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Die Pariser Doktorandin Marguerite (Ella Rumpf) will die „Goldbachsche Vermutung“ knacken.

© TS Productions/Michael Crotto

„Die Gleichung ihres Lebens“ im Kino: Leidenschaft für Primzahlen

Anna Novion mischt im Arthouse-Drama „Die Gleichung ihres Lebens“ Coming-of-Age-Geschichte, Romanze und das Selbstbehauptungsdrama einer jungen Mathematikerin.

Konzentration bitte: Jede gerade Zahl, die größer ist als 2, ist Summe zweier Primzahlen. Diese These des Mathematikers Christian Goldbach von 1742 ist als „Goldbachsche Vermutung“ in die Annalen der Zahlentheorie eingegangen. Sie gehört zu den bekanntesten ungelösten Problemen der Mathematik.

Ausgerechnet „Goldbach“ zu beweisen, ist der Forschungsgegenstand der Filmheldin Marguerite Hoffmann, die in Paris an der berühmten École Normale Supérieure promoviert. „Die Gleichung ihres Lebens“ also, der die 25 Jahre alte Forscherin in Anna Novions Drama ihr ganzes Sinnen und Trachten widmet.

Zeit für Äußerlichkeiten wie ein schickes Studentinnen-Outfit bleibt da nicht. „Weil sie bequem sind“, antwortet Marguerite entwaffnend offen auf die Interviewerfrage eines Studentenmagazins, warum sie immer in Pantoffeln über den Campus schlappt. Das ist der erste Moment, in dem man sich fragt, ob die unterhaltsame Coming-of-Age- und Empowerment-Geschichte, die sich dann auch noch in Richtung Romanze entwickelt, nicht doch zu sehr in Stereotypen fischt.

Vom „Mad Scientist“ bis zum „Autisten-Outlaw“ klingen in der französisch-schweizerischen Produktion gleich mehrere Motive aus dem Themenkomplex „hochbegabte Nerds“ an. Und mit Sicherheit ist „Die Gleichung ihres Lebens“ auch ein gelungener Beitrag zur Popularisierung der als abstrakt und sperrig verschrienen Mathematik.

Mathegenies als Hollywoodmotiv

Mathegenies, die Gleichungen auf Papier und Tafeln kritzeln, sind von Gus van Sants „Good Will Hunting“ (1997) über „A Beautiful Mind“ (2001) bis zu „Hidden Figures“ (2017) über drei schwarze Nasa-Mathematikerinnen ein bewährtes Kinomotiv.

Nur dass Anna Novion eine deutlich weniger hollywoodeske Variation liefert, in der besonders die empathische, differenzierte Charakterzeichnung von Marguerite besticht. Für deren Darstellung wurde Ella Rumpf in diesem Jahr gleich mit mehreren Preisen wie dem César für die beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet.

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Ihre Figur Marguerite lässt auch an Beth Harmon, die genialische Schachspielerin in der Serie „Das Damengambit“, denken. Zwei um Anerkennung kämpfende Frauen allein in unterkühlten Männerdomänen.

Harmon „träumte“ animierte Schachstrategien. Wenn die Mathedoktorandin wie im Rausch Gleichungen an die Tafel wirft und – um mehr Platz zum Rechnen zu haben – zum Ärger ihrer Mitbewohnerin auch noch die Wohnzimmerwände schwarz streicht, tanzen animierte Zahlen durch Gehirn und Raum. Man merkt, die erzählerische Herausforderung, genialische Denkprozesse visuell attraktiv zu gestalten, kann leicht in Stereotype münden.

Wobei Novions Arthouse-Drama keinen Zweifel daran lässt, dass Forschung in einem von hohem Konkurrenzdruck gezeichneten Feld kein Aufstiegsmärchen, sondern Blut, Schweiß und Tränen bedeutet. Besonders als Lucas (Julien Frison) auftaucht, ein Doktorand aus Oxford, der ebenfalls bei Marguerites Prof Werner (Jean-Pierre Darrousin) an der Primzahlentheorie arbeiten will.

Verliebt in den Konkurrenten: Marguerite (Ella Rumpf) und Lucas (Julien Frison) tauschen ihre Erkenntnisse über Primzahlen aus.

© TS Productions/Michael Crotto

Werner ist anfänglich vor Stolz geschwollen, als Marguerite erstmals im Hörsaal vor Studierenden und Professoren ihre Ergebnisse präsentiert. Das ändert sich gründlich, als Lucas ihr öffentlich einen Rechenfehler nachweist. Marguerite, die Logik deutlich besser kann als Emotionen und soziale Interaktion, wirft geschockt den Bettel hin und bricht mit Prof, Uni und Mathematik.

Durch die Tänzerin Noa (Sonia Bonny), eine Zufallsbekanntschaft, bei der sie einziehen kann, lernt Marguerite die zuvor komplett ignorierte Normalowelt kennen. Clubs, Sex und Glücksspiel, genauer gesagt Mah-Jongg, bei dem im Pariser Chinesenviertel nicht nur Spielsteine, sondern auch Scheine über den Tisch wandern.

Ein ideales Wirkungsfeld für eine Mathematikerin. Nur gut, dass Marguerite letztlich weder von der Goldbachschen Vermutung noch von Lucas die Finger lassen kann. Mathestudentinnen brauchen Rolemodels in der Popkultur.

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