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Keimende Gefahr. Bakterien wie diese Kolonie Klebsiella pneumoniae sind immer häufiger gegen fast alle Antibiotika resistent.

© SPL

Alexander S. Kekulé: Die Zucht resistenter Erreger

Das Problem der Bakterien ist trotz allen medizinischen Fortschritts noch lange nicht gelöst: Antibiotika werden unwirksam – was kommt danach?

Wenn Ärzte um Leben und Tod kämpfen, ist jedes Mittel recht – auch wenn sie bisweilen den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Die Einführung der Handfeuerwaffen im 16. Jahrhundert gilt als Geburtsstunde der Chirurgie. Hartgesottene Militärärzte brachten es spielend auf einhundert Amputationen am Tag. Die Operationen führten sie ohne Narkose und mit schmutzigen Instrumenten durch, zur Blutstillung goss man siedendes Öl in die Wunde. Wer die Tortur überlebte, wurde von eitrigen Infektionen heimgesucht – Bakterien töteten damals mehr Soldaten als das Schießpulver.

Heute geht es in der Chirurgie weniger blutig zu und seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird unter Narkose operiert. Das Problem der Bakterien ist jedoch, trotz allen medizinischen Fortschritts, noch lange nicht gelöst: In den vergangenen Jahren treten zunehmend neue Keime auf, gegen die nahezu alle Antibiotika wirkungslos sind. Rund eine Million Menschen werden jedes Jahr in deutschen Krankenhäusern infiziert, 20 000 bis 40 000 sterben daran.

Seit einigen Jahren machen sich resistente Eitererreger („MRSA“) breit, die gegen die meisten Antibiotika unempfindlich geworden sind. In manchen Krankenhäusern liegt ihr Anteil schon bei 30 Prozent, mit steigender Tendenz. Neuerdings gibt es sogar MRSA- Stämme, gegen die auch die letzten Reservemittel (Vancomycin, Linezolid) nicht mehr helfen.

Noch problematischer ist die Lage, wenn gewöhnliche Darmbewohner wie Escherichia Coli gegen Antibiotika unempfindlich werden. Die Antibiotikaresistenz wird dann unbemerkt sowohl auf andere Darmbakterien als auch von Mensch zu Mensch übertragen. Erst vor kurzem entdeckten Mikrobiologen bei einem Patienten aus Neu Delhi einen neuartigen Resistenzmechanismus, den sie „NDM-1“ (Neu-Delhi Metallobetalaktamase) nannten. Bakterien mit dieser Eigenschaft sind praktisch gegen alle Antibiotika unempfindlich. Zum Entsetzen der Fachwelt stellte sich dann heraus, dass sich NDM-1 bereits über weite Teile des indischen Subkontinents verbreitet hat: Viele Millionen (gesunde) Menschen tragen Bakterien im Darm, gegen die es im Falle einer Erkrankung keine Therapie gibt. Auch in Europa traten bereits schwere Erkrankungen bei Touristen auf, die sich in Indien mit NDM-1-Bakterien infiziert hatten.

Schuld an der Zunahme der gefährlichen Bakterien sind, neben dem Antibiotikaeinsatz in der Tiermast, ausgerechnet die Ärzte selbst. In Entwicklungsländern werden, aus Mangel an Alternative, oft zu schwache oder zu niedrig dosierte Antibiotika verabreicht. In den Industriestaaten führt der Überfluss zum selben Ergebnis: Weil Chirurgen, Internisten und selbst Kinderärzte zu häufig Antibiotika verschreiben, werden resistente Erreger regelrecht gezüchtet.

Wie aktuelle Untersuchungen zeigen, führen wiederholte Antibiotikatherapien obendrein dazu, dass sich der Körper gegen Infektionen schlechter wehren kann. Die gesunde Bakterienflora stimuliert unter anderem den Signalstoff Interleukin-10 (IL-10), der die Immunantwort gegen Krankheitserreger reguliert. Wird die normale Bakterienflora durch Antibiotika zerstört, fehlt IL-10 und es kommt zu einer Besiedelung mit schädlichen Bakterien. Diese können im Darm zu chronischen Verdauungsstörungen oder in der Lunge zu Asthma führen.

Wie Gesundheit und Krankheit durch die natürliche Bakterienausstattung des Menschen, das „Mikrobiom“, beeinflusst werden, beginnt die Wissenschaft gerade erst zu erahnen. Beispielsweise bekommen in ländlicher Umgebung aufgewachsene Kinder durch Kontakt mit harmlosen Bakterien seltener Asthma. Bestimmte Darminfektionen können sogar durch Neubesiedlung mit normaler Bakterienflora geheilt werden. An weiteren Möglichkeiten, Bakterien mit Bakterien zu therapieren, wird fieberhaft geforscht.

Die antibakterielle Therapie steckt heute, 70 Jahre nach der Einführung des Penizillins (1941), erst in den Kinderschuhen. Wahrscheinlich wird der rigide Einsatz von Antibiotika, wie die Anfänge der Chirurgie, eines Tages zu den Schaudergeschichten der Medizin gehören. Doch wenn es um Leben und Tod geht, ist immer noch jedes Mittel recht.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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