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Globaler Killer. Allein in Indien sterben jeden Tag 1000 Menschen an TB.

© AFP

Risikofall: Warum bricht Tuberkulose aus?

Die Tuberkulose ist eine gefürchtete Krankheit, aber sie bricht längst nicht bei allen Menschen aus, die sich mit dem Erreger Mycobacterium tuberculosis angesteckt haben. Im Lauf seines Lebens erkrankt nur einer von zehn Infizierten.

Eine charakteristische molekularbiologische "Unterschrift" könnte in Zukunft helfen, diese Tuberkulosegefährdeten früher zu erkennen und das Leiden besser zu behandeln. Das berichten Anne O'Garra vom National Institute for Medical Research in London und ihr Team aus britischen und südafrikanischen Forschern im Fachblatt "Nature" (Band 466, Seite 973).

Die Wissenschaftler untersuchten das Blut von Patienten mit aktiver und latenter Tuberkulose und gesunden Kontrollpersonen. Dabei stießen sie auf ein Profil von 393 Genen, deren Aktivität sich bei Patienten mit aktiver Tuberkulose verändert hatte. Spannend ist, dass dieses charakteristische Genaktivierungsmuster in der Studie auch bei rund zehn Prozent derjenigen Teilnehmer gefunden wurde, bei denen zwar mit den gängigen Tests eine Infektion festgestellt wurde, die aber nicht erkrankt waren. Sind es diejenigen, die für die Erkrankung besonders empfänglich sind und sie im Lauf ihres Lebens bekommen werden? Das müssen Langzeituntersuchungen zeigen.

In jedem Fall hoffen die Forscher, bisher unbeachteten Signalwegen auf der Spur zu sein, die für Impfungen und Medikamente genutzt werden können. So stießen sie auch auf eine Gruppe immunstimulierender Proteine, die in den weißen Blutkörperchen gebildet werden und die in der Vergangenheit eher mit der Abwehr von virusbedingten Infektionen in Verbindung gebracht wurden, die Alpha- und Beta-Interferone. Denn anders als in "klassischen" molekulargenetischen Arbeiten üblich, haben die Forscher nicht gezielt nach Molekülen gesucht, die sie oder andere schon zuvor im Verdacht hatten, bei Tuberkulosekranken verändert zu sein.

"Das ist eine komplexe Arbeit, die beweist, dass die Grundlagenforscher sich endlich mit der Tuberkulose beschäftigen, die in den letzten Jahrzehnten in den Industrienationen sträflich vernachlässigt wurde", urteilt Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Der Biologe hatte in den letzten Jahren immer wieder moniert, dass es zur Tuberkulose "im Westen nichts Neues" gebe - obwohl auch in Ländern wie Deutschland Jahr für Jahr über 500 Menschen daran sterben. Weltweit gehen jährlich zwei Millionen Todesfälle und neun Millionen Neuerkrankungen auf das Konto der Tuberkulose, 50 Millionen Menschen sind mit mehrfach resistenten Stämmen des Bakteriums infiziert, gegen die gängige Antibiotika nicht mehr wirken: Neben dem HI-Virus verlangt Mycobacterium tuberculosis unter den Krankheitserregern inzwischen die meisten Opfer. Hauptgrund ist die Aids-Epidemie, denn typischerweise nutzt das Tuberkelbakterium heute die Gunst der Stunde und setzt immungeschwächten HIV-Positiven zu. Über 15 Millionen Menschen sollen derzeit mit beidem infiziert sein. Die Krankheit ist zwar mit Antibiotika behandelbar. Nicht zuletzt wegen der enorm hohen Keimzahl, die sich bei einer offenen Tb oft in der Lunge ansammelt, ist die Behandlung aber langwierig. Meist ist ein ganzer Medikamentencocktail nötig, vielen Erkrankten fällt es schwer, bei der Stange zu bleiben, wenn die quälenden Symptome etwas abgeklungen sind. Das vergrößert das Problem der Neuinfektionen und macht die medikamentösen Waffen nach und nach stumpf.

Auch Kaufmanns Arbeitsgruppe ist der Frage auf der Spur, was Menschen für Infektionskrankheiten wie die Tuberkulose empfänglich macht, die Suche nach Biomarkern für die natürliche Immunreaktion auf den Erreger wird von der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung mit 13 Millionen Dollar gefördert. "Unser Traum wäre natürlich, dass wir eines Tages einen einfachen Stick zur Diagnostik einsetzen können, der uns für Malaria, HIV und Tuberkulose gleichzeitig sagen kann, ob jemand infiziert ist oder nicht."

Der Lösung des Rätsels, wer unter den TB-Infizierten im Lauf seines Lebens aufgrund einer besonderen Anfälligkeit auch erkranken wird, wollen Kaufmann und seine Arbeitsgruppe in Afrika mit ihrer Längsschnittuntersuchung näher kommen, die ganze Familienverbände umfasst. Hier können sich die von den Briten entdeckten molekularen Unterschriften sozusagen im Feldversuch bewähren. Kaufmann ist überzeugt: "Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, ihr Ausbruch hat aber auch mit der Genetik des Wirts zu tun, hier haben Robert Koch und Rudolf Virchow also beide Recht."

Hat die romantische Vorstellung, dass kreative, vergeistigte Poeten und Musiker für die "Schwindsucht" besonders anfällig seien, also doch etwas für sich? Sind die Molekularbiologen gar dem "Zauberberg-Gen" auf der Spur? Das wohl kaum - schon weil eine Vielzahl von Genen mit der Anfälligkeit in Verbindung stehen dürfte. Doch die Reaktionen des Wirtes Mensch auf den ungebetenen Gast Tuberkelbazillus bieten auf jeden Fall Angriffspunkte für neue Therapien. Das Ziel, den ungebetenen Gast vom Planeten verschwinden zu lassen, hat die Menschheit dabei längst nicht aufgegeben: Die WHO hat sich die Eliminierung bis 2050 vorgenommen.

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