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Opium fürs Volk. Das ist heute für die meisten nicht mehr die Religion, sondern die Heimeligkeit der Zweierbeziehung. Sie soll Orientierung und Halt geben in einer immer chaotischer werdenden Welt. So zumindest sehen es die jungen Dramaturgen, die mit ihren Stücken ans Hans Otto Theater kamen.

© Göran Gnaudschun

Wildwuchs-Festival für junge Dramaturgen am HOT: Nutzlos wie eine Heizdecke

Kunst statt Liebe machen: Drei junge Autoren zeigten am Potsdamer Hans Otto Theater ihre Positionen zur Zweierbeziehung. Und das auch noch am Valentinstag.

Gott ist tot, die romantische Zweierbeziehung auch? Zumindest steht es schlecht um die konventionelle Liebe, wenn man den jungen Theater-Autoren des Wildwuchs-Festivals glaubt, die am vergangenen Samstag ihre Stücke in gekürzter Form in der Reithalle des Hans Otto Theaters gezeigt haben. Auch im vierten Jahr des Festivals haben Studenten der Fächer Szenisches Schreiben und Schauspiel der Universität der Künste Berlin mit Regisseuren und Schauspielern des Hans Otto Theaters zusammengearbeitet, um die Stücke der Nachwuchsautoren innerhalb von nur zwei Wochen Probenzeit einem ersten Praxistest zu unterziehen. Wildwuchs will wissen, was junge Autoren bewegt und da geht es wie sooft um Zwischenmenschliches.

In „Die Eroberung der Nutzlosigkeit“ von Sophia Hembeck etwa bleibt die Liebe von Wendy zu Peter unerwidert. Inspiriert ist das Stück von der Geschichte „Peter Pan“, in der der hoffnungslose Kindskopf seine Wendy zwar ins Nimmerland entführt – zu Wendys Enttäuschung aber ohne Hintergedanken. Und auch Hembecks Wendy versteht die Welt nicht mehr: „Warum lädt man eine Frau in den Wald ein, wenn nicht um mit ihr Sex zu haben?“ Abgeschieden von der Zivilisation sitzen sie und Peter in den Ruinen des Berliner Teufelsbergs, aber Peter will lieber Kunst statt Liebe machen. Und auch beim Kunstprojekt – dem eigentlichen Zweck ihrer Zweisamkeit – fühlt sich Wendy irgendwie überflüssig, nutzlos. Wenn sie sich langweile, könne sie ja was kochen oder so, schlägt Peter vor. Aber die Rolle des Hausmütterchens lässt sich Hembecks Wendy nicht aufzwingen.

Wenn ich die Welt schon nicht kontrollieren kann, dann wenigstens dich

Stattdessen beginnt sie, Peter auszuspionieren, kontrolliert seine SMS, protokolliert minimalistisch jeden seiner Schritte und fügt sich so ganz natürlich in den Schauplatz des Teufelsbergs ein. Der nämlich diente zur Zeit des Kalten Krieges als Abhöranlage. „Wenn alle alles wissen, sind wir am Ende alle gleich. Darum geht es doch in einer Beziehung“, sagt Wendy irgendwann. Was sie meint: „Diese Welt, die so kompliziert ist, kann ich nicht kontrollieren, aber dich schon.“ Sie formuliert die Fragen, die die Liebe stellt: Wie viel Ich muss bleiben, damit wir Wir sein können? Wie kann Vertrauen bei gleichzeitiger Verlustangst bestehen? Immer tiefer steigert sich Wendy in die Macht-durch-Kontrolle-Manie hinein, in ihrer Fantasie bedroht sie Peter sogar mit einer Pistole, will ihn zu einem Bekenntnis zwingen.

Ja, sie ist verzweifelt. Schwach in ihrem Lechzen nach Liebe. Dennoch qualifiziert Hembeck Wendy nicht zum Opfer ab. „Die perfekte Beziehung: ich oben, du unten“, sagt sie. Mitleid ist hier fehl am Platz, denn zu viel Empathie verweichlicht die Ecken und Kanten des Menschseins – und gerade die machen eine Figur doch interessant. Ungeachtet der Komplexität der Figur macht es die Darstellung der Wendy dem Zuschauer aber schwer, eine Beziehung – welcher Art auch immer – zu ihr aufzubauen und gerade diese Distanz ist es, die einen doch recht kalt zurücklässt. So verliert sich die Inszenierung in den Überwachungsfantasien der Protagonistin, statt ihre Gedanken und Gefühle spürbar zu machen. Was ankommt ist Wut. Aber da ist doch mehr. Und da liegt wohl die Krux der gekürzten Fassung: Beziehungen brauchen Zeit – auch auf der Bühne.

Wie eine Heizdecke wirbt auch die Beziehung darum, das Leben zu erwärmen

Auch die zweite Inszenierung – Franziska von Heedes „Heizdeckenland Du“ – befragt die moderne Beziehung auf ihren Nutzen für das Individuum. Ihr Symbol: die Heizdecke. Die wirbt darum, das Leben zu erleichtern, zu erwärmen – aber braucht man sie wirklich? „In dem Stück habe ich versucht, das auf eine Beziehung zu übertragen. Wer wärmt wen? Und ist das wirklich lebenserleichternd?“, sagt von Heede später im Gespräch mit dem Dramaturgen John von Düffel. Ein Mann rettet einer Frau das Leben, weil er denkt, sie will sich mit den Abgasen ihres VW-Busses das Leben nehmen.

Eigentlich will sie aber das ungewollte Kind abtreiben, das ihr ein One-Night-Stand in eben diesem Bus eingebracht hat. Zwei Gescheiterte treffen sich hier an einem gottverlassenen Autorasthof, einem Nicht-Ort, und je länger die beiden dort beieinander sind, desto klarer wird, dass sie unterschiedliche Dinge wollen: Er will bei einem Gewinnspiel eine Reise zum Meer gewinnen – seine Chance auf einen Neuanfang. Mitten im gesetzlosen Raum des Meeres will er ein Haus bauen. „Ich baue auf die Lücke im System“, sagt er und sie soll mit. Am Ende zieht sie die Reißleine: „Ich sterbe nicht für dich, weißt du?“ Wunderbar skurril inszeniert Regisseurin Kerstin Kusch die Krise dieser beiden Weltflüchtlinge, leider stolpert man ab und zu über den Text: Zu kompliziert und elliptisch, lässt er den Zuschauer häufig alleine stehen.

Zwei Sheriffeusen greifen durch

Probleme mit dem Text dürften auch die Darsteller in Philipp Gärtners „Fallobst im Westen oder Jimmy F. Und der Schmelztiegel der unbegrenzten Möglichkeiten“ gehabt haben, denn das Sprechtempo hatte durchgehend Eddy-Murphy-Niveau. Seine urkomische Westernparodie hat erst einmal gar nichts mit Liebe und Beziehungen am Hut. In Carson City wird der Hochstapler Doc Dockson dingfest gemacht, von den Gesetzeshüterinnen – Achtung Genderkorrektheit! – Sheriffeuse Lucy Grail und Deputeene Sadie Brice. Während sein naiver, aber aus pragmatischen Gründen treuer Gefährte Jimmy Fallobst ihn zu retten versucht, werden auch die Hochstapeleien des geldgeilen Bürgermeisters und unchristlichen Pfarrers aufgedeckt.

Was gibt noch Halt, nachdem die Religionen gescheitert sind?

Gärtner parodiert Westernstereotype und lässt sie zu einer comicartigen Manege des Wahnsinns explodieren, wobei er Theater mit filmischer Bildsprache vermischt und ganz nebenbei noch Gesellschaftskritik übt, denn: Ist Liebe nicht sowieso bloß ein imaginäres Refugium des Menschen auf der verzweifelten Suche nach einem festen Bezugspunkt im Leben? Nachdem die Religion gescheitert ist, muss die Zweierbeziehung her und auch das geht in die Hose. Aber auch darüber sollte man lachen können.

Utopie , Nicht-Orte, Komik: Es fällt auf, dass alle drei Autoren Räume der Flucht als Schauplätze gewählt haben. Von außen richten sie den Blick auf die Gesellschaft, aus dieser Perspektive ist vieles leichter zu erkennen. Klar ist, die jungen Autoren haben Ideen, wollen Altes neu erzählen, verstehen und Grenzen des Erzählens beseitigen. Das Wildwuchs-Festival macht Lust auf mehr. Jetzt noch einmal alles in lang, bitte!

Theresa Dagge

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