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Zukunft der Gesundheit: Wenn das Antibiotikum versagt

Gegen resistente Keime sind vor allem zwei Sachen wichtig: mehr Hygiene und neue Wirkstoffe.

Wer als Patient ins Krankenhaus kommt, möchte geheilt, und nicht noch schlimmer krank werden. Doch Keime können den Patienten einen Strich durch die Rechnung machen: Sei es, weil sie sich in der Klinik frisch anstecken, oder bereits mitgebrachte Bakterien den Weg in das Blut finden, und Komplikationen wie eine Blutvergiftung auslösen. Zunehmend kommt es zu Resistenzen bei der Behandlung mit Antibiotika, das heißt, die Bakterien haben gelernt, sich gegen die Medikamente zur Wehr zu setzen. Antibiotika töten Bakterien ab, oder hemmen ihre Vermehrung.

„Um diesen Herausforderungen zu begegnen, brauchen wir auf der einen Seite bessere Hygienemaßnahmen an den Krankenhäusern, aber auch komplett neue Wirkstoffe gegen Krankheitserreger“, sagt Petra Gastmeier, Professorin am Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen an der Berliner Charité.

Mehr als 900 von 2000 Krankenhäusern in Deutschland melden laut Gastmeier freiwillig ihre Fälle. Schätzungen zufolge erkranken jährlich bis zu einer halben Million Menschen an Krankenhausinfektionen, dazu gehören Blutvergiftungen, Harnwegs- und Wundinfektionen; bis zu 15 000 Menschen sterben im Jahr an einer nosokomialen Infektion, heißt es. Rund zehn Prozent der Krankenhaus-Infektionen gehen auf das Konto von multiresistenten Keimen, sagt Gastmeier. Nach Studien auf Intensivstationen gehen Wissenschaftler davon aus, dass je nach Klinik 15 bis 30 oder 40 Prozent dieser Krankenhaus-Infektionen wirklich in den Kliniken übertragen wurden. „Diese Zahl kann durch bessere Hygienemaßnahmen reduziert werden, das hat sich an den Kliniken gezeigt, die sich am Überwachungssystem beteiligen. Aber der Rest der Infektionen lässt sich kaum vermeiden.“

Generell sind Darmbakterien neben Keimen aus dem Nasen-Rachen-Raum Kandidaten für eine Lungenentzündung oder Blutvergiftung bei Patienten auf Intensivstationen verantwortlich. „Sie gelangen beispielsweise während der künstlichen Beatmung in die Lunge, oder wandern durch den Magen-Darm-Trakt dorthin, weil die Abwehr des Patienten nicht mehr richtig funktioniert.“

Die Liste der widerstandsfähigen Krankenhauskeime führt der Keim MRSA an, der in der Nasenschleimhaut und im Mundraum siedelt (kurz für Methicillin-resistente Staphylococcus-aureus). Auf der Basis von Hochrechnungen gab es im Jahr 2008 davon 132 000 Nachweise von MRSA, überwiegend wurden die Keime in den Kliniken erworben. Machen die Erreger bei Gesunden keinen Ärger, so können immunschwache Patienten schwere Wundinfektionen, Lungenentzündungen oder eine Blutvergiftung davon tragen.

Etwa 32 000 bis 35 000 Patienten erkranken jährlich an MRSA-Infektionen, 1500 sterben daran, sagt Wolfgang Witte, Professor am Robert Koch-Institut in Wernigerode. Dort ist das Nationale Referenzzentrum für Staphylokokken angesiedelt. Erstmals wurden MRSA vor 50 Jahren in Großbritannien erkannt. „Schon damals wurde beschrieben, was heute auch noch gilt: Die Patienten müssen isoliert und gezielt mit Antibiotika behandelt werden, die gegen MRSA noch wirksam sind“, sagt Witte. Etwa vier bis fünf Präparate ständen zur Verfügung. Anhand von Genomanalysen unterscheiden die Wissenschaftler die unterschiedlichen Stämme und verfolgen ihre Herkunft zurück. Auch kennen Witte und Kollegen Resistenzgene, die zwischen den Bakterien ausgetauscht werden können. Oft werden gleich Widerstandskräfte gegen verschiedene Arten von Antibiotika weiter gegeben. Dies geschieht häufig über Plasmide, kleine ringförmige DNS-Molekül-Ringe außerhalb des Bakterienchromosoms als eigentlichem Erbgut der Bakterien.

Während in den USA inzwischen MRSA gefürchtet seien, die außerhalb von Krankenhäusern übertragen werden, treten diese Fälle deutlich seltener in Deutschland auf. Hier spielten aber inzwischen auch MRSA eine Rolle, die von Tieren wie Schweinen übertragen würden. In der Tiermast tätige Menschen zeigten zu einem hohen Anteil eine Besiedelung der Nase mit diesen Erregern.

Zunehmend alarmiert sind Mediziner auch bei Darmbakterien, bei denen sich in den vergangenen Jahren Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt haben. Bei einigen von ihnen helfen selbst so genannte Reserveantibiotika nicht mehr. „Da ist das Ende der Fahnenstange in Sicht“, sagt Gastmeier. Gemeint sind unter anderen Darmbakterien wie Enterokokken die gegen das hochpotente Antibiotikum Vancomycin resistent geworden sind. Seit fünf bis sechs Jahren tauchen zudem vermehrt Escherichia coli-Keime und Klebsiellen auf, die mit ihren Enzymen (Beta-Laktamasen) bislang gängige Antibiotika ausschalten. Diese Bakterienstämme werden kurz ESBL genannt.

„Das Problem bei den ESBL-Bakterien ist, dass sie bei Masttieren vorhanden sind, durch den häufigen Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht konnten sich Resistenzen entwickeln“, sagt Gastmeier. Länder wie Israel, Griechenland oder Indien und Pakistan hätten bereits ernsthafte Probleme durch diese Erreger. Um ihnen auf die Schliche zu kommen, ergründen Human- und Tiermediziner zusammen die Frage, wie häufig die ESBL bei Tieren wie Schweinen oder Geflügel vorkommen, wie die Übertragungswege auf den Menschen sind, und welche Bedeutung dies für die Therapie hat, etwa im vom Bundesforschungsministerium unterstützen Verbund RESET.

Im vergangenen Jahr machte ein Bakterium mit Namen NDM-1 Schlagzeilen, das sich laut Witte vor allem in Indien und Pakistan ausgebreitet hat, vereinzelt wurden Fälle in Europa gemeldet. Auch diese Darmbakterien schalten Antibiotika über eine Beta-Laktamase aus. Laut Witte hilft dann nur noch das Antibiotikum Colistin, das toxisch auf die Nieren und Nerven wirkt, und daher eigentlich selten zum Einsatz kommt.

Insgesamt gelten die Pipelines der großen Pharmafirmen als leer, was vielversprechende neue Antibiotika angeht, so Witte und Gastmeier. Weil sie im Gegensatz zu anderen Medikamenten wie gegen hohen Blutdruck oder Blutzucker nur wenige Tage eingesetzt werden, sind die Profitchancen geringer. Neue Präparate werden zudem häufig erst einmal zurück gehalten als Reserveantibiotikum und nicht massenweise eingesetzt, damit die findigen Bakterien nicht gleich wieder Resistenzen entwickeln können. In den nächsten Jahren seien keine Durchbrüche mit neuen Antibiotika zu erwarten, lautet das Fazit.

Christiane Löll

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