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Seit Jahren warnt MBDA, gegen die russischen Raketen brauche es ein neues Taktisches Luftverteidigungssystem.

© MBDA/bernhardhuber.com

Neues Raketenabwehrsystem?: „Sonst sind wir Angriffen, wie Russland sie zuletzt gezeigt hat, schutzlos ausgeliefert"

Der Rüstungskonzern MBDA will der Bundeswehr seit Jahren ein neues Raketenabwehrsystem verkaufen - doch die lehnte ab. Nun könnte die Lage anders aussehen.

Wenn ein Bundesfinanzminister 100 Milliarden Euro auf den Tisch legt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Streit darum entbrennt, wie es ausgegeben werden soll. Im Fall von Christian Lindners (FDP) Sondervermögen für die Bundeswehr ist es nun so weit. Gerade die Bedrohung durch Russlands Raketen weckt auch hier in Deutschland Sorgen.

„Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass Luftverteidigung unabdingbar ist", sagte deshalb auch Thomas Gottschild im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Deutschland brauche eine "potente, bodengebundene Luftverteidigung", meint der Chef von MBDA, der Rüstungssparte von Airbus. "Sonst sind wir Angriffen, wie Russland sie zuletzt gezeigt hat, schutzlos ausgeliefert."

MBDA warnt schon seit Jahren vor der Bedrohung durch russische Raketen. "Wladimir Putin hat Waffensysteme vorgestellt, die herkömmliche Abwehrsysteme nicht abfangen können", hatte Gottschild schon 2019 im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. Deshalb hat sein Unternehmen seit Jahren daran gearbeitet, ein neues Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS) an die Bundeswehr zu verkaufen. Doch 2020 entschied sich die damalige Bundesregierung gegen das Projekt. Aktuell arbeitet die Bundeswehr in der Raketenabwehr mit dem System "Patriot" des US-Herstellers Raytheon. Experten kritisieren, dass Patriot allerdings schon in die Jahre gekommen und nicht mehr auf dem Stand der Zeit ist.

"Es wird schnell Schutz benötigt"

Aus Gottschilds Sicht sollte Deutschlands Raketenabwehr in drei Schritten verbessert werden. "Im ersten Schritt sollte das bestehende Patriot-Systems möglichst schnell gestärkt werden, hier geht es um die Quantität", erklärt er. Im zweiten Schritt müsse die Leistungsfähigkeit von Patriot verbessert werden. "Und mittelfristig im dritten Schritt ist es notwendig darauf aufbauend ein neues Taktisches Luftverteidigungssystem einzuführen."

Für Gottschild ist eine Kombination der Systeme die logische Konsequenz aus der akuten Lage. "TLVS war als Gesamtsystem gedacht, das in den dreißiger Jahren schlüsselfertig geliefert wird. Das ist nicht mehr adäquat, da ein verbesserter Schutz schnell benötigt wird", so Gottschild. Er möchte daher "inkrementell vorgehen". "Patriot wurde entwickelt, als es die aktuelle Bedrohungslage durch diese russischen Raketen noch nicht gab. Mit einer Weiterentwicklung zu TLVS sind wir in der Lage, auch moderne Bedrohungen abzuwehren."

Thomas Gottschild (50) ist seit 2016 CEO von MBDA Deutschland und zudem im europäischen Vorstand der Airbus-Tochter. Er arbeitet seit 1996 für den Luftfahrtkonzern.
Thomas Gottschild (50) ist seit 2016 CEO von MBDA Deutschland und zudem im europäischen Vorstand der Airbus-Tochter. Er arbeitet seit 1996 für den Luftfahrtkonzern.

© MBDA/bernhardhuber.com

Der erste Schritt, die quantitative Aufrüstung von Patriot, wäre nach seinen Worten innerhalb von zwei Jahren möglich. Die Einbringung neuer Fähigkeiten in den Folgejahren danach. "Unser TLVS könnte man parallel entwickeln und damit auch innerhalb der nächsten Jahre einführen", skizziert er den Zeitplan. "Wichtig ist, dass wir eine offene Systemarchitektur mit Patriot als integralem Bestandteil entwickeln." Auch das Budget - mit rund acht Milliarden Euro ein Hauptgrund für das Aus des Projekts - könne flexibel gestaltet werden. "Weil jede einzelne Ausbaustufe steuerbar ist, kann man hier Schritt für Schritt planen und das Projekt gegebenenfalls an das Budget anpassen."

Die Bundeswehr prüft noch, was möglich ist

Bei der Bundeswehr ist man indes noch nicht so weit. Man sei gerade erst dabei zu prüfen, welche Projekte realisiert werden können, teilt das Bundesverteidigungsministerium auf Anfrage mit. Derzeit sei der Generalinspekteur damit beauftragt eine Lageeinschätzung vorzunehmen, welche Fähigkeiten verbessert werden müssen, so eine Sprecherin des Hauses von Christine Lambrecht (SPD). Das werde auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Auch von Seiten des Bundesfinanzministeriums sei noch nicht entschieden worden, wann wie viel Geld zur Verfügung steht.

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Doch aus Sicht von Gottschild muss es jetzt schnell gehen. „Es herrscht, denke ich, Einigkeit: Um die Schlagkraft der Bundeswehr schnell zu erhöhen, brauchen wir schnellere Entscheidungen und ein schnelleres Beschaffungswesen“, sagt er. „Genauso werden wir auf Industrieseite nachsteuern, um unsere Prozesse zu beschleunigen.“

Hier ist er mit Lambrecht einer Meinung. In Zukunft sollen Ausnahmen vom europäischen Vergaberecht gelten, um die Beschaffung der Bundeswehr zu beschleunigen, hatte das Verteidigungsministerium am Montag mitgeteilt. Zudem würden Gesetzesänderungen zur Flexibilisierung der Vergaberechts vorangebracht. Investitionen bis zu 5000 Euro sollen zudem künftig ohne Ausschreibung vergeben werden.

Sind Rüstungsinvestitionen ESG-konform?

Überhaupt hofft Gottschild, dass Rüstungsinvestitionen aus der Schmuddelecke herauskommen „Ich habe die Hoffnung, dass die aktuelle Situation Verständnis dafür weckt, dass die Rüstungsindustrie für die Sicherheit unseres Landes unabdingbar ist“, meint er. „Es zeigt sich gerade deutlich, dass nur eine gut aufgestellte Verteidigungspolitik ein Leben in Stabilität, Sicherheit und Wohlstand garantieren kann.“

In Brüssel wird gerade darüber verhandelt, welche Investitionen im Rahmen einer Taxonomie als sozial und nachhaltig eingestuft werden. Für Gottschild fällt sein Unternehmen klar darunter. „Damit schaffen wir überhaupt erst die Grundlage für Nachhaltigkeit in Deutschland und Europa“, findet er. „Ich bin zuversichtlich, dass die Debatte hier in die richtige Richtung geht.“

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