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Nach dem Maschinen- und dem Fahrzeugbau ist die Chemie der größte Industriebereich hierzulande.

© Getty Images/Westend61

Mehr Geld für Chemiearbeiter: Tarifabschluss für knapp 600.000 Beschäftigte

6,85 Prozent für alle und einen zusätzlichen freien Tag für Gewerkschafter: Die IG BCE setzt erstmals in einem großen Tarifvertrag einen Bonus für ihre Mitglieder durch.

| Update:

Kurz vor dem Auslaufen der Friedenspflicht Ende Juni haben sich die Tarifparteien in der Chemie auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Die Einkommen der 585.000 Mitarbeitenden der Pharma- und Chemieindustrie steigen in den kommenden zehn Monaten um 6,85 Prozent. Dazu setzte die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) einen zusätzlichen freien Tag im Jahr für Gewerkschaftsmitglieder durch. Erstmals umfasst damit ein großer Flächentarifvertrag eine solche Vorteilsregelung.

Die Gewerkschaft hatte ursprünglich sieben Prozent bei einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten gefordert. Der neue Tarifvertrag ist 20 Monate gültig und sieht eine Erhöhung der Entgelte um zwei Prozent im September und um weitere 4,85 Prozent im April 2025 vor. „In der Entgeltfrage gehen wir zweifellos an die Grenze der Belastbarkeit“, meinte Matthias Bürk, Verhandlungsführer der Arbeitgeber. „Aber wir verbinden langfristige Planungssicherheit mit Flexibilität für Unternehmen in einer kritischen Lage.“ Diese Unternehmen dürfen die Entgelterhöhung von April auf Juli 2025 verschieben.

Die Arbeitgeber argumentieren seit langem mit der schwachen Konjunktur argumentiert. Ein Fünftel der Unternehmen habe 2023 Verluste ausgewiesen, bei weiteren 25 Prozent liege die Umsatzrendite unter drei Prozent. Die Energiekrise infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine hatte die energieintensive Chemie besonders belastet.

In den vergangenen Monaten erholten sich die Energiemärkte und es häuften sich Hinweise auf eine anziehende Chemiekonjunktur. „Wir sind nicht im dunklen Tal unterwegs“, hatte Olivier Heinrich, Verhandlungsführer der IG BCE, kürzlich dem Tagesspiegel gesagt. „Fast ein Drittel der Betriebe fährt Überstunden und baut die Arbeitszeitkonten auf.“ Kurzum: Den meisten Unternehmen gehe es besser, als von den Arbeitgebern behauptet.

Dem Ansatz der IG BCE, die Kaufkraft der Beschäftigten zu stabilisieren, waren die Arbeitgeber mit dem Hinweis auf die jüngsten Gehaltserhöhungen begegnet: Jeweils im Januar 2023 und 2024 stiegen die Gehälter um 3,25 Prozent, dazu erhielten die Beschäftigten die steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 3000 Euro. Da die Inflationsrate in diesem Jahr deutlich unter drei Prozent liegt, können sich die Chemiearbeiter über eine deutliche Reallohnsteigerung freuen. „Legt man die Inflationsprognosen der Bundesregierung für 2024 und 2025 zugrunde, dann wachsen Reallöhne und Kaufkraft in den beiden Jahren um insgesamt sechs Prozentpunkte“, hat die Gewerkschaft ausgerechnet.

Besonders umstritten war in den Verhandlungen der Mitgliederbonus, den die Gewerkschaft erstmals in einem Flächentarif durchsetzen wollte. Als Orientierungsgröße für den Bonus hatte Verhandlungsführer Heinrich den Beitrag in Höhe von ein Prozent des Bruttoeinkommens, den die IG BCE-Mitglieder im Monat zahlen, angesetzt. Nun bekommen die Gewerkschafter einen zusätzlichen freien Tag, und die Arbeitgeber haben in den Verhandlungen zugesagt, dass es diesen freien Tag auch nur für IG BCE-Mitglieder gibt.

„Differenzierung auf Basis der Gewerkschaftszugehörigkeit spaltet die Belegschaften und findet keine Akzeptanz auf Arbeitgeberseite.“ Mit dieser Position war der Arbeitgeberverband in die Verhandlungen gegangen. „Für uns ist wichtig, dass wir das Prinzip ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ nicht antasten und so das Risiko einer Spaltung der Belegschaften minimieren“, zeigten sich die Arbeitgeber am Donnerstag einigermaßen zufrieden mit dem Kompromiss.

Bislang gibt es Sonderzahlungen nur in einzelnen Unternehmen. Bei RWE etwa setzte die Gewerkschaft einen monatlichen Betrag für Gewerkschafter in Höhe von 100 Euro durch. Für ihre Mitglieder in der Belegschaft der ostdeutschen Leag erreichte die IG BCE einen Extrabonus von 1500 Euro.

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