich mit den Opfern in Israel und die anderen solidarisieren sich mit den Opfern in Gaza, finde ich fürchterlich und völlig unangemessen.

Sehr viele Jüdinnen und Juden hierzulande sind wahnsinnig enttäuscht über die fehlende Solidarität in Deutschland.

Anette Detering, Veranstalterin

Wir sind genauso solidarisch mit der Zivilbevölkerung in Palästina und hoffen, dass dieser Krieg bald vorbei ist. Die Hamas könnte die restlichen Geiseln auch einfach freigeben, ihre Waffen niederlegen und aufhören, Krankenhäuser, Schulen oder andere zivile Einrichtungen systematisch militärisch zu missbrauchen. Das tut sie aber nicht. Es gehört zur Kriegsstrategie der Hamas, dass bei Angriffen sehr viele Zivilisten getötet werden.  

In Ihrem Demo-Aufruf kritisieren Sie auch „Queers for Palestine“, die gerade auf dieses angesprochene Leid der Palästinenser mit aufmerksam machen.
Beyer: Ich würde mir erst mal wünschen, dass Queers aus Palästina hier in Deutschland überhaupt zur Sprache kommen – und zwar ohne Angst vor den eigenen Leuten oder vor einer linken ideologischen Front. Mein Eindruck ist, dass die sogenannten „Queers for Palestine“ sich gar nicht scheren um die Situation von Queers in Palestine. Denn Queers in Palästina leiden schon sehr lange unter einer grausamen Verfolgung durch die eigenen Machthaber.

Generell würde ich mir wünschen, dass die Stimmen von Menschen, die vor diesen Lebensbedingungen fliehen, endlich ernst genommen werden. Gerade sie kritisieren doch die dort herrschenden Verhältnisse wie sonst kaum jemand hierzulande. Ich denke etwa an Exiliraner hier in Berlin. Die Hamas und die Fatah wollen keine demokratischen Strukturen – und sie wollen vor allem keine selbstbestimmten Menschen. Darüber müsste diskutiert werden. Das sehe ich bei „Queers for Palestine“ aber nicht. Stattdessen sind auf pro-palästinensischen Demonstrationen viele antisemitische Äußerungen zu hören.

Israel ist das Land im Nahen Osten, wo homosexuelle und queere Menschen am höchsten rechtlich geschützt sind.

Wolfgang Beyer, Veranstalter

Die Anwältin und liberale Imamin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ateş, wird auf der Demo sprechen. Wie ist diese Kooperation entstanden? 
Detering: Seyran Ateş war die Erste, die für unsere Demo zugesagt hat und eine Rede halten wird. Sie vertritt einen weltoffenen und liberalen Islam. Sie ist genauso von dem islamischen Extremismus bedroht, wie Juden und Jüdinnen. Seit Jahren wird sie angefeindet und steht unter Personenschutz. Sie macht sich stark für ein friedliches Miteinander mit Juden und Jüdinnen und spricht den Antisemitismus in Teilen der muslimischen Gesellschaft offen an. Sie hat im Zuge unserer Demo gesagt: „Wenn Deutschland für alle Juden das sicherste Land der Welt wäre, dann wäre auch ich in diesem Land sicher.“

Gibt es für die Demo ein Sicherheitskonzept?
Beyer: Wir sind in Gesprächen mit der Polizei und wir werden durch Polizeibeamte geschützt werden.

Wird es wieder eine Kooperation mit der Gethsemanekirche geben?
Beyer: Wir haben unser Motto vorgestellt, dafür gab es aber im Gemeindekirchenrat keine Zustimmung. Unser Motto-Banner wird deshalb nicht über dem Portal der Gethsemanekirche hängen – anders als in allen Vorjahren. Das bedauern wir sehr und es steht für uns auch im Widerspruch zur aktuellen Kampagnenlosung der Evangelischen Kirche „Wir schützen jüdisches Leben“. Wir werden die Demo aber dennoch wieder vor der Gethsemanekirche starten.

Es ist die vierte East Pride. Wo steht die Demo auch mit ihrem ursprünglichen Anliegen – ein größeres Bewusstsein für die homosexuelle Emanzipationsgeschichte in der DDR zu schaffen?
Beyer: Wir merken, es ist notwendig, immer und immer wieder unsere Geschichte zu erzählen.

Detering: Es gibt junge queere Menschen, die haben z.B. noch nie etwas von der Unabhängigen Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR, den Berliner Arbeitskreisen „Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben bzw. Schwule in der Kirche“ oder vom Sonntags-Club in Ost-Berlin gehört.

Beyer: Wenn ich an unser erstes Interview vor drei Jahren denke, dann gibt es immer noch kein Narrativ über die unabhängige Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR. Bestenfalls gilt die DDR als irgendwie liberaler in Sachen Strafverfolgung von Homosexuellen. Wer genauer hinsieht, wird das Gegenteil feststellen. Die DDR und insbesondere die SED haben vehement gegen das Entstehen einer solchen Bewegung gekämpft. Es war das Ziel der Staatssicherheit, eine emanzipatorische Bewegung zu verhindern. Die Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR war eine politische, oppositionelle Bewegung, gegen die Alleinherrschaft der SED. Es war die DDR selbst, die diese Bewegung zum Feind erklärte.

Diese Geschichte muss man immer wieder erzählen. Man lernt daraus, wie wichtig es ist, dass Menschen über ihre Widerstandsgeschichte und Erfahrungen in Diktaturen sprechen. Uns ist es auch wichtig, dass die vielen Menschen, die jetzt aus der ganzen Welt, aus Nordafrika, aus dem Nahen Osten, hierherkommen, dass die auch Räume bekommen und Möglichkeiten erhalten, angstfrei, auch vor den eigenen Leuten, sprechen zu können. Das gilt eben nicht nur für uns Ossis, sondern auch für die vielen Menschen, die jetzt neu hier leben. Deshalb wird das Thema der East Pride auch wichtig bleiben.

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